Literatur

Angst, Einsamkeit, Liebe

Von Noemi Schneider · 17.03.2014
Der schmale Band "Meine Schreibmaschine und ich" versammelt Thomas Glavinics Bamberger Poetik-Vorlesungen aus dem Jahr 2012. Darin gewährt er dem Leser offenherzige Einblicke in seine Neurosen, Ängste und Sehnsüchte.
"Der Wind peitschte in gnadenlosen Böen gegen die Wand und Jonas spürte, wie Ernst die Lage war, wie leicht nun ein Fehler den Tod bedeuten konnte. Alles um ihn war Gefahr. Menschen hatten hier keine Existenzberechtigung, sie durften nur auf einen Passierschein hoffen, auf ein Visum mit äußerst kurzer Rechtskraft."
Man kann eine Stecknadel fallen hören, wenn Thomas Glavinic liest. Mit spielerischer Leichtigkeit entführt der österreichische Schriftsteller seine Zuhörer aus der Regensburger Buchhandlung Dombrowsky in die eisigen Höhen des Himalaya-Gebirges.
"Das größere Wunder" ist Glavinics zehnter Roman und der Abschluss einer Trilogie. Jonas, der Held aus den Vorgängerromanen "Die Arbeit der Nacht" und "Das Leben der Wünsche" besteigt im größeren Wunder den Mount Everest und erinnert sich an sein Leben, seine Kindheit bei einem Mafiapaten, seine Freunde, seine Reisen um die Welt, und seine große Liebe Marie, die er für immer verloren glaubt.
Ein Schriftsteller zum Anfassen
Wenn man eine Geschichte erzählt, gehört sie einem nicht mehr ganz, heißt es in dem Roman. Diese Erfahrung hat auch der Autor gemacht.
"Ich habe zwanzig Jahre lang jedes Berg-Buch gefressen, das mir untergekommen ist und seit ich das größere Wunder fertig habe, ist es weg, ich kann nichts mehr drüber lesen. Ich habe auch diese Faszination für Berge bis zu einem gewissen Grad verloren. Man verliert schon etwas, wenn man etwas erzählt. Ich glaube auch, die meisten Leute begreifen gar nicht, was für ein Schatz das ist, eine Geschichte, die man nur selbst kennt."
Der 41-Jährige ist ein Schriftsteller zum Anfassen. Keiner, der in einem Elfenbeinturm sitzt. Seine Leserschaft besteht nicht nur aus Bildungsbürgern jenseits der 60, sondern immer auch aus Schülern und Studenten. Das liegt vor allem daran, dass Thomas Glavinic selbst auch gut als Boxer oder Rockmusiker durchgehen könnte. Er ist ein bisschen bullig, Glatze, Bart, 1,85, attraktiv. Er mag schnelle Autos, Fußball, Falco, Sex, Sonnenaufgänge, Schach und frische Mangos, wie er in dem Buch "Meine Schreibmaschine und ich" bekennt. Darin gewährt er dem interessierten Leser offenherzige Einblicke in seine Neurosen, sein Scheitern, seine Ängste, Sehnsüchte und das Schreiben.
"Das bin ich, schreiben ist halt das, was mich ausmacht. Schreiben ist das, was ich am interessantesten finde, was mich am meisten fasziniert, das ist die Art und Weise, wie ich die Welt ausdrücken kann und das, was ich ausdrücken möchte."
Glavinic war Taxifahrer und Werbetexter
Der Wunsch Schriftsteller zu werden entsteht, als Thomas Glavinic mit acht Jahren den Roman Huckleberry Finn unter dem Weihnachtsbaum vorfindet und nicht mehr aufhören kann, zu lesen.
"Ich wusste, das möchte ich auch können. Ich möchte so etwas Wunderbares schreiben können, etwas, was mich so verzaubert, was mich so reinzieht in das, was ich da lese. Dass ich tatsächlich dort bin am Mississippi und diese Figuren sehe, auch wenn ich nicht alles verstehe. Es hatte soviel mehr zu tun mit mir, und mit dem, was mich ausmacht. Dass ist das, was mir diese Welt einerseits erträglich und zweitens begreiflich macht."
Mit 20 schlägt sich der gebürtige Grazer in Wien als Taxifahrer und Werbetexter durch. Zehn namhaften Schriftstellern schickt er seine ersten literarischen Gehversuche. Einer antwortet, attestiert ihm Talent, rät ihm jedoch mit der Gymnasiasten-Sprache aufzuhören und über das zu schreiben, was er tue. Zum Beispiel das Taxifahren:
"Ich habe darüber nicht geschrieben, weil es mir zu einfach erschien, zu banal. Was nicht besonders klug war, weil auch im Taxi - man kann fast überall Welthaltiges und Existenzielles finden. Für mich war dann zwei Jahre später klar, dass ich über Schach schreiben möchte. Also nicht über Schach, sondern den Schachmeister Carl Schlechter, weil ich in diesem bescheidenen, von krankhafter Schüchternheit besessenen Schachspieler, der vor 100 Jahren gelebt hat, jemanden erkannte, der extrem viel mit mir zu tun hat."
Die Stimmung der Bücher färbt auf den Alltag ab
1998 erscheint "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden", der literarische Durchbruch des damals 26-Jährigen. Seither schreibt er mit großem Erfolg über das, wovon er etwas versteht.
"Ich habe damals gelernt, dass ich über Dinge schreiben muss, die ursächlich mit mir zu tun haben, die ganz wesentlich aus mir herauskommen, die meine Grundmotive behandeln. Die von Angst, von Einsamkeit und von Liebe handeln."
Vor allem die Angst und die Einsamkeit nehmen in seinem Roman "Die Arbeit der Nacht", der 2006 im Carl Hanser Verlag veröffentlicht wird, alptraumartige Züge an, nicht nur für den Leser.
"'Die Arbeit der Nacht' handelt ja von einem Menschen, der aufwacht und allein ist auf der Welt und das bedeutet, der Mensch, der das Buch schreibt ist, solange er das schreibt, das waren drei Jahre, im Kopf jeden Tag ein paar Stunden allein auf der Welt."
"Die Bücher, die man schreibt, deren Stimmung färbt schon auf den Alltag ab. Wahrscheinlich ist das der Grund, warum ich auch zwischendurch immer wieder was für mich leichteres oder lustigeres schreiben muss."
Zum Beispiel: "Das bin doch ich", eine unterhaltsame Satire auf den Literaturbetrieb, rund um einen Autor namens Thomas Glavinic oder der Roman "Unterwegs im Namen des Herrn", in dem sich der Schriftsteller 2011 mit seinem Freund Ingo auf eine Pilgerfahrt begibt.
Zehn Romane hat er veröffentlicht. Etwas anderes als schreiben kann er sich nicht vorstellen, sagt er. Denn:
"Das Schönste, was es gibt, ist das Schreiben."