Originalton: Through my eyes (4)

Auf blutgetränktem Boden

Eine junge Frau mit Kippa nimmt am Samstag (15.09.2012) in Berlin an einer Demonstration teil. Der Kippa-Spaziergang, zu dem im Internet aufgerufen worden war, sollte ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und fand auch anlässlich des bevorstehenden jüdischen Festes Rosch ha-Schana (jüdischer Neujahrstag) statt.
"Es fällt mir nicht leicht, junge Israelis in Berlin leben zu sehen", sagt Chaim Beer. © picture-alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Chaim Beer · 07.05.2015
In der Rubrik "Originalton" geben in dieser Woche israelische Autorinnen und Autoren ihre persönliche Sicht auf Deutschland zum Besten. Für Chaim Beer war es zunächst sehr schwer, in Berlin zu landen, ohne an den Holocaust zu denken.
Für mich ist das die Geschichte einer Hassliebe. Man muss jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde aufs Neue zwischen Menschen, die man hasst, und Menschen, die man liebt, unterscheiden.
Es fällt mir nicht leicht, junge Israelis in Berlin leben zu sehen - so als ob es New York wäre. Oder wie es für meine Generation London war oder davor Paris. Für mich schweben über Berlin immer noch Rauch- und Aschewolken verbrannter Juden und ich höre dieses schreckliche Gebrüll von Hitler, wenn ich durch die Straßen Berlins gehe. Ich rieche die Asche, die aus der Wannsee Villa dringt. Und das prägt meine Beziehung zu Deutschland.
Jahrelang weigerte ich mich, dorthin zu reisen. Als ich dann Journalist war, sagte meine Redakteurin Hannah Zemer zu mir: Du musst nach Deutschland. Und ich sagte: Nein. Darauf sie: Du hast nicht das Recht, mir Hannah Zemer, die über ein Jahr im KZ war, so etwas zu sagen. Wenn ich gehe, kannst Du auch gehen. Was soll ich sagen? In dem Moment, als ich aus dem Flugzeug stieg, hatte ich das Gefühl, auf blutgetränktem Boden zu stehen.
Ganz langsam, mit Hilfe von israelischen Freunden, die – wie man bei uns sagt – die Universität des Holocaust absolviert haben, gelang es mir, einen Schritt von der Vergangenheit in die Zukunft zu machen.
Ich bin ein überzeugter Zionist. Das ist mir wichtig. Und ich weiß sehr wohl, dass ohne die Hilfe aus Deutschland die israelische Armee nicht stark genug gewesen wäre, unser Gemeinwesen zu verteidigen. Wir müssen uns also in dieser Hinsicht bedanken. Wir haben zwar eine lange Rechnung offen. Aber es gibt auf der anderen Seite einen neuen Kredit.
Übersetzt von Carsten Hueck

Chaim Beer, geboren 1945 in Israel, wuchs mit seiner orthodoxen jüdischen Familie im Viertel Geula in Jerusalem, auf. Er besuchte eine staatliche religiöse Oberschule. 1966 begann er im Verlagshaus Am Oved (Arbeitendes Volk) und stieg dort zum Mitglied der Redaktionsleitung auf. Bis heute (2012) werden seine Bücher durch Am Oved veröffentlicht. Er lehrt Hebräische Literatur an der Ben-Gurion-Universität des Negev in Be'er Scheva.

Der Text im Original:
You know, for me it is a kind of a love, a love-and-hate-story. You need every day and every hour and every moment to know to separate between the people that you are hating them and between people that you love them. And for me, it is not easy to see young Israeli people living in Berlin like it's a kind of New York or something like for us, for my generation it was London or older generation it was Paris.
For me, Berlin - it is still ... I have the feeling that the clouds of dust and of ashes of Jewish people and the terrible voice of Hitler, you know?
I still hear his voice, when I am walking through the streets of Berlin. I can smell the ashes of ... of Wannsee-Villa, of Wannsee-Program and so on. So, this is my relationship.
I refused years to visit Germany. And then, I was a journalist. And my editor Hanna Zemer said: She was in Auschwitz or maybe in another camp. She was a Hungarian. And she said to me: You have to go to Germany. And I say: No, I am not going. And she said to me: You are not allowed to say me, Hannah Zemer, that I spent a year or a year and a half in camps, that you are not going. If I am going, you have also to go.
And what to say? It was a first moment that I, you know, I go from the airplane and I had the feeling that I am standing on the earth of, bloody earth of this country. And very slowly, with friends, Israelis, that finished - what we say in Hebrew, finished the university of Holocaust - it was a very brave step from past to future.
You know, I am very, very Zionist. It's very important. And I know very deeply that without the help of Germany the Israeli army was not so strong and can defend the Israeli society. So we have to thank in a way. We have a long cheschbon. But on the other hand we have a new, a new account in another kind of bank. Okay?

Weitere Autoren der Originalton-Reihe "Through my eyes":

Montag, 4. Mai: Amos Oz
Dienstag, 5. Mai: Yiftach Ashkenazy
Mittwoch, 6. Mai: Sara Blau
Donnerstag, 7. Mai: Chaim Beer
Freitag, 8. Mai: Liat Elkayam
Samstag, 9. Mai: Amichai Shalev
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