Neuer Trend

Ökowahn "Plastikfasten"

Eine Kundin trägt Einkaufstüten von Aldi-Nord und Aldi-Süd
Besser ohne? Vor Ostern steigen Plastikfaster beim Einkaufen auf Stoff und Jute um © DPA / Roland Weihrauch
Von Udo Pollmer · 24.03.2017
Zur Fastenzeit verzichten viele Menschen gezielt auf Verpackungen oder Tüten aus Plastik. Vom dem Trend zum "Plastikfasten" hält Udo Pollmer gar nichts. Wer die Umwelt schonen will, sagt er, soll auf Papier verzichten.
Am 1. März begann die Fastenzeit – ein willkommener Anlass für christliche Gemeinden dieses Zeichen ihres Glaubens zu profanieren. Allerorten hat das "Plastikfasten" Einzug gehalten – in Anlehnung an das "Saftfasten". Zum Glück bedeutet es nicht, statt süßen Säften nur noch mürbes Plastik zu mümmeln. Kirchen, Umwelt- und Verbraucherorganisationen rufen vielmehr dazu auf, in der vorösterlichen Fastenzeit zu futtern wie bisher, jedoch ohne die Speisen in einer Verpackung oder Tüte aus Plastik nach Hause zu tragen. Das soll die Mülltonne entlasten, die offenbar, wenn man den Deckel hebt, unter der Last der schwerelosen Verpackungen vernehmlich stöhnt. Erst nach Ostern wird sie wieder sinnvoll genutzt, wenn aufwendige Pralinenboxen entsorgt werden wollen.

Kein Einfluss auf das Plastik im Nordpazifik

"Plastikfasten gegen den Plastikwahn" lautet das Motto unter dem viele Gläubige versuchen, ein öko-gefälliges Leben zu führen. Ihr Wahn besteht darin, dass sie hoffen, etwas gegen den Plastikmüll in den Meeren zu unternehmen, um die Tierwelt in Neptuns Reich zu behüten. Dabei hat der Verzicht auf Plastik durch deutsche Verbraucher nichts mit dem berüchtigten Plastikteppich im Nordpazifik zu tun. Denn bei uns wird Kunststoff gesammelt und verwertet – und nicht zu Müllbergen aufgetürmt. Das Plastik im Pazifik stammt von anderen Kontinenten – dort haben die Menschen andere Sorgen.
Wenn bei uns mal eine hauchdünne Plastiktüte durch die Lüfte fliegt, dann deshalb, weil manche Zeitgenossen ihre Abfälle aus dem Autofenster werfen. Da die Tüten ultradünn sind, weisen sie eine vorbildliche Ökobilanz auf. Was bringt es, wenn statt Plastik Glasflaschen in der Landschaft landen? An den Scherben verletzen sich spielende Kinder oder Badende. Jedes Jahr suchen 13.000 Kinder mit Schnittverletzungen ein Krankenhaus auf. Da sollten die Eltern doch lieber "Glasfasten".

Produktion von Papiertüten: 20-mal höherer Wasserverbrauch

Drollig ist die Vorstellung vieler Plastikfaster, mit Einkaufstüten aus Papier seien sie "stolzer Teil einer kritischen Bewegung". Eine Tüte aus Papier benötigt doppelt so viele CO2-Äquivalente wie eine aus Plastik – zumindest rechnerisch. Der Wasserverbrauch ist gar zwanzigmal so hoch – ganz real. Da wäre "Papierfasten" eher ein Zeichen kritischer Vernunft. Vor allem das für Verpackungen verwendete Recyclingpapier belastet den Inhalt - beispielsweise mit Mineralölen.
In urbanen Biotopen entstehen Läden ohne Wegwerf-Verpackung: Die Kunden bringen ihre eigenen Behälter mit – Plastikdosen sind besonders praktisch. Allerdings gibt es bei Verzicht auf Verpackung und bei Wiederverwendung der Näpfe und Flaschen ein Hygieneproblem. Demgemäß müssen Läden, die ihre Waren "original unverpackt" verkaufen, pingelig auf Sauberkeit achten. Und das bedeutet jede Menge Reinigungsmittel. "Putzmittelfasten" wäre hilfreicher – denn Putzmittel, speziell der Wirkstoff Triclosan, gefährden das Leben im Wasser – nicht im fernen Pazifik, sondern direkt vor unserer Haustüre.

Wie wär's mit "Ökofasten"?

Neidisch blicken Plastikfastende auf jene Zeit, als es kaum Plastikmüll gab: "Einkaufen ging man mit dem Einkaufsnetz, Milch kam in die mitgebrachte Kanne, Eier in einen Korb, den Fisch rollte der Händler in eine alte Zeitung."Ein 'Zero-waste-Lifestyle'", frohlockt die Szene. Ohne Kunststoffe sind jedoch viele Fertiggerichte nicht zu haben – da werden sich die Öko-AktivistInnen wohl wieder selbst an den Herd stellen müssen, um für die ganze Familie zu kochen. Tag für Tag.
Nach dem Abspülen – von Hand – nähten die Mütter aus alten Stoffresten ein Kleidchen für die Tochter, abends wurden die Socken des Gatten gestopft. Nichts ist ökologisch beschämender als überquellende Schränke voller Modeklamotten. Wem die Umwelt wirklich am Herzen liegt, begnügt sich wieder mit bescheidener Kleidung und strapazierfähigem Schuhwerk – so wie früher. Statt der täglichen Dusche gab's samstags das Familienbad in der Zinkwanne – mit Kernseife und ohne Pflegelotion für empfindliche Haut. Danach erhielten alle frische Wäsche. Das Paradies für jeden echten Zero-waste-Faster.
Wie wär's mit "Ökofasten" – gegen den Ökowahn? Mahlzeit!

Ist der Verzicht auf Plastik wirklich so unsinnig? Unsere Autorin Susanne Billig machte den Selbstversuch. Lesen Sie hier ihren Bericht

Literatur
Christine: Es ist Fastenzeit – für unsere Mülltonne! Grammgenau.de vom 1. März 2017
Deutscher Evangelischer Frauenbund Bayern: Plastikfasten – gar nicht so leicht. Seniorbook.de 10. März 2014
BUND: Plastikfasten! Der erste Schritt zum Ausstieg aus dem Plastikwahn. Abgerufen am 14. März 2017.bund.net/chemie/achtung-plastik/plastikfasten/
Tullo AH: Breaking the bag habit. C&EN 15. Sept. 2014: 12-17
Anon: Unsichtbare Fallen für Kinder. WirEltern.de Abgerufen am 13. März 2017
Billig S: Wie schafft man ein Leben ohne Plastikmüll? Deutschlandradio Kultur Beitrag vom 16. Feb. 2017
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