Selbstversuch Plastikverzicht

Wie schafft man ein Leben ohne Plastikmüll?

Gläser mit direkt im Laden abgefüllten Lebensmitteln in einem Einkaufsnetz, fotografiert am 19.09.2014 in Berlin im Supermarkt "Original unverpackt" in der Wiener Straße in Kreuzberg, der ohne Verpackungsmüll auskommt.
Gläser mit direkt im Laden abgefüllten Lebensmitteln in einem Einkaufsnetz © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Susanne Billig · 16.02.2017
Norwegische Forscher zogen vor Wochen einen toten Wal aus dem Meer: Aus dem aufgeschnittenen Bauch des Tieres quollen 30 Plastiktüten und mengenweise Mikroplastik. Jetzt reicht es, sagte sich unsere Autorin Susanne Billig - und startete einen Selbstversuch.
Allein im Nordpazifik treibt ein Plastikteppich so groß wie Mitteleuropa. An einigen Stellen der Weltmeere gibt es 60-mal so viel Plastik wie Plankton. Zerrieben zu winzigen Mikropartikeln saugt sich das mit Schwermetallen und giftigen Chemikalien voll. Fische nehmen die Partikel auf und reichen sie an die Nahrungskette weiter. In jedem menschlichen Körper schwappt heute schon ein Cocktail an Chemikalien, die aus Plastik ausdünsten. Sie können nachweislich das Hormonsystem beeinflussen und vielleicht auch Asthma, Unfruchtbarkeit und Krebs mit hervorrufen. Es wird Zeit für den ernsthaften Versuch, finde ich, ganz persönlich nach Alternativen zu suchen.
Plastikmüll am Strand
Plastikmüll in und an Gewässern belastet zunehmend die Umwelt.© dpa/ picture alliance/ Lars Halbauer
Milena Glimbovski: "Es Menschen, die leben gänzlich ohne Einwegverpackungen. Das nennt man den 'Zero-waste-Lifestyle', das mache ich persönlich auch. Ich versuche auch, soweit ich kann, in meinem privaten Bereich und im Büro auf Einwegverpackungen zu verzichten. Vor allem die Sachen, die schwer zu recyceln sind. Also Papier kann man halt sehr gut recyceln. Aber Plastik ist halt echt der Horror, und deswegen versuche ich darauf zu verzichten und es geht."

Stolzer Teil einer kritischen Bewegung

Milena Glimbovski hat schon vor Jahren ernst gemacht hat mit dem Plastikfrei-Vorsatz. Wer das tut, darf sich als stolzer Teil einer Bewegung fühlen, die eifrig im Internet bloggt und sich im realen Leben vernetzt. Kritisch schaue ich mich in meiner Wohnung um. Was, bitte, ist hier nicht aus Plastik? Beschichtete Möbel, Teppichboden, Klavier, Lampenschirme, Magnettafel, Kinderspielzeug, elektronische Geräte, in der Küche zahllose Schaber und Schieber, Schüsseln und Deckel, Mixer und Quirler. Muss ich auf alles das jetzt verzichten?
Milena Glimbovski: "Also ich bin viel unterwegs. Und dann habe ich immer meine Brotdose dabei und ein eigenes Besteck-Set, dass ich mir auch unterwegs etwas zu essen holen kann, aber eben immer in meiner eigenen Verpackung. Und das sind einfach ganz viele Stellschrauben im Alltag, wo ich dann halt was verändern kann und das auch mache."
Ungiftige Plastiksachen, die man schon besitzt, dürfen bleiben, sagt die Plastikfrei-leben-Bewegung. Aber Neues sollte nicht aus Kunststoff sein. Gar nicht so einfach, zeigt der nächste Drogeriebesuch: ob Shampoo, Zahnpasta oder Hautcreme – alles in Plastikverpackungen. Man muss schon mit der Lupe suchen, um mal einen Badezusatz in einer Glasflasche zu finden. Im Lebensmittel-Discounter nebenan gibt es nicht mal Äpfel oder Möhren ohne Umverpackung.
Milena Glimbovski: "Man kann viele Sachen an der Frischtheke kaufen und da die Verkäuferinnen und Verkäufer bitten, das ins selbstgebrachte Gefäß zu tun. Das muss man dann auch nicht über die Ladentheke reichen. Man kann auf den Markt gehen. Was auch nachhaltiger ist: Immer in größeren Verpackungen zu kaufen, gerade die getrockneten Produkte, es gibt ganz viele Müslis und andere Sachen, die in Papier eingepackt sind und nicht in Plastik."

Dank Crowdfunding ein Laden ohne Wegwerf-Verpackung

Im Bioladen kann ich das Obst und Gemüse in eine Papiertüte füllen, Käse kommt in Wachspapier. Aber auch dort stehen in den Regalen ganz schön viele Produkte mit Plastik drum herum. Zum Glück ist Milena Glimbovski nicht irgendwer – zusammen mit einer Freundin hat sie in Berlin-Kreuzberg vor einigen Jahren den Laden "Original Unverpackt" eröffnet. Menschen in ganz Deutschland haben per Crowdfunding 110.000 Euro gespendet und jetzt kann man hier kaufen, was das reformbereite Herz begehrt – ohne jede Wegwerf-Verpackung. Anfangs war das Gesundheitsamt skeptisch, ließ sich aber schnell überzeugen:
"Wir sind bestimmt der sauberste Supermarkt in ganz Berlin. Wir verfolgen strikt unsere Reinigungslisten, in die Behälter kann auch nicht eben mal so reingreifen, also wir uns bemühen uns schon sehr und erhalten natürlich auch regelmäßig Kontrollen."
Die Gründerinnen von "Original unverpackt" Sara Wolf (l) und Milena Glimbovski posieren am 19.09.2014 in Berlin in ihrem Laden in der Wiener Straße in Kreuzberg, der ohne Verpackungsmüll auskommt. Die Kunden füllen die gekauften Produkte selbst in wieder verwertbare Behälter.
Die Gründerinnen von "Original unverpackt" Sara Wolf (l) und Milena Glimbovski in ihrem Laden in der Wiener Straße in Berlin© picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Überall im Laden stehen und hängen große Behälter, aus denen man sich Nüsse, Mehle, Flocken, Getränke oder Kaffeepulver abfüllen kann. Auch verpackungsfreie Kosmetik gibt es zu kaufen und Zahnpasta – als Tabletten. Hunderte von Artikeln gibt es schon jetzt im Laden, das Sortiment wird ständig erweitert:
"Kunden kommen mit ihren eigenen Behältern aller Art, die müssen natürlich einfach nur sauber sein, die werden leer abgewogen, dann befüllen sie sich damit, was sie brauchen, Cerealien, Nüsse, Öle, Wodka, was das Herz begehrt, selber rein, und dann wird's noch mal an der Kasse abgewogen und dann bezahlen sie."

Einkaufen wie in alten Zeiten

Als Sachbuchliebende Journalistin brauche ich natürlich auch ein Buch, das mich berät. Meines heißt "Besser leben ohne Plastik" und ist randvoll mit guten Tipps. Unglaublich, was man so alles selbst fabrizieren kann. Deo zum Beispiel – ein bisschen Natron, vermischt mit Kokos- und Orangenöl. Aluminiumfrei, riecht super und die Wirkung ist phänomenal. Manchmal macht mir die Transformation jetzt richtig Spaß. Das gute alte Butterbrotpapier – wie schön das knistert. Oder Gefrierbeutel auswaschen und zum Trocknen aufhängen. Es fühlt sich gut an, sparsam zu sein und zu überlegen, wie lange so eine kleine Sache wohl hält.
Eines Abends erzählt mir meine Mutter, Jahrgang 1928, wie viel Plastikmüll es gab, als sie eine junge Frau war: gar keinen! Einkaufen ging man mit dem Einkaufsnetz, Milch kam in die mitgebrachte Kanne, Eier in einen Korb, den Fisch rollte der Händler in eine alte Zeitung. Später wanderte der organische Abfall auf den Komposthaufen, das Papier in den Ofen, alte Kleidung hat man repariert oder der armen Nachbarin geschenkt – das war's. Zero-waste-Lifestyle.
Und das Fazit meines Selbstversuchs? Bestimmt werde ich auch morgen noch auf einem Fahrrad fahren, das mit Plastikteilen vollgeschraubt ist. Ich werde in einen plastikummantelten Computer tippen und mir auch einen neuen kaufen, wenn es so weit ist. Aber: keine Plastiktüten, keine Plastik-Wegwerfbecher und, wo immer möglich, keine Plastik-Verpackungen – das geht. Ganz einfach. Und das bleibt.
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