Kartografie

Die letzten weißen Flecken auf der Weltkarte

Umfassendste digitale Karte zeigt die Oberfläche der Erde - sie deckt 99 Prozent der Landfläche ab. Die höchsten Erhebungen sind in orange, rot und weiß dargestellt, mittlere Erhebungen sind grün und gelb illustriert. Die violetten Farben markieren das flache Land.
Karte der Erdoberfläche. © picture alliance / dpa / NASA
Manfred Buchroithner im Gespräch mit Dieter Kassel · 26.08.2016
Trotz Google Earth und ähnlicher Dienste - es gibt sie noch, die letzten weißen Flecken auf der Landkarte. Denn die Satelliten erkennen zwar im Großen und Ganzen alles, die Details aber nicht, meint der Kartograf Manfred Buchroithner.
Spätestens seit Google Earth halten viele die Welt für restlos entdeckt, vermessen und entzaubert. Doch es gibt durchaus noch weiße Flecken auf der Landkarte, meint der Geologe und Kartograf Manfred Buchroithner von der TU Dresden.
Denn die Satelliten sähen im Großen und Ganzen alles, im Detail aber nicht: "Es ist einfach eine Frage des Maßstabs."

Statische Bilder von einer dynamischen Welt

So könne es beispielsweise einen dichten Dschungel geben, unter dem ein fünfzehn Meter breiter Fluss fließt, der auf den Satellitenbildern nicht zu sehen sei.
"Oder es kann sein, dass es im Felsgelände im Hochgebirge einen Weg gibt, der zwar, wenn man auf ihm geht, durchaus erkennbar ist, aber aus dem Weltraum einfach nicht, auch wenn er durch vielleicht so kleine Steinmännchen markiert ist."
Außerdem erfassten die Satellitenbilder immer nur den gegenwärtigen Ist-Zustand. Die Welt aber verändere sich. "Sie verändert sich immer rascher. Die Welt ist einfach dynamisch."

In unserer Sommerreihe "Stadt Land Karte" widmen wir uns der Bedeutung der Kartographie heutzutage.


Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wer bei Google Maps oder ähnlichen Diensten nach irgendeinem Ort auf dieser Welt sucht, der bekommt nie die Antwort, haben wir nicht, kennen wir nicht, aber das bedeutet trotzdem nicht, dass man wirklich alles findet. Dafür gibt es verschiedene Gründe, unter anderem auch den, dass bis heute noch nicht alle Flecken auf dieser Welt haarklein vermessen wurden. Deshalb beschäftigt sich Manfred Buchroithner, Professor für Kartografie an der Technischen Universität Dresden, auch nicht ausschließlich mit Gebieten, die andere schon vor ihm erkundet haben. Professor Buchroithner, schönen guten Morgen!
Manfred Buchroithner: Einen schönen guten Morgen nach Berlin!
Kassel: Gibt es im Jahr 2016 tatsächlich noch weiße Flecken auf der Landkarte?
Buchroithner: Durchaus. Es ist einfach eine Frage des Maßstabs. Häufig wird erwähnt, ich geh einfach bei Google Maps rein und ich sehe ohnedies alles. Dem ist nur bedingt so, weil es ja beispielsweise durchaus einen dichten Dschungel geben kann, unter dem aber ein fünf bis zehn Meter breiter Fluss fließen kann, den ich im sichtbaren Bereich des Lichtes einfach nicht sehen kann. Oder es kann sein, dass es im Felsgelände, im Hochgebirge – das ist ein zweites Beispiel, das ich sehr häufig bringe – einen Weg gibt, der zwar, wenn man auf ihm geht, durchaus erkennbar ist, aber aus dem Weltraum einfach nicht, auch wenn er durch vielleicht so kleine Steinmännchen markiert ist. Also das nur mal als zwei Beispiele, dass ich sehr wohl im Großen und Ganzen sagen kann, heutzutage sehen die Satelliten alles, im Detail allerdings auch nicht. Also nochmals wiederholend: Es ist einfach eine Frage des Maßstabs.

Die Welt verändert sich immer rascher

Kassel: Nun hab ich ja gerade eben behauptet, Sie hätten sich durchaus schon auf Flecken dieser Erde aufgehalten, die eben nicht haarklein irgendwo eingezeichnet waren, das heißt, es ist nicht nur eine Aufgabe der Bevölkerung vor Ort, sondern auch Sie als Wissenschaftler suchen regelrecht nach diesen weißen Flecken?
Buchroithner: Suchen regelrecht ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich hab ja allerdings noch das Glück, als junger Doktorand und dann auch als junger Doktor, mich in Teilen Asiens aufhalten zu können, wo man durchaus sagen kann, das sind noch weiße Flecken – später dann auch in Südamerika. Und da möchte ich vielleicht auch neben dem geometrischen auch noch den zeitlichen Aspekt einbringen. Die Welt verändert sich, die verändert sich immer rascher. Die Welt ist einfach dynamisch, und es gibt Dinge, die einfach vor verschiedenen Jahren entweder noch vorhanden oder noch nicht vorhanden waren.
Ich kann auch nicht sagen, dass ich einen Ist-Zustand, der statisch ist, erfasse, sondern dass ich unheimlich rasch und in Zeiten wie diesen – denken wir nur an das Stichwort Klimawechsel – die vielleicht immer rascher veränderten Welt, dass ich da immer den aktuellen Ist-Zustand erfassen möchte. Also ich kann nicht sagen, das hat doch schon unser bedeutender Alexander von Humboldt mal gemacht, ist nicht mehr notwendig, sondern ich bin als, in dem Fall spreche ich eben als Kartograf aufgefordert, immer den Jetzt-Zustand zu erfassen.

Ein tolles Gefühl, als erster irgendwo gewesen zu sein

Kassel: Ich stelle mir das so ein bisschen vor, wenn man als Kartograf wirklich an einem Ort steht, wo man entweder sagt, Sie haben ja gesagt, die Dinge verändern sich auch, wo man sagt, das ist hier gar nicht so, wie es in der Karte verzeichnet ist, oder sogar sagt, in der Karte ist hier nichts verzeichnet und ich steh jetzt hier, ich stelle mir das so ein bisschen vor, wie wenn man als erster Mensch auf dem Mond ist. Man hat doch das Gefühl, ich bin hier, wo noch keiner gegangen ist, oder?
Buchroithner: Ja, ein bisschen hat man schon so dieses Premieregefühl dann, also zum ersten Mal wo gewesen zu sein, wo vorher noch niemand war, wo man definitiv weiß, da war noch niemand, oder eben etwas entdeckt zu haben, was vorher noch keiner entdeckt hatte. Ich bin im Moment gerade mit einem kroatischen Kollegen zusammen, der vor einigen Jahrzehnten noch länger auf Borneo gearbeitet hat, als Geologe Gold geschürft hat und wirklich große Goldreserven dort entdeckt hat, die im Moment auch abgebaut werden.
Und das sind natürlich schon auch jetzt fachlich spezifische, tolle Gefühle, wenn man zum ersten Mal so was entdeckt hat. Das ist so ähnlich, wie wenn ein Botaniker zum ersten Mal eine ganz seltene Pflanze entdeckt. Da kommt ein dritter Aspekt hinein: Neben dem rein geometrischen Maßstab, neben der Zeitachse ist dann auch sicher noch das Fachlich-Spezifische, an das der Laie gar nicht denkt, dass irgendeine neue, bereits ausgestorbene Tierart irgendwie wiederentdeckt werden kann. Das sind natürlich auch Aspekte, an die man denken muss.

Auch militärische Sperrgebiete sind nicht immer verzeichnet

Kassel: Aber wo Sie gerade das Thema Gold erwähnt haben, Herr Buchroithner, geht mir etwas anderes durch den Kopf: Gibt es eigentlich heutzutage immer noch Orte, die nicht auf Karten verzeichnet sind, weil das aus politischen Gründen nicht erwünscht wird? Ich meine, ich denke da zum Beispiel an militärische Sperrgebiete.
Buchroithner: Ich möchte da jetzt keine konkreten Beispiele nennen. Ich kann Ihnen leider oder muss Ihnen leider auch aus den letzten Jahrzehnten da einiges nennen, gar nicht so weit weg von Europa entfernt – oder ich sage von Deutschland entfernt –, wo das leider durchaus der Fall ist und wo man, ich sag mal, vielleicht aus politischer Kurzsicht gemeint hat, na ja, wenn das nicht in der Karte drin ist, existiert es einfach für den Menschen nicht. Und wir konnten uns ultra hochauflösende Satellitendaten bestellen und konnten durchaus diverse Sachen noch nachweisen, die man in den zumindest amtlichen Karten und auch in dem allgemein zugänglichen Google Maps nicht eingezeichnet hatte.
Kassel: Das heißt, es ist letzten Endes ja auch eine politische Entscheidung, was auf Karten steht und was nicht. Wie ist das eigentlich, wenn man von Wissenschaftlern wie Ihnen und Ihrem erwähnten Kollegen absieht, bei dem, was nicht verboten ist, dass es eingetragen wird – wessen Aufgabe ist es, so was zu kartografieren, sind das nicht eigentlich jeweils die nationalen Behörden?
Buchroithner: Sie haben recht, de facto ja. Und da kommen wir zu einem Spruch, den ich auch über Jahrzehnte meinen Studierenden gegenüber immer gesagt habe: Geowissen ist Macht. Leider ist es, leider, unter Anführungszeichen sag ich das, ist es auch heutzutage noch immer so, dass in vielen Regionen politisch mit Geowissen agiert wird und einfach das Wissen, was wo ist, als Machtmittel eingesetzt wird. Und da sind wir heute wieder dort, wo wir zum Beginn der Kartografie – ich erwähnte das Schlagwort der logischen Goldminenkarten – auch wieder waren: Nur privilegierte einzelne Leute durften wissen, wo wirklich derartige Vorkommen waren, und heute ist es ähnlich: Nur einzelne privilegierte Leute dürfen wissen, wo einerseits mineralische Vorkommen sind, und andererseits natürlich auch militärische, kritische Punkte sich befinden.

Der Kartograf als Geheimnisträger

Kassel: Das heißt, da ist man als Kartograf gelegentlich auch mal Geheimnisträger?
Buchroithner: Wenn Sie so wollen, ja. Wir können nur froh sein, dass wir hier in Zentraleuropa in einer Welt leben, wo das nicht mehr der Fall ist. Ich will auch jetzt nicht in der Geschichte wieder bewusst zurückgehen, aber es ist ja noch nicht so lange her, ein gutes Vierteljahrhundert, da gab's auch bei uns in Deutschland Stellen, die durchaus nicht eingezeichnet werden durften, da gab's die vertrauliche Verschlusssache noch in gewissen Gebieten. Und ich kann nur hoffen, dass der Zeitpunkt kommt, wo auch die hochauflösende Satelliteninformation allgemein zugänglich ist, dass sich jeder persönlich ein – ich sag mal unter Anführungszeichen – "objektives Bild" machen kann.
Kassel: Der Kartograf und Geologe Manfred Buchroithner über die letzten weißen Flecken auf der Welt und die unterschiedlichen Gründe, die es dafür gibt. Herr Buchroithner, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Buchroithner: Gerne geschehen, schönen Tag noch!
Kassel: Ihnen auch, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema