Zeitschrift "Filmdienst"

Katholische Filmkritik vor dem Aus?

Film, Filmrolle, Kino, Filmprojektor, Zelluloid
Film, Filmrolle, Kino, Filmprojektor, Zelluloid © dpa / picture alliance
Von Andreas Meier · 19.02.2017
Unabhängigkeit von der Filmindustrie - das machte die beiden kirchlichen Publikationen "epd-Film" und "Filmdienst" lange Zeit zu hoch angesehenen Medien der Filmkritik. Künftig soll der "Filmdienst" nur noch im Internet erscheinen. Der Anfang vom Ende?
"Vielleicht kennen Sie diesen Film 'Cinema Paradiso'. Da ist die Geschichte, wo der Pfarrer sich den Film vorher vorführen lässt und dann immer die heiklen Szenen, also Nacktszenen und schwierige Dinge rausschneiden lässt und dann erst den Film freigibt. Das ist eine Situation, wie es sie jetzt - abgesehen von diesem Pfarrer – immer weniger gibt."
Stefan Förner, der Pressesprecher des Erzbistums Berlin, ist Mitglied der katholischen Filmkommission für Deutschland. An einem Beispiel zeigt er, wie sich der Umgang der großen Kirchen mit Filmen geändert hat: Der mit einem Oscar ausgezeichnete Film "Cinema Paradiso" zeigt verschmitzt, wie in den 1930er-Jahren ein Priester in einem sizilianischen Dorf Kinofilme vor der Aufführung zensiert – recht realistisch für die damalige Zeit.

Nach 1945 professionalisierte sich die kirchliche Filmkritik

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg suchten die Kirchen inhaltliche Auseinandersetzung. Ihre Filmkritik wurde professionell. Pfarrerin Julia Helmke, Präsidentin der internationalen protestantischen Filmorganisation Interfilm berichtet:
"In den fünfziger Jahren, also nach dem Zweiten Weltkrieg, haben sich zwei evangelische Filmzeitschriften gegründet, die ersten Filmzeitschriften neben dem 'Filmdienst' überhaupt, die unabhängig von der Filmwirtschaft versucht haben, Film ins Gespräch, in die Öffentlichkeit zu bringen – das war, auch wenn es gar nicht so bekannt war, weil sie auch nicht die große Auflage hatten, doch ein ganz wichtiger Schritt für unabhängige Filmkritik. Da haben viele bekannte, später auch Filmregisseure, damals noch Filmkritiker - die sich damit ihr Geld verdient haben wie Margarete von Trotha, Wim Wenders und viele andere - geschrieben. Und es gab eine Plattform der Begegnung, des Diskurses."
Die Notsituation nach dem Krieg 1945 öffnete die Augen für die enge Beziehung der Filmkunst zur Religion: Filmgeschichten zeigen oft Grenzerfahrungen menschlichen Lebens. Sie erzählen von mitleidloser Gewalt, unendlich verliebten Menschen, Hoffenden und Ratlosen.

Anfangs wurden die Kritiken in Schaukästen ausgehängt

Entscheidend ist die Unabhängigkeit der kirchlichen Filmzeitschriften in Deutschland von der Filmindustrie. Sie sprechen mit Regisseuren und Schauspielern, urteilen über sie. Sie vermitteln zwischen Filmwelten und Publikum. 1983 gingen beide evangelische Zeitschriften im "epd-Film" auf. Schon seit 1949 berichtet die katholische Zeitschrift "Filmdienst" über alle neuen Kinofilme. Stefan Förner:
"Der 'Filmdienst' hat ja nicht als Zeitschrift angefangen, sondern dann er war ganz nahe bei den 'Graswurzeln', wenn man so will Das war im Prinzip eine Wandzeitung, die in den Schaukästen ausgehängt wurde. Und das ist schon vom Verfahren her, glaub ich schon, das richtige. Man konnte im Prinzip nach der Kirche noch einmal kurz vorbeigucken: Was empfehlen die, welchen Film schlagen die vor? Da gab es so einen kleinen Nebeneffekt: Der Filmdienst hat auch in den frühen Zeiten die Kategorie gehabt 'wir raten ab'. Das hat dann dazu geführt, dass manche Leute gesagt haben: 'Ja, wenn die Katholiken abraten, dann wollen wir den Film erst recht sehen'."

In den 1950ern zogen die Kinobetreiber vor Gericht

Doch die Kirchen machen sich mit ihrer Filmkritik nicht nur beliebt. Anne Eberleins aus Lorch in Württemberg berichtete 1956, welchen Ärger ihr das Aushängen der Besprechungen eintrug:
"Ich hänge seit einigen Jahren die Kritiken des 'Evangelischen Filmbeobachters' von den Filmen, die hier laufen, in Schaukasten. Was ich in den Jahren erlebt habe, ist nicht gerade sehr erfreulich (…) Wie ich von der Besitzerin des Kinos selbst erfuhr, kommen in die (...) schlecht beurteilten Filme sechzig Prozent weniger Leute als sonst. (…) Die Besitzerin (…) schreit - wenn sie mich trifft - mich auf offener Straße vor allen Leuten an: was mir denn einfiele, den und den Film so schlecht zu machen. Kürzlich drohte Frau M. sogar dem Pfarrer unserer Gemeinde, sie würde keine Kirchensteuer mehr zahlen, wenn wir weiterhin ihre Filme schlecht machen."
Gegen den Protest von Kinobetreibern hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf aber bereits 1953 das Recht der kirchlichen Filmzeitschriften bestätigt, ihre Filmkritik öffentlich bekannt zu machen.
Julia Helmke: "Es war doch ein Anliegen der evangelischen Kirche, dass mit einer Filmzeitschrift wie 'epd-Film' ein Freiraum geschaffen wird, dass sich kundige Menschen in großer Weite mit dem Medium Film auseinandersetzen können – ohne irgend eine Form von missionarischer Vereinnahmung."

Seit 1963 gibt es einen einen Berlinale-Sonderpreis der Kirchen

Offenheit für verschiedene Urteile über Filme wurde für evangelische Filmkritiker bald eine Selbstverständlichkeit. So forderte Pfarrer Dr. Werner aus Stuttgart 1953:
"Hauptsache Nüchternheit! Wir haben das Evangelium (also die Bibel) verschieden verstanden, darum hielt einer von uns die Filme für gut, ein anderer für schlecht... Je kirchlicher ein Film ist, (...) um so miserabler ist der Film."
Auf der Berlinale zeichnete ab 1963 eine Jury evangelischer Filmkritiker Filme aus. An ihrer Stelle vergibt seit 1992 eine ökumenische Jury mit evangelischen, katholischen und orthodoxen Juroren einen eigenen Preis. Dieser erste Sonderpreis der Berlinale ist, im Gegensatz zu den Bären-Auszeichnungen im Hauptwettbewerb, immer ausführlich begründet. Die Mitglieder der ökumenischen Jury sehen knapp 400 Filme. Denn sie zeichnen nicht nur Filme des Hauptwettbewerbs aus. Sie urteilen auch über Beiträge in den Sektionen "Panorama" und "Forum des jungen Films". Die Filmzeitschriften, "epd-Film" und "Filmdienst" spüren, dass mittlerweile auch viele andere Anbieter differenzierte Filmkritik liefern, es fehlen die Käufer. Stefan Förner vom Erzbistum Berlin:
"Es gibt sehr viel mehr Mitbewerber, die auch ein kompetentes, ein fundiertes, ein gutes, differenziertes Angebot an Filmgesprächen, an Gedanken zum Film, an Auseinandersetzungen, an Tagungen zu unterschiedlichen Themen, also auch ethische Themen im Film und so weiter machen. Da wird es immer schwieriger, ein eigenes Profil zu haben. Es hat sich dann doch gezeigt, dass die Zahl derer, die so etwas lesen wollen, eine so umfangreiche, vollständige Information, nicht wirklich beliebig zu vermehren ist."

Sanfter Übergang zum Online-Angebot?

Die katholische Bischofskonferenz zog Ende Januar die Konsequenz: Die zweiwöchentliche Zeitschrift "Filmdienst" wird in ein Online-Angebot verwandelt.
Stefan Förner: "Man möchte einen behutsamen Übergang machen und nicht bei diesem Übergang quasi alle verlieren – also die, die es jetzt gedruckt lesen, verlieren und die anderen nicht erreichen, indem man dann ein online-Angebot macht, das keiner liest. Der 'Filmdienst' hat den großen Vorteil, es gibt das 'Lexikon des internationalen Films', darin enthalten tatsächlich alle Filme, die in der BRD und in der DDR ins Kino gekommen sind – mit einer Kurzkritik. Fachleute sagen, das ist mit das Verlässlichste, was es gibt, also die Daten, die Namen, die Jahre, die da angegeben sind. Das muss man nicht gegenchecken. Diesen Schatz wollen wir natürlich weiterführen, den wird es auch online geben."
Aber aller Wahrscheinlichkeit nach ist der Schatz des "Filmdienst" auf einem Abstellgleis gelandet. Denn Hinweise aus kirchlichen Quelle deuten darauf hin, dass der Filmdienst ebenso wie andere gesamtkirchliche Projekte vom Verband der Diözesen Deutschlands einer Kategorie zugeschlagen wurde, die ein Auslaufen vorsieht. *

Korrektur: Da der Titel "Zeitschrift Filmdienst: Kirchliche Filmkritik ist von der Abwicklung bedroht" irreführend war, haben wir ihn zu "Zeitschrift 'Filmdienst': Katholische Filmkritik vor dem Aus?" aktualisiert. *Eine in der vorhergehenden Fassung geäußerte Spekulation über den Fortbestand von "epd-Film" haben wir gelöscht, weil wir dafür keine ausreichenden Hinweise haben.