Zuwanderung

Debattieren anstatt zu predigen

Eine Gruppe von Menschen vor einem Maschendrahtzaun im Gegenlicht.
Flüchtlinge warten vor dem Zentrum auf der griechischen Insel Lesbos auf ihre Registrierung. © picture alliance /dpa /Yannis Kolesidis
Von Wolfgang Herles · 24.10.2015
Es helfe nicht, die hohen Flüchtlingszahlen schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen, sagt Publizist Wolfgang Herles, und wünscht sich eine Debatte. Hier sei zu unterscheiden zwischen der zulässigen und notwendigen Diskussion über geregelte Einwanderung und dem gefährlichen Geschrei am rechten Rand.
Erinnern wir uns an so schreiende Titel wie im Spiegel: "Mekka Deutschland - die stille Islamisierung". Oder im Stern: "Islam - warum wollen sie uns töten?". Oder im Focus: "Die Multikulti-Lüge."
Der Hysterisierung aus kommerziellen Motiven folgte Pegida - die Zusammenrottung der Dumpfbacken. Vor einem Jahr wurde sie groß - und blieb doch eine sehr überschaubare Minderheit verpeilter Wutbürger. Die Mehrheit der Anständigen verständigte sich schnell darauf, dass Pegida eine Schande für Deutschland sei. Es war eine überwiegend moralische, keine politische Debatte. So war Pegida ein bequemes Feindbild, mit dem man sich kaum auseinandersetzte. Und die irgendwie dazu gehörende Partei, die AfD, verschliss sich selbst. Beide waren beinahe schon reif für den Müll. So sah es aus.
Aber dann? Dann kamen die Flüchtlinge. Und Angela Merkel schaffte es. Nicht bloß Willkommenskultur blühte auf, es wucherten auch wieder die Sumpfblüten von Pegida.
Die Grundfesten von AfD und Pegida: Untätigkeit und Versagen
Die Öffnung der Grenzen, Untätigkeit und Versagen der Politik, haben nicht nur AfD und Pegida wiederbelebt. Gegenstimmen kommen inzwischen von allen Seiten, wie Tübingens Grüner Oberbürgermeister Boris Palmer belegt. Man könne nicht aus Rücksicht "auf rechte Idioten" die Debatte vermeiden, sagte der. Dafür seien die Probleme zu direkt. Diejenigen, die offene Grenzen für alternativlos halten, machen es sich zu einfach, wenn sie den rechten Rand als braune Bewegung dramatisieren und damit, ob bewusst oder nicht, auch ihre Gegner in der Mitte moralisch diskriminieren.
Nicht derjenige bekämpft Pegida klug, der zur Vermeidung falschen Beifalls seine Zunge hütet und den Diskurs verweigert, wie die Kanzlerin es lange getan hat.
Es hilft weder den Flüchtlingen noch der Gesellschaft, die gewaltige Zahl der Ankommenden schulterzuckend zur Kenntnis zu nehmen. Nicht die Zuwanderung an sich, ihre beängstigende Dimension ist der Kern des Problems. Die meisten von denen, die der Kanzlerin die Zustimmung inzwischen verweigern, sind FÜR Einwanderung zu haben. Doch eben für die geregelte Einwanderung einer überschaubaren Menge von Migranten. Mit Pegida haben diese grundsätzlich befürwortenden Bürger nichts am Hut.
Es muss nun auch über Grenzzäune und die Begrenzung der Flüchtlingszahlen offen, kontrovers und hitzig gestritten werden. Wer lieber predigt, statt überzeugen zu wollen, muss sich nicht wundern, wenn die AfD im nächsten Bundestag mitredet.
Die Spießer leben länger als ihr Spießerstaat
Im Unterschied zur ersten Pegida-Welle scheint das Feuchtgebiet der Fremdenfeinde diesmal deutlich auf das ehemalige Tal der Ahnungslosen konzentriert zu sein. Auch darüber darf man nicht hinwegsehen. Da hat die angeblich antifaschistische DDR tatsächlich einen gewaltigen Schmutzfleck hinterlassen. Die Spießer leben länger als ihr Spießerstaat. Der wohlfeile Spruch: Ausländerfeinde gibt es in ganz Deutschland, ist zwar nicht falsch. Aber er hilft nicht über die Tatsache hinweg, dass es im Osten viel mehr sind. Wer das Problem nicht benennt, erhält es am Leben.
Dummheit steht leider nicht unter Strafe. Aber natürlich gibt es Grenzen der Meinungsfreiheit. Dafür ist die Justiz zuständig. Galgen gehören weder auf eine Pegida- noch auf eine Anti-TTIP-Demo. Geistige Brandstifter haben auch in Talkshows nichts zu suchen; sie beleben dort allenfalls die Quote, aber nicht die Streitkultur. Die Gewalt gegen Flüchtlinge muss alarmieren. Sie nimmt zu, aber doch nicht, weil zu viel diskutiert wird.
Wir müssen also insgesamt besser unterscheiden. Zwischen der zulässigen und notwendigen Debatte um geregelte Einwanderung und dem gefährlichen Geschrei am rechten Rand. Leicht ist diese Unterscheidung nicht. Aber es hat auch niemand behauptet, dass lebendige Demokratie so einfach sei wie ein evangelischer Kirchentag.
Mehr zum Thema