Zum Tode Götz Georges

"Götz war Workaholic"

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Der Schauspieler Götz george wurde 77 Jahre alt. © Martin Athenstädt dpa/lnw
Roland Suso Richter im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 27.06.2016
Der Regisseur Roland Suso Richter hat den verstorbenen Schauspieler Götz George als Künstler gewürdigt, der sich wie kaum ein anderer mit größter Energie und Ausdauer in seine Rollen gestürzt habe. Das Publikum habe an ihm das Anarchistische gemocht.
Götz George habe für seine Arbeit "gebrannt und gelebt", sagt Richter. Das habe ihn ausgezeichnet: "Götz war Workaholic." Dass George in seinem Film "Nichts als die Wahrheit" 1999 den KZ-Arzt Mengele spielte, sei eine "großartige Erfahrung" gewesen:
"Götz George war abends immer ganz anders, wir haben viel Rotwein getrunken, wir haben viel über die Rolle gesprochen, und am Morgen, wenn er aus seinem Trailer kam, war er Mengele, und er blieb Mengele bis zum Abend."

"Es gab kein Ausweichen aus der Figur"

Es habe zwischendurch "keinen Witz, kein Ausweichen aus dieser Figur" gegeben. Der Regisseur würdigte insbesondere Georges Fähigkeit, vor dem Dreh verschiedene Spielvarianten zu durchdenken: "Man sprach tatsächlich den ganzen Abend bei fünf gefühlten Flaschen Barolo über den Film." Über Nacht sei dann aus vielen eine Version entstanden - "und das war sie dann auch".
Mit seiner Paraderolle des Kommissars Horst Schimanski verband George nach Ansicht Richters "dieses bisschen Anarchistische, das er gesucht hat, also immer einen Weg gehen, der eben ein bisschen anders ist, ein bisschen provozieren". Die Menschen habe stark angesprochen, dass der Schauspieler kein Blatt vor den Mund genommen habe und authentisch gewesen sei: "Er hat immer versucht, für die Sache und für den Film zu kämpfen - und das haben die Leute auch honoriert."

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Götz George ist gestorben. Ein langes, ein reiches Schauspielerleben, das zu Ende ist, das wir heute weiter würdigen im Deutschlandradio Kultur, denn der Mann war ja mehr als Horst Schimanski – er war Westerndarsteller in den Sechzigern, er war am Theater, er war in komischen Rollen wie in "Schtonk!" und in sehr ernsten wie in dem Film "Nichts als die Wahrheit", ein Film des Regisseurs Roland Suso Richter aus dem Jahr 1999, und da spielte George den KZ-Arzt Mengele. Eine Rolle, in die er sich quasi selbst hineingeredet hatte.
((Einspieler))
Götz George im Originalton. Der Mann, der ihm damals die Rolle dann gab als KZ-Arzt Mengele, der Regisseur Roland Suso Richter, ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!
Roland Suso Richter: Guten Morgen!
Frenzel: Ich vermute, Sie haben diese Besetzung nicht bereut.

Abends George, tagsüber Mengele

Richter: Nein, auf gar keinen Fall. Er hat sich wirklich… Wir haben natürlich überlegt, wie machen wir das, wie kriegen wir das hin. Wir haben dann wirklich schminken müssen und in diese alte Fassung schminken müssen, aber es war eine großartige Erfahrung. Er hat sogar den Film mitproduziert, hat Geld mitgebracht, um den Film möglich zu machen.
Es gibt immer einen Moment, den ich total, den ich erinnere, ist, Götz George war abends immer ganz anders. Wir haben viel Rotwein getrunken, wir haben viel geredet, über die Rolle gesprochen, und am Morgen, wenn er aus seinem Trailer kam, war er Mengele, und er blieb Mengele bis zum Abend, und es gab zwischendurch keinen Witz, kein Ausweichen aus dieser Figur. Er war die Figur von morgens bis abends, bis er dann abends wieder aus dem Trailer kam und wir Rotwein trinken gegangen sind.
Der ehemalige KZ-Arzt Josef Mengele, gespielt von Götz George, sitzt in dem Kinofilm "Nichts als die Wahrheit" als Angeklagter im Gerichtssaal. In dem (fiktiven) Plot des Films war der "Todesengel von Auschwitz" von Argentinien nach Deutschland gereist und hatte sich der Justiz gestellt.
Der ehemalige KZ-Arzt Josef Mengele, gespielt von Götz George, sitzt in dem Kinofilm "Nichts als die Wahrheit" als Angeklagter im Gerichtssaal. In dem (fiktiven) Plot des Films war der "Todesengel von Auschwitz" von Argentinien nach Deutschland gereist und hatte sich der Justiz gestellt.© picture-alliance / dpa
Frenzel: Das heißt man kam da auch gar nicht an ihn ran, oder vielmehr er kam aus seiner Rolle nicht raus, er hat sich komplett reingestürzt.
Richter: Das ist seine große Kunst gewesen, dass er sich in diese Figuren, die er spielt, total reingearbeitet hat und nicht wie ein Schauspieler dann so zwischendurch mal zum Catering, und dann macht man Witze, und dann redet man über das Wetter von gestern oder was man noch gemacht hat, sondern er ist in dieser Rolle geblieben. Er konnte diese Figur Mengele auch nur begreifen, wenn er wirklich den ganzen Tag diesen alten, sicherlich sehr komplexen und komplizierten und schwierigen Charakter spielt.

Bei "gefühlten fünf Flaschen Barolo" über die Rolle sinniert

Frenzel: Und wenn Sie dann abends zusammensaßen beim Wein, wie Sie sagten, was für ein Mensch hat sich da gezeigt? Wie war Götz George?
Richter: Götz war Workaholic, also man sprach am Abend – das war aber auch toll an ihm –, man sprach tatsächlich den ganzen Abend bei fünf gefühlten Flaschen Barolo über den Film, über Filme, aber speziell den Film, und er machte etwas, was ich sehr interessant finde: Er hat an den Abenden immer im Grunde alle erdenklichen Möglichkeiten, wie er die Rolle spielen kann, wie er sie anlegen kann, was man machen könnte, an dem Abend im Grunde durchgedacht, durchgesprochen.
Uns beiden schwirrte dann immer, wenn wir dann um zwei oder drei endlich dann mal ins Bett kamen, der Kopf, aber wenn wir dann gedreht haben, war es klar, weil im Grunde über Nacht ist dann die Version aus den vielen, die man sich am Abend vorgestellt hat, ist dann hervorgekommen, und das war sie dann auch, und das fand ich auch toll. Aber er war wirklich Workaholic. Man hat eigentlich fast über nichts anderes geredet als über Film.
Frenzel: Götz George ist ja für viele oder für das breite Publikum richtig bekannt geworden als Horst Schimanski, als der "Tatort"-Kommissar. Ich glaube, viele haben da auch sehr viel mit ihm, also auch mit Götz George verbunden, das quasi biografisch überlappt. In Ihrer Beobachtung, wie viel Horst Schimanski steckte denn in diesem Götz George, den Sie erlebt haben?

Anarchistisch, provozierend und kämpferisch

Richter: Es ist, glaube ich, dieses speziell anarchistische, was er gesucht hat, also immer einen Weg gehen, der eben ein bisschen anders ist, ein bisschen provozieren. Ich glaube, das hat die Leute auch stark angesprochen, dass er einfach kein Blatt vor den Mund genommen hat. Er hat einfach gesagt, was er jetzt meint. Er hat auch manchmal gespielt, was er spielen wollte, auch wenn die Regisseure das nicht wollten, aber egal.
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Götz George spielt den Schimanski (Bild: dpa / Martin Athenstädt)© Martin Athenstädt dpa/lnw
Das hat ihn ausgezeichnet, und da war er ein Kopf mal ein bisschen durch die Wand, und ich glaube, das Publikum mag sowas, und wenn das dann auch authentisch rüberkommt, also wenn man nicht das Gefühl hat, da versucht jetzt einer, sich zu positionieren oder ist eitel und möchte sich sozusagen ins Rampenlicht stellen. Das hat er ja nie gemacht. Er hat immer versucht, für die Sache, also für den Film und für die Figur zu kämpfen, und das haben die Leute, denke ich, honoriert.
Frenzel: Würden Sie sagen, er war ein Universaltalent oder hatte er bestimmte Stärken? Wenn wir das lange Schauspielerleben des Götz George anschauen – er war ja auch am Theater, er hat Arthaus-Filme gemacht, er hat im Prinzip das breite Publikum bedient. Alles gleichermaßen gut?
Richter: In seiner Ausgiebigkeit, in der er das betrieben hat, indem er wirklich dafür da war und am Abend eben auch dafür da war und den ganzen Tag da war, da konnte er es eigentlich auch nur gut machen, weil das ist so viel Investment, was er da reinsteckt, so viel Energie, die er da reinsteckt. Also da muss ich wirklich sagen gibt es wenig Schauspieler, wo ich sage, die können das in der selben Energie, in der selben Ausdauer machen wie Götz. Das war einfach so. Er hat dafür gebrannt und dafür gelebt, und ich glaube, das hat ihn auch wirklich ausgezeichnet.

Der lange Schatten von Vater Heinrich George

Frenzel: Ein Thema, mit dem er sich erst am Ende seines Lebens befasst hat, war der starke Vater Heinrich George. Es gab diese Dokumentation, in der er seinen eigenen Vater gespielt hat. Hat man ihm das angemerkt, dass da sozusagen diese biografische Last auf ihm liegt?
Richter: Ich glaube, das verfolgt einen natürlich im Leben, im Positiven wie im Negativen. Also mein Vater ist auch sehr früh gestorben, und ich habe natürlich als Jugendlicher und als junger Regisseur gedacht, na, vielleicht schaffe ich das, komme ich so weit wie mein Vater, werde ich so alt wie mein Vater, werde ich so gut wie mein Vater. Ich glaube, da kommt man gar nicht raus, weil man hat natürlich auch den Gesprächspartner nicht, mit dem man sprechen kann. Ich glaube, das verfolgt einen ewig und lässt einen auch nicht los. Das ist halt so. Ich glaube, er hat natürlich versucht, das Beste draus zu machen, aber ich denke, ein Schatten, ob positiv oder negativ, der hat natürlich immer über ihm gelegen.
Frenzel: Der Regisseur Roland Suso Richter zum Tode von Götz George. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Richter: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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