Zu Fuß von Spanien nach Marokko

Von Susanne Billig · 05.01.2010
In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts schmiedete der Architekt Hermann Sörgel einen Plan: Ein gigantischer Staudamm - zweieinhalb Kilometer breit, 300 Meter hoch - sollte die Meerenge von Gibraltar zwischen Spanien und Afrika verschließen.
Manchmal beginnen Utopien tief in der Vergangenheit: Vor vielen 1000 Jahren lag der Spiegel des Mittelmeers mehr als 100 Meter tiefer. Wo heute nichts als Wind und Wellen rauschen, erfreuten zu jener Zeit weite, grüne Täler das Auge des Menschen.

1926 las der Architekt Hermann Sörgel ein Buch über die letzte Eiszeit - und es packte ihn die Idee, eine fantastische Zukunft daraus zu schmieden: Ein gigantischer Staudamm sollte die Meerenge von Gibraltar zwischen Spanien und Afrika verschließen - zweieinhalb Kilometer breit, 300 Meter hoch, zehn Jahre Bauzeit für eine Million Arbeiter. Nach vollendetem Werk schießen 88.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch gewaltige Turbinen und versorgen ganz Europa mit Strom. Zu Fuß gelangt man von Spanien nach Marokko, und ein neuer Kontinent ist geboren: "Atlantropa".

"Atlantropa bedeutet wörtlich so viel wie Festland am Atlantik. (...) Europa und Afrika sollen ja nicht nur ihre Kräfte summieren, die beiden Teile sollen sich gegenseitig durchdringen und steigern."

Der Visionär Hermann Sörgel in einem alten Interview. Weil das Mittelmeer schrumpft, wächst Europa um eine Fläche so groß wie Frankreich. Und wo in Afrika einst die Sahara unter der Sonne brannte, gedeihen nun Zitronen und Orangen. Selbst massive Klimaveränderungen nahm Hermann Sörgel gerne in Kauf:

"Eine Klimaumkehr würde weite Räume einer wirklichen Besiedlung erschließen, Afrika, den noch immer brachliegenden Kontinent und damit Atlantropa zu einem Erdteil der Zukunft machen."

Als überzeugter Pazifist verstand der Architekt seinen gigantomanischen Staudamm als Friedensprojekt - ein vereinter Superkontinent, mit Energie für immer sicher versorgt, nie wieder Krieg. Nach den Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs traf er damit den Nerv seiner Zeit und wurde wie ein Star gefeiert. Doch er diente seine Idee auch den Nazis an - ohne Erfolg. Und in Afrika sah er, ganz dem Kolonialismus verpflichtet, eine bloße Verfügungsmasse für europäische Expansionswünsche.

Computersimulationen zeigen heute, was passiert wäre, hätte man den riesigen Staudamm zwischen Afrika und Europa wirklich gebaut: Das verdrängte Wasser hätte weltweit Küsten überflutet. In den Ländern am Mittelmeer wären die Böden vertrocknet und versalzen. Der Visionär Hermann Sörgel starb 1952 - und mit ihm seine Utopie.