"Zu einem manierlichen Menschen wird man erzogen"

Asfa-Wossen Asserate im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.11.2009
Die Vermittlung von Manieren sei eine familiäre Aufgabe, sagte der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate. "Dieses Privileg dürfen sich die Eltern auch nicht von dem Staat oder irgendeiner anderen Institution wegnehmen lassen", betonte Asserate, der die Schirmherrschaft für die Ausstellung "Manieren" übernimmt, die ab Sonntag im Bremer Focke-Museum zu sehen ist.
Liane von Billerbeck: Er ist ein Prinz aus Äthiopien und ganz nebenbei auch eine Art Papst – jedenfalls, wenn es in Deutschland um Manieren geht. Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate. Als Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers geboren, hat er in Addis Abeba an der deutschen Schule Abitur gemacht, dann Geschichte und Jura studiert in Cambridge und Tübingen, und als er nach der äthiopischen Revolution nicht mehr zurück konnte in sein Land, hat er angefangen, als Unternehmensberater in Deutschland zu arbeiten und Bücher zu schreiben – über seine Herkunft als Prinz aus dem Hause David und sehr hochherrschaftlich über Manieren. Beide Bücher wurden hierzulande Bestseller. Ab Sonntag wird im Bremer Focke-Museum eine Ausstellung über Manieren gezeigt, über Geschichte von Anstand und Sitte aus sieben Jahrhunderten. Und als man einen Schirmherrn dafür suchte, da gab es natürlich nur einen: Dr. Prinz Asserate. Und der ist jetzt zugeschaltet. Herr Dr. Asserate, ich grüße Sie!

Asfa-Wossen Asserate: Ich grüße Sie auch, Frau von Billerbeck!

Liane von Billerbeck: Habe ich Sie jetzt richtig angesprochen oder hätte ich den Prinz hinzufügen sollen?

Asserate: Nein, es ist alles Schall und Rauch, wie Sie wissen. Die Art und Weise, wie man einen Menschen anredet, ist nicht von so großer Bedeutung. Es ist viel besser, wie man mit ihm umgeht.

Liane von Billerbeck: Es gibt ja heutzutage viele Unsicherheiten, was Manieren betrifft, weil scheinbar fast alles möglich ist. Man merkt das immer dann, wenn man auf einen besonders höflichen Menschen trifft. Mir ging das neulich so, da kam ein polnischer Gast, und der küsste mir ganz selbstverständlich die Hand. Bedauern Sie das?

Asserate: Ich bedaure es durchaus, aus dem ganz einfachen Grunde, weil die Menschheit nicht mehr so, wie soll ich sagen, anständig miteinander umgeht. Und diese ästhetischen Sachen gehören ja durchaus zu den Manieren. Ich habe immer wieder gesagt, Manieren sind nichts anderes als der ästhetische Ausdruck der Moral.

Liane von Billerbeck: Und das bezog sich jetzt nicht bloß auf die Oberschicht, sondern auf die gesamte Gesellschaft?

Asserate: Ich muss Ihnen sagen, das ist eine absolute Lüge zu glauben, dass man Manieren etwas nur für den Adel, für die gehobene bürgerliche Schicht seien. Ich darf Sie auch daran aufmerksam machen, sehen Sie sich mal Bilder aus den 20er-, 30er-Jahren, wie ein deutscher Arbeiter demonstrieren ging. Er hatte einen schwarzen Anzug und einen Bowler Hat auf dem Kopf.

Liane von Billerbeck: Da nehmen Sie mir jetzt fast eine Frage weg, die ich Ihnen stellen wollte. Wir haben ja seit zwei Monaten hier in Deutschland eine schwarz-gelbe Regierung, die sich gern bürgerlich nennt, und da wollte ich natürlich von Ihnen wissen, ob die bessere Manieren hat.

Asserate: Das wird sich natürlich feststellen, die sind ja kaum einen Monat im Amt. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich eines bedaure in Deutschland, und das ist, wie man überhaupt mit Regierungen, mit Menschen, die man selber gewählt hat, umgeht, vor allem, wie man sie anspricht. Mich können Sie, wie ich vorhin gesagt habe, ansprechen, wie Sie wollen. Aber dass man den gewählten Vertreter des deutschen Volkes mit Herr Schröder oder mit Frau Merkel anredet, ist eine deutsche Eigenart, die Sie nirgendwo in Europa und in dieser Welt finden. Es heißt selbstverständlich Monsieur le Président in Frankreich oder Mister President in Amerika und in England Mister Prime Minister.

Liane von Billerbeck: Und Frau Bundeskanzlerin.

Asserate: Das wäre natürlich genau das, was ich mir erhoffte. Aber das ist ein Titel, was ich leider Gottes sehr selten in letzter Zeit auch von den Medien höre.

Liane von Billerbeck: Sie sind ja nun als Prinz geboren, da scheint man die Manieren ja vielleicht nicht mit der Muttermilch, aber doch qua Erziehung aufzusaugen. Wer waren denn Ihre Vorbilder, was Manieren betrifft?

Asserate: Das waren natürlich in erster Linie meine Eltern, und so muss es auch glaube ich überall in dieser Welt sein. Die Manieren werden nicht ererbt, sie werden … zu einem manierlichen Menschen wird man erzogen. Und das findet sehr früh in der Familie statt. Und ich habe immer wieder gesagt, dieses Privileg dürfen sich die Eltern auch nicht von dem Staat oder irgendeiner anderen Institution wegnehmen lassen.

Liane von Billerbeck: Was war denn die erste Regel, die man Ihnen als Prinz beigebracht hat?

Asserate: Dass ich immer verstehen muss, dass der andere etwas höher ist als ich selbst.

Liane von Billerbeck: Das hätte ich jetzt nicht erwartet bei einem Prinzen.

Asserate: Das ist aber so. Sie werden erzogen zu dienen. Dienen ist das Wort, was wir von Kindesbeinen an lernen müssen und was man Ihnen ständig einhämmert.

Liane von Billerbeck: Macht einen das nicht ängstlich, wenn man einerseits Prinz ist und es wird einem eingehämmert, du sollst dienen, obwohl du eigentlich am oberen Ende der Skala der Gesellschaft stehst?

Asserate: Überhaupt nicht, Frau von Billerbeck, und das ist vielleicht auch ein Fehler, dass wir in Deutschland in den letzten 50 Jahren beobachtet haben, dass dieses Wort dienen einen negativen Beigeschmack mit sich gebracht hat, obwohl die deutschen Könige früher immer wieder gesagt haben, ich bin der erste Diener meines Volkes. Und ich glaube, dieses Jemandem-Dienen, ihnen zu Diensten stehen, ist ein wunderbares Wort, was wir vielleicht noch mal in unser Vokabular einführen sollten.

Liane von Billerbeck: Vielleicht liegt es daran, dass die deutschen Könige und Kaiser vom Volk nicht immer als Diener empfunden wurden, sondern als diejenigen, die ihnen nicht besonders gutgetan haben. Aber um noch das weiterzuführen, Sie haben ja Frau Bundeskanzlerin Merkel erwähnt, und die hat ja in ihrer Rede auch immer gesagt, als sie Bundeskanzlerin wurde: Ich will Deutschland dienen. Die entspricht doch dann Ihren Höflichkeitsregeln ganz besonders?

Asserate: Und wie, ich bin ein großer Verehrer der Bundeskanzlerin, nicht nur deswegen.

Liane von Billerbeck: Wenn wir mal bei der Anrede bleiben, die hat sich ja hierzulande sehr verändert über die Jahre und Jahrhunderte, von Hochwohlgeboren, von Gnädigste bis Herr, und jetzt erlebt man oft – jedenfalls erzählte mir das eine Professorin –, dass beispielsweise Studenten in einer E-Mail nur noch schreiben: Hallo! Würden Sie so was durchgehen lassen?

Asserate: Wissen Sie, wer bin ich? Ich bin doch keine Instanz, ich habe immer wieder gesagt …

Liane von Billerbeck: Och, das sind Sie schon.

Asserate: Nein, glauben Sie mir. Ich habe offiziell öfters von mir gegeben, dass es in Deutschland überhaupt keine Instanz gibt, die in der Lage wäre, uns zu sagen, wie wir uns anziehen, was wir essen sollen und wie wir es essen sollen. Diese Instanz gibt es nicht mehr.

Liane von Billerbeck: Vermissen Sie die?

Asserate: Überhaupt nicht. Ich glaube, das ist etwas, was ein jeder für sich geltend machen sollte. Wissen Sie, der große deutsche Schriftsteller Thomas Mann hat einmal in einem Brief an seinen Bruder Heinrich geschrieben: "Mein lieber Heinrich, du bist mir zu absolut. Ich aber habe mir erlaubt, mir selber eine Verfassung zu geben." Und das ist, was ich mir wünsche, dass ein jeder sich eine Verfassung gibt und sagt, ich weiß, wo meine Grenzen sind, ich weiß, wie weit ich gehen kann, ich weiß, was anständig ist auf dieser Welt, und ich werde alles tun, meinen Gegenüber niemals zu verletzen – ich lasse mich lieber verletzen, als dass ich jemanden anders verletze. Das ist die Philosophie der Manieren, der wahren Manieren.

Liane von Billerbeck: Sie haben Thomas Mann zitiert, ich zitiere mal einen anderen Großen aus der deutschen Literatur, nämlich Johann Wolfgang von Goethe. Der hat gesagt: "Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist." Hat er recht? Woran liegt das?

Asserate: Das ist nicht nur im Deutschen, auch im Englischen könnte man das auch sagen, aber vielleicht hat es in Deutschland Zeiten gegeben, wo das Lügen auch zu einer großen Kunst aufgestiegen war.

Liane von Billerbeck: Sie meinen das 17. Jahrhundert …

Asserate: Ganz genau.

Liane von Billerbeck: … und die Galanterie?

Asserate: Und die Galanterie in gewisser Weise, ja.

Liane von Billerbeck: Hatten oder haben wir Deutschen, was Manieren angeht, so einen großen Nachholbedarf, dass Sie eben auch ein Buch über Manieren schreiben mussten, das dann auch sofort zum Bestseller wurde?

Asserate: Nein, glauben Sie mir, das hat mit Deutschland überhaupt nichts zu tun, wenn man beklagt, dass die Manieren nicht mehr die sind, die sie mal waren. Das ist ein Phänomen, das Sie überall in Europa finden. Und da sind die Deutschen weder besser als die anderen noch schlechter.

Liane von Billerbeck: Also es gibt kein höflicheres Volk als die Deutschen?

Asserate: Ich würde sagen, es gibt durchaus ein Volk in dieser Welt, und das sind die Japaner, die höflichsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe.

Liane von Billerbeck: Gab es eigentlich eine Epoche, die Sie als die kultivierteste bezeichnen würden, was die Manieren angeht, in der Sie vielleicht gerne gelebt hätten?

Asserate: In der ich gelebt hätte, würde ich so nicht sagen. Ich bin dem Herrgott dankbar, dass ich da lebe, wo ich jetzt stehe. Aber natürlich, was die Galanterie angeht, was die Manieren angeht, was den Umgang mit den Menschen angeht, war das 18. Jahrhundert natürlich ein großartiges Zeitalter, ein Zeitalter auch der Aufklärung. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich natürlich unbedingt einen der größten Aufklärer in Deutschland erwähnen, der in Sachen Manieren auch etwas Großartiges von sich gegeben hat: Adolf Freiherr Knigge.

Liane von Billerbeck: Was haben Sie von ihm gelernt?

Asserate: Fast alles. Diese Beziehung über den Umgang mit Menschen, dieses gewaltige Buch ist meiner Ansicht nach eines der ersten deutschen Soziologiebücher.

Liane von Billerbeck: Wenn Sie am Sonntag zur Ausstellungseröffnung in Bremen gehen, wie sind Sie da gekleidet?

Asserate: Ganz normal, wie ich fast jeden Tag gekleidet bin, in einem Anzug mit Schlips. Und ich trage Schlipse nicht weil ich muss, sondern weil ich sie schön finde, Frau von Billerbeck.

Liane von Billerbeck: Sie tragen Schlips und nicht Krawatte?

Asserate: Jetzt haben Sie mich – jetzt haben Sie mich. Was ist der Unterschied?

Liane von Billerbeck: Das ist einfach nur ein begrifflicher Unterschied. Der eine sagt Schlips, das ist eher so umgangssprachlich, und der andere sagt Krawatte, das ist eher …

Asserate: Also ich glaube, Schlips ist doch deutsch, und insofern kann man durchaus ein deutsches Wort benutzen, nicht wahr? Ich liebe diese Sprache, wie Sie wissen, und da sehe ich keinen allzu großen Unterschied.

Liane von Billerbeck: Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate war mein Gesprächspartner. Der Schirmherr der Ausstellung "Manieren", die von Sonntag an bis zum 30. Mai 2010 im Focke-Museum Bremen zu sehen ist. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch!