Wowereit fordert inhaltliche und personelle Erneuerung der SPD

Klaus Wowereit im Gespräch mit Gabi Wuttke · 28.09.2009
"Wir müssen Lehren ziehen aus diesem desaströsen Wahlergebnis", fordert der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, die SPD auf. Neben einer inhaltlichen Neuausrichtung müssten auch personelle Veränderungen eintreten. Vorschnelle Rücktritte des Führungspersonals lehnt Wowereit jedoch ab.
Gabi Wuttke: Die Sozialdemokraten wussten, dass sie sich warm anziehen mussten, aber die Wähler stellten sie in den Gefrierschrank. So tief wie bei keiner anderen Bundestagswahl sank die SPD. Klaus Wowereit ist jetzt am Telefon, der Regierende Bürgermeister von Berlin, der seit vielen Jahren eine rot-rote Koalition führt und als Vertreter der kommenden SPD-Generation gehandelt wird. Guten Morgen, Herr Wowereit.

Klaus Wowereit: Guten Morgen, Frau Wuttke.

Wuttke: Die SPD braucht eine Erneuerung und Verjüngung. Das haben Sie gestern schon kurz nach 18 Uhr sehr deutlich gesagt. Was meinen Sie konkret?

Wowereit: Na ja, wir müssen natürlich Lehren ziehen aus diesem desaströsen Wahlergebnis. Es war zwar so, wie die Umfragen es uns vorhergesagt haben, aber wir haben natürlich gehofft, dass wir bei der Wahl viel mehr Stimmen bekommen werden. Das heißt, wir müssen gucken, was haben wir eigentlich falsch gemacht und wie konnte es dazu kommen. Ich habe zwei Gründe, einerseits: Es gab keine Wechselstimmung, zweitens auch: Wir hatten keine Machtoption, wir konnten den Menschen auch nicht sagen, ja, mit Frank-Walter Steinmeier haben wir die Chance, den Kanzler zu stellen. Dieses hatten wir diesmal nicht und das hat dazu geführt, dass viele gar nicht wussten, was sie überhaupt machen sollen. Viele sind deshalb auch zu Hause geblieben.

Wuttke: Aber eine Erneuerung und Verjüngung der Partei, das heißt Auswechselung des Personals auf höchster Ebene.

Wowereit: Das heißt nicht Auswechselung des Personals, sondern das heißt eine Aufstellung mit neuen Kräften zusammen. Das heißt, wir haben jetzt die Fraktion, die wird sich neu positionieren. Da ist ja die Zahl der Abgeordneten klar. Da muss man sehen, die besten Kräfte in die entsprechenden Funktionen zu bekommen. Und die SPD wird auf ihrem Bundesparteitag im November in Dresden die neue Parteispitze wählen. Das ist dann der engere Vorstand plus Präsidium plus Vorstand. Da müssen neue Akzente gesetzt werden und das wird auch passieren.

Wuttke: Nach dem Ergebnis für die SPD hätte man sich auch den sofortigen Rücktritt von Franz Müntefering vorstellen können. Ist es Ihrer Ansicht nach nach diesem Wahldesaster schwer für ihn, dass er nicht Papst werden kann?

Wowereit: Ich glaube, das ist für jeden Parteivorsitzenden schwer, der mit so einem Ergebnis vor die Öffentlichkeit treten muss. Das ist völlig klar. Aber ich glaube, wir wären jetzt falsch beraten, wenn wir jetzt so tun würden, dieses Ergebnis haben zwei Männer zu verantworten, der Kanzlerkandidat plus der Parteivorsitzende, und die anderen hatten mit dieser Veranstaltung nichts zu tun. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir alle den beiden zugejubelt haben, am Freitag beispielsweise auf dem Pariser Platz, wie wir gemeinsam das Wahlprogramm verabschiedet haben, wie wir gemeinsam die Akzente gesetzt haben. Insofern gibt es eine Gesamtverantwortung, die muss wahrgenommen werden von jedem einzelnen.

Und wir müssen wie gesagt uns inhaltlich positionieren. Da müssen Tabus weg. Und wir müssen dann sehen, dass wir die Kräfte, die in der Partei da sind, bündeln und dass wir beispielsweise Hannelore Kraft, eine hervorragende Frau, die auch Spitzenkandidatin in Nordrhein-Westfalen ist, noch stärker in die erste Reihe mitschieben, um deutlich zu machen, wir haben in Nordrhein-Westfalen eine riesige Aufgabe vor uns und da wollen wir gewinnen.

Wuttke: Aber es macht den Eindruck, als würde sich Franz Müntefering an seinem Stuhl festklammern. Er hat gerade bei den Kollegen im Deutschlandfunk gesagt, es gehöre nicht zu seinen Eigenarten, wegzulaufen, wenn es schwierig wird. Trotzdem ist es doch auch klar, dass - Sie haben es ja gesagt - einzelne Konsequenzen für jeden der Verantwortlichen gezogen werden muss, und das betrifft auch die Person Franz Müntefering.

Wowereit: Es geht mir darum, dass die Partei sich aufstellt, und wie sich die Partei aufstellt, das werden die Gremien heute beraten. Da geht es ja nicht nur um die Frage des Parteivorsitzenden, sondern da geht es um alle Funktionen, die da im engeren Parteivorstand auch zu besetzen sind. Das muss auch eine überzeugende Lösung sein und erst wenn man das sieht und weiß, welche Personen dann dabei sind, kann man das endgültig beurteilen.

Wuttke: Herr Wowereit, sind Sie bereit, Ihrer Partei mit einer klaren Funktion auf Bundesebene unter die Arme zu greifen?

Wowereit: Ich bin ja in einer Situation, wo ich ja praktisch über die Funktion sowieso in einem Parteigremium mit dabei bin. Das habe ich in der Vergangenheit getan, das werde ich auch in Zukunft tun. Es geht auch nicht um die einzelne Person, sondern es geht insgesamt um eine Aufstellung, wie kann die Partei in Zukunft geführt werden, und das werden wir in den Gremien beraten.

Wuttke: Aber Sie können ja das eine sein, ohne das andere zu lassen?

Wowereit: Das könnte man theoretisch, aber ich sage mal, es wäre wirklich ein schlechter Stil, wenn man das heute hier im Radio diskutieren würde, sondern wir haben da die Gremien, die tagen ab 10 Uhr und ich glaube, es ist ganz wichtig, dass ein Diskussionsprozess in der Partei geführt wird.

Wuttke: Einen Versuch mache ich noch, Herr Wowereit. Zeitgleich und fast wortgleich mit Ihnen haben Andrea Nahles und Olaf Scholz einen Umbau der SPD gefordert. Nur Sigmar Gabriel schweigt. Helfen Sie uns, das zu interpretieren, oder müssen wir uns unseren eigenen Reim darauf machen?

Wowereit: Ich glaube, dass Sigmar Gabriel das genauso sieht. Das ist kein Unterschied.

Wuttke: Es ist ja die Frage: Es sind jetzt ja Vakanzen dort frei. Er hat ja ein bisschen Zeit.

Wowereit: Ja, aber ich glaube, dass Sigmar Gabriel eine wichtige Person ist in der SPD. Das hat er noch mal gezeigt. Er hat einen sehr starken Wahlkampf geführt, hat auch polarisiert, hat Akzente gesetzt gegen die Atompolitik der Schwarz-Gelben, und Sigmar Gabriel wird sicherlich in der SPD weiterhin eine wichtige Rolle spielen.

Wuttke: So wie Sie. Frank-Walter Steinmeier hat sich als Chef der Bundestagsfraktion empfohlen. Wollte er eigentlich nur, wenn die SPD wenigstens 25 Prozent einfährt. Ist das für Sie die richtige Position für ihn? Kann er damit den Horizont der SPD erweitern?

Wowereit: Ganz wichtig ist, dass eine klare und auch überzeugende Entscheidung für die Fraktion getroffen wird, weil die Fraktion wird natürlich jetzt in der Oppositionsrolle auch ganz entscheidende Arbeit leisten müssen. Sie ist ja dann auch wichtig und stärker, als das mit einer Regierungsbeteiligung war, das Sprachrohr für die inhaltlichen Positionierungen der Bundes-SPD. Da ist selbstverständlich gut, wenn die Fraktion ziemlich einvernehmlich sich auf einen Fraktionsvorsitzenden einigt. Wenn Frank-Walter Steinmeier dort nicht zur Verfügung stehen würde, dann hätte es sicherlich eine Kampfkandidatur gegeben und dann hätte man auch nicht gewusst, wie es ausgeht.

Wuttke: Der Sozialdemokrat Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin, im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Wowereit, vielen Dank und wir warten ab, was jetzt alles so für Sie passiert.

Wowereit: Alles Gute!