World Conference Center Bonn

Das tiefste Millionengrab Deutschlands

Das World Conference Center Bonn (WCCB) befindet sich im Bundesviertel von Bonn.
Das World Conference Center Bonn (WCCB) befindet sich im Bundesviertel von Bonn. © Imago / Sepp Spiegl
Von Alois Berger · 21.04.2015
Beim Bau des Gebäudekomplexes "World Conference Center Bonn" wurden Millionen Euro versenkt. Die Verantwortlichen des Desasters sind der Investor und der Architekt aus Korea, ein Geldgeber aus Honolulu und ein Kredithai aus Zypern - die Geprellten kommen aus Bonn.
Am Platz der Vereinten Nationen in Bonn: Rechts der frühere Plenarsaal des Bundestags, links ein unregelmäßiger Flachbau aus dunklem Stahl und dunklem Glas, groß genug, um Konferenzen für 5000 Menschen aufzunehmen. Dahinter ein 17-stöckiges Hochhaus, das ein Hotel werden soll. Überall wird noch schneller gehämmert und gefräst als sonst. Die Handwerker haben versprochen, sich zu beeilen. Dafür haben sie der Stadt einen Nachschlag von ein paar Millionen abgepresst. Aber Bonn hatte keine Wahl, der Bau muss zum 1. Juni fertig sein. Dann beginnt im nagelneuen WCCB, im World Conference Center Bonn, eine UN-Tagung zum Klimawandel.
Die Teilnehmer aus aller Welt sollten besser Gummistiefel mitbringen. Die Baufirmen geben trotz des Nachschlags keine Garantie, dass sie fertig werden. Zu viele Unwägbarkeiten, zu viele Versäumnisse beim bisherigen Bauverlauf. Die Stadt Bonn muss sowohl das Risiko als auch die überhöhten Rechnungen übernehmen. So läuft das seit zehn Jahren.
Dabei sollte das Konferenzzentrum längst fertig sein und auch nichts kosten, jedenfalls nicht für die Stadt Bonn. Ein privater Investor würde das WCCB bauen und betreiben, so hatten sich Stadtrat und Bürgermeister das vorgestellt, das nötige Geld werde das angeschlossene Hotel einspielen. Ein schöner Plan, meint Andreas Riegel von Transparency International, der aber nicht funktionieren konnte. Riegel kommt selbst aus Bonn und hat aus nächster Nähe beobachtet, wie Investoren kamen und gingen.
Andreas Riegel: "Wenn bei einem großen Projekt alle Investoren sich verabschieden und sagen, das ist wirtschaftlich nicht durchzuführen, dann hat das Signalwirkung und dann muss man sich fragen, ob man dort ein marktfähiges und wirtschaftlich sinnvolles Projekt anbietet."
Genau diese Frage wollten sich die Bonner Stadtoberen auf keinen Fall stellen. Denn einerseits ist die Stadt fast pleite, andererseits will sie unbedingt ein Konferenzzentrum. Schließlich war man mal Regierungssitz und der Bedeutungsverlust schmerzt immer noch. Deshalb hofft Bonn auf eine Zukunft als UN-Stadt. Immerhin unterhalten die Vereinten Nationen inzwischen 19 Einrichtungen mit gut 800 Mitarbeitern in Bonn, vom Fledermausbüro bis zum Klimasekretariat. Nach den Gepflogenheiten der Weltorganisation darf sich Bonn damit bald UN-City nennen. Voraussetzung aber ist ein Konferenzzentrum, groß genug für UNO-Konferenzen.
Als sich 2005 doch noch ein Investor meldete, waren Bonner Politiker wie auch viele Bürger sofort begeistert. Beim ersten Spatenstich kam die damalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann ins Schwärmen.
Bärbel Dieckmann: "Dass wir mit ihrem Unternehmen, mit SMI Hyundai, ein Unternehmen gefunden haben, das bereit ist, mit uns dieses internationale Konferenz-Zentrum zu bauen: Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, sie sind ein Glücksfall für Bonn."
Die Baukosten explodierten
Der Glücksfall für Bonn hieß Man Ki Kim, ein Koreaner, dessen Firma SMI Hyundai auch in Fachkreisen unbekannt war. Die Bonner Stadtoberen glaubten an eine Verflechtung mit dem koreanischen Autokonzern Hyundai und der smarte Mister Kim ließ immer wieder kleine Bemerkungen fallen, um diesen Glauben zu stärken. Die Bonner forschten nicht nach, sie wollten einfach glaubten, dass hinter der kleinen SMI Hyundai Corporation der große Auto-Konzern steht.
Doch Kim, der Glücksfall für Bonn, brachte kein Glück. Die Baukosten explodierten, aus den 100 Millionen wurden 130, 170 und mehr. Kim schickte die Rechnungen, die Stadt zeichnete ab, hatte aber keine Ahnung, was auf der Baustelle passierte. Um Kosten zu sparen hatte die Oberbürgermeisterin auf Fachleute verzichtet und zwei verdiente Rathaus-Mitarbeiter mit dem Projekt betraut, die Rechnungsaufsicht bekam das städtische Gebäudemanagement. Man kann auch am falschen Ende sparen, meint Andreas Riegel von Transparency International.
Riegel: "In diesem Fall war es so, dass das städtische Gebäudemanagement schon im Vorfeld signalisiert hat, dass man die Rechnungprüfung nicht ordnungsgemäß und mit der nötigen Tiefe durchführen kann. Wenn man das nicht kann und entsprechende Signale hat, muss man gegensteuern. Dann muss man entweder auch diese Leistung extern einkaufen, oder man ebnet dann eben für kriminelles Handeln und Falschabrechung und Betrug den Weg."
Investor Kim hatte noch ein anderes Problem. Er hatte kein Geld. Schon zu Baubeginn hätte er 40 Millionen Euro Eigenkapital nachweisen müssen, konnte aber nur zehn Millionen auftreiben. Die Stadt sah großzügig darüber hinweg. Erst als die Sparkasse keine weiteren Kreditraten mehr auszahlen wollte, kam Bewegung in die Sache. Aber keine gute Bewegung: In seiner Verzweiflung lieh sich Kim von einem Kredithai mit Sitz in Zypern zehn Millionen Euro, Laufzeit sechs Monate, Zinssatz: 60 Prozent. Aber es kam noch schlimmer: Als Sicherheit musste Kim 94 Prozent der Anteile am World Conference Center Bonn hinterlegen.
Um aus der üblen Sache wieder rauszukommen, beschaffte sich Kim in Honolulu weitere 30 Millionen – und verpfändete das Bonner Konferenzzentrum gleich nochmal. Weil er den ersten Kredit zu spät zurückzahlte, hatte das Bonner Zukunftsprojekt plötzlich zwei wildfremde Eigentümer, einen auf Hawaii, den anderen auf Zypern. Als sich die beiden 2009 vor einem Bonner Gericht um die Anteile stritten, stand die Stadt hilflos daneben und begriff langsam, was ihr da passiert war. Die damalige Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann suchte verzweifelt Halt.
Dieckmann: "Unser wichtigstes Ziel ist, das Konferenzzentrum fertig zu bauen. Dieses ist eine ganz wichtige Maßnahme für Bonn. An diesem Ziel müssen wir festhalten."
Die Staatsanwaltschaft zog die Notbremse
Nicht die Stadt, die Staatsanwaltschaft zog die Notbremse. Sie verhaftete den Architekten, den Anwalt und den Berater des Investors und schrieb Man Ki Kim zur internationalen Fahndung aus. Denn Kim hatte sich vorsorglich abgesetzt. Gut ein Jahr später wird Kim in den USA festgenommen, wie der Oberstaatsanwalt Fred Apostel im Lokalfernsehen bestätigt,
Fred Apostel: "... dass wir im Rechtshilfeverfahren die Verhaftung und Auslieferung von Herrn Kim in den USA beantragt haben. Das ist am Montag erfolgt. Herr Kim ist am Montag verhaftet worden."
Der Investor Man Ki Kim wird schließlich zu sechs Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Doch für die Stadt ist der Alptraum noch nicht zu Ende. Der Insolvenzverwalter hat Ende 2009 die Baustelle schließen lassen - bis zur Klärung der Eigentumsverhältnisse.
2013, nach vierjährigem Baustopp, übernimmt die Stadt das Projekt dann selbst, mit allen Nebenkosten: Ein paar Millionen für den Kredithai, damit der seine Anteile zurückgibt. Ein paar Millionen für die Bauunternehmen und Handwerksbetriebe, damit sie bauen, was nach Kims Rechnungen längst gebaut sein müsste. Knapp zehn Millionen für externe Berater, und ein paar Millionen für die Gerichtskosten.
In 28 Prozessen versucht die Justiz herauszufinden, wer welchen Anteil an dem Desaster hat. Die Legende, dass die Stadt unschuldig auf einen gerissenen Betrüger hereingefallen ist, lässt sich schon lange nicht mehr halten, sagt der Journalist Wolfgang Wiedlich, der die Geschichte des WCCB seit zehn Jahren für den Bonner Generalanzeiger verfolgt:
Wolfgang Wiedlich: "Wir haben zehn Angeklagte, davon sind die Hälfte städtische Mitarbeiter. Insgesamt sind über 55 korruptive Tateinheiten angeklagt, Untreue, Beihilfe zur Untreue, Betrug in besonders schwerem Fall, Beihilfe zum Betrug, Urkundenfälschung, also die gesamte Palette kommt vor. Letztlich stehen Prüfer und Geprüfte gemeinsam vor Gericht."
Im Wesentlichen geht es um die Frage, ob die städtischen Angestellten nur naiv bis unfähig waren oder ob sie wussten, was sie taten. Haben sie weggesehen, weil sie das Konferenzzentrum um jeden Preis retten wollten, oder haben sie irgendwann sogar Geschenke angenommen. Und es wird darum gehen, wer die 100 Millionen zu tragen hat, die die Sparkasse Köln-Bonn dem Investor geliehen hat. Der jetzige Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch gibt sich gelassen.
Jürgen Nimptsch: "Wir befinden uns noch im Rechtsstreit mit der Sparkasse Köln-Bonn, die von uns einen Zahlungsbetrag erwartet, dessen Rechtmäßigkeit wir bestreiten. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir gewinnen und von uns keine Euro mehr fließen muss."
In Wirklichkeit sieht es auch hier nicht gut aus für Bonn, denn die Stadt hatte für die Kredite mehrere Bürgschaften übernommen.
Arbeiten am WCCB sollen Ende Mai abgeschlossen sein
In Bonn wundern sich viele, dass einigen Angestellten des Rathauses der Prozess gemacht wird, aber ausgerechnet die Ermittlungen gegen die damalige Oberbürgermeisterin Dieckmann eingestellt wurden. Schließlich beteuern alle Beschuldigten, sie hätten die Rathausschefin in allen wichtigen Fragen ständig informiert. Doch die Staatsanwaltschaft fand keine Beweise: keine E-mail, keine Unterschrift, keine Notizen. Andreas Riegel von Transparency International kann sich trotzdem nicht vorstellen, dass Bärbel Dieckmann nichts gewußt hat.
Riegel: "Das kann man glauben, man muss das aber nicht glauben. Ich habe persönlich Zweifel daran, dass das so sein kann. Eine Verwaltungsspitze muss ihre Verwaltung im Griff haben. Dass das Leuchtturmprojekt schlechthin für Bonn, eines der größten kommunalen Infrastrukturprojekte in Deutschland, komplett an der Verwaltungsleiterin vorbeigelaufen sein soll, ist ausgesprochen schwer vorstellbar."
Die Arbeiten am Konferenzzentrum sollen Ende Mai abgeschlossen sein. Das Kongresshotel wird noch länger brauchen. Um die explodierten Kosten in den Griff zu bekommen, hat die Stadt den Rohbau des Hotels vor zwei Jahren verkauft. Doch damit ist das geplante Geschäftsmodell geplatzt. Denn die Einnahmen aus dem Hotel sollten den Betrieb des Konferenzzentrums finanzieren. Wie viele Millionen die Stadt künftig jedes Jahr für den Betrieb des WCCB aufbringen muss, weiß derzeit niemand.
Zusätzlich zu Zinsen und Abzahlung der Baukosten, die irgendwo zwischen 200 und 250 Millionen Euro liegen dürften. Viel Geld für ein World Conference Center, das nichts kosten sollte. Und sehr viel Geld für eine Stadt mit gerade einmal 300.000 Einwohnern. Doch Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch ist schon wieder zuversichtlich.
Nimptsch: "Das ist dann so, das war zu schultern, weil sonst der internationale Standort eklatant gefährdet worden wäre. Das können wir nicht machen, das ist sozusagen Deutsche Stadt der Vereinten Nationen. Das ist unser neues Markenzeichen. Das war zu erfüllen, aber das wird sich am langen Ende auch rechnen."
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