Wohnen in Deutschland

Wenn plötzlich die Familie auf der Straße landet

Auf blauem Hintergrund sind die Silhouetten einer Familie mit Mutter, Vater, Tochter und Sohn in weiß zu sehen.
Zwangsgeräumte Familien können sich in Berlin an das Obdachlosenasyl Teupe wenden. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Dana Sindermann · 17.10.2014
Die Miete wird erhöht, der Lohn gekürzt, im schlimmsten Fall muss die Wohnung zwangsgeräumt werden. In Berlin-Neukölln fängt ein Obdachlosenheim Familien in Not auf.
"Ja",
antwortet der Vater, ein souveräner und redseliger Mann eigentlich, aber jetzt doch einsilbig, auf die Frage, ob er sich erinnert, an den Tag, an dem er in der Teupe gelandet ist, Berlins größtem Obdachlosenasyl.
"Also jetzt biste unten."
...dachte er da.
"Wenn ich ehrlich bin."
Mit fünf Taschen in der Hand. Fünf Kindern an der Seite und seiner Frau.
"Durch Eigenverschulden, brauchen wir gar nicht drüber zu reden, sind wir in die Situation reingekommen."
Mietschulden hatten die Eltern. Deswegen wurde ihre Wohnung Anfang des Jahres geräumt. Fünf Zimmer, Küche, Bad - 14 Jahre das Zuhause der Familie – waren plötzlich verschlossen und versiegelt.
"Wir haben einen Fehler gemacht, wir haben niemanden verletzt, niemanden was weggenommen oder eine Straftat gemacht. Und deswegen hab ich auch gesagt, ich möchte schon meinen richtigen Namen nennen, weil ich hab nichts zu verbergen."
Glück im Unglück
Dachdecker in Festanstellung, war Werner Schrebkowski. Aber kurz nach der Wohnung verlor er aus anderen Gründen auch noch seinen Job. Die Familie hatte Glück im Unglück: Das Bezirksamt verwies sie an Berlins einziges Obdachlosenhaus mit professionellem Betreuungspersonal und gesondertem Familienbereich. 2011 wurde der eröffnet.
"Weil aufgefallen ist, dass immer mehr Familien ankommen."
Linda Kautzor ist Sozialarbeiterin im Familienbereich der Teupe.
"...und das eben drüben kein besonders geschützter Raum ist gerade für Kinder, die dann auch mal über den Gang rennen. Wenn die dann auf nen depressiven alkoholisierten obdachlosen Mann, wie das so das Bild ist, treffen, kann's dann auch zu Schwierigkeiten kommen."
Drei Etagen eines sachlichen, rund einhundert Jahre alten Gebäudes, haben 24 Familien – das ist der Durchschnitt – jetzt für sich.
"Wir sind meistens voll."
Das breite Treppenhaus und der Flur erinnern an eine Schule. Pro Etage gibt es neun Zimmer, eine Küche, gemeinsame Toiletten und Duschen. Alles etwas alt, aber sauber.
"Sind viele Kinder im Haus."
Kleine Kinder, sie gehen noch nicht zur Schule, spielen auf den Fluren. Sie sehen aus wie jedes andere Kind. Auch ihre Eltern tragen saubere Kleidung, viele Mütter Schmuck und gepflegtes Haar. Einige von ihnen kommen aus südlichen EU-Ländern oder Drittstaaten.
"Die kroatische Familie, die sind nach Berlin gekommen, weil sie sich bessere Chancen ausgemalt haben, haben bei der Tante gewohnt, mussten da die Wohnung aber verlassen, weil es da einfach zu eng geworden ist. Das kleine dunkelhaarige Mädchen kommt aus ner Familie, die tatsächlich Kriegsflüchtlinge sind aus Syrien, das Asylverfahren durchlaufen haben und jetzt keine Wohnung finden, aber auf nem guten Weg sind."
Unterstützung durch Sozialarbeiter
Sozialarbeiter unterstützen die Familien wo sie können – bei der Wohnungssuche, bei gesundheitlichen, finanziellen und rechtlichen Fragen. Und vor allem: im Kontakt mit zahllosen Ämtern. Manche Familien scheuten den früher – mit verheerenden Folgen.
"Das ist durchaus ein Problem, dass die Postbearbeitung schwierig ist. Dafür gibt's verschiedenste Gründe. Der naheliegende ist natürlich die Sprachschwierigkeiten. Ein anderer Grund ist, dass es auch bei deutschen Familien durchaus Menschen gibt, die nicht lesen können. Und natürlich auch die Angst, wenn man immer wieder Briefe bekommt, da steht irgendwas von Geld, man kann nicht so richtig einordnen, und macht die Briefe letztendlich gar nicht mehr auf. 05:01 Wenn das ganz ignoriert wird, dann steht irgendwann ganz unvorbereitet ein Gerichtsvollzieher vor der Tür, klingelt die Familie raus, die haben dann ein, zwei Stunden Zeit ihre Wertsachen und Papiere rauszunehmen und müssen die Wohnung dann verlassen. Wohnung wird versiegelt, die dürfen auch nicht zurück."
Viele Familien stammen, wie die Schrebkowskis, aus Berlin-Neukölln. Lange waren Vermieter froh, wenn überhaupt jemand ihre Wohnung mietete. Heute versuchen Immobiliengesellschaften Mieter mit alten Verträgen rauszukaufen oder gehen andere Wege, um sich von ihnen zu trennen.
"...großer Zuzug, immer mehr Mieterhöhungen, diese ganzen Veränderungen von Stadtvierteln, das passiert ja schon seit mehreren Jahren, und ich denke schon, dass das ein Grund dafür ist, dass mehr Familien gekündigt werden, da ist einfach die Hemmschwelle auch gesunken glaub ich, weil Vermietern auch klar ist, dass sie die Mieter bekommen können, die sie wollen."
Die Anzahl der Räumungen in Berlin ist in den letzten zwei Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen.
"Kommse rein! Wir haben zwei Zimmer übrigens."
Das Beste daraus machen
Die Schrebkowskis versuchen das Beste aus ihrer Situation zu machen. Poster hängen an den Zimmerwänden – mit Tiermotiven, der Nationalelf, den Alpen oder dem Meer. An der Schrankwand neben dem Tisch klebt ein Essensplan.
"Wir haben uns ausgedacht, wir haben ja auch Familienhelfer, da hat jeder sein Lieblingsessen, das sucht er sich aus und das gibt's dann an den jeweiligen Tagen."
Auf dem Plan fehlt allerdings ein Name.
"Meine Tochter, die ist im Moment stationär untergebracht, die ist hier mit der Situation nicht klar gekommen, (...) und da haben wir jetzt in Absprache mit dem Jungendamt ne Unterkunft für sie gesucht. Das hat ihr sehr gut getan, die ist acht."
Die Familie – eins der Kinder ist auch schwerbehindert – fühlt sich gut unterstützt von den Sozialarbeitern und auch von den Ämtern. Am liebsten würden die Schrebkowskis wieder eine Wohnung in Berlin Neukölln mieten.
"Die Chance ist unglaublich gering, nach unserer Einrichtungen einen eigenen Wohnraum in Neukölln beziehen zu können. Es gibt kaum freie Wohnungen und die, die's gibt, sind zu teuer und passen auch nicht in dieses Jobcenter-Raster. Zum Teil ist es durchaus so, dass Vermieter 50cent über der Jobcenter-Grenze bewusst die Miete ansetzen, so dass das Jobcenter auch ablehnt, die Kosten für diese Miete zu übernehmen."
Als er das hört, schaut der starke, unbeugsame Familienvater betrübt zu Boden. Aber ganz aufgeben will er die Hoffnung nicht.
"Ich hab auch sehr viele Freunde hier. Das wäre schon wie ein Sechser im Lotto, wenn man weiter hier wohnen könnte."
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