Wirtschaftsforum in St. Petersburg

Alexis Tsipras als Stargast

Alexis Tsipras besucht Wladimir Putin in Moskau und lässt den russischen Präsidenten als Nebendarsteller erscheinen.
In Brüssel wirken die wiederholten Treffen zwischen Alexis Tsipras und Wladimir Putin wie eine Provokation © dpa / Alexander Zemlianichenko
Ansgar Belke im Gespräch mit Nana Brink  · 19.06.2015
Der Wirtschaftswissenschaftler Ansgar Belke hat den politischen Showcharakter der Visite von Griechenlands Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Russland betont. Mit Milliarden-Krediten für Athen rechnet er nicht.
Er hege Zweifel daran, dass Moskau überhaupt Milliardenkredite an Griechenland bereitstellen könne, sagte der Währungsexperte der Universität Duisburg-Essen, Ansgar Belke im Deutschlandradio Kultur. Die EU-Sanktionen hätten die russische Wirtschaft stark getroffen und die Devisenreserven gingen stetig zurück. Russland habe auch Risikokredite an Zypern verweigert.
Tsipras will innenpolitisches Image stärken
"Wir sollten hier eher von einem politischen Anker für Russland ausgehen", sagte Belke. Die russische Wirtschaft sei zwar an griechischen Großprojekten gerade im Energiesektor interessiert, aber es gehe bei dem Besuch auf dem Wirtschaftsforum in St. Petersburg vor allem um eine politische Signalwirkung. "Tsipras ist relativ unerfahren international und ich denke, er will sein innenpolitisches Image schärfen und er will selber an der Macht bleiben, auch falls es zum Grexit kommt", sagte Belke über die heutige Zusammenkunft zwischen Tsipras und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Gestern, als sich die Euro-Finanzminister noch über Griechenland und einen Weg aus der Krise beraten haben, gestern also hat sich der griechische Regierungschef Alexis Tsipras zu einem Wirtschaftstreffen nach St. Petersburg aufgemacht, dort wird er auch mit seinem russischen Kollegen Putin zusammentreffen. Es ist eine Art russisches Pendant zum Weltwirtschaftsforum von Davos. Florian Kellermann:
Das russisch-griechische Verhältnis (01:09)
(Deutschlandradio Kultur, Studio 9, 19.06.2015)  
Der griechische Regierungschef Tsipras wird also zu einem Wirtschaftstreffen nach St. Petersburg reisen. Viele westliche Politiker meiden dieses Forum in diesem Jahr aus naheliegenden Gründen – nicht so Tsipras. Das Zeichen, das er senden will, ist ja kaum zu übersehen in diesen Tagen, und wie es ankommt, das hat IWF-Chefin Christine Lagarde gestern offenbar gemacht. Sie sagte nämlich, wir müssen eine Lösung im Dialog finden, und das geht nur mit Erwachsenen. Ansgar Belke, Volkswirtschaftler und Währungsexperte an der Uni Duisburg-Essen ist jetzt bei uns hier am Telefon. Guten Morgen!
Ansgar Belke: Guten Morgen!
Politischer Anker für Russland
Brink: Ist denn Russland der letzte Anker für Griechenland, oder wie bewerten Sie diesen Besuch von Tsipras bei Putin?
Belke: Ich denke, dass von einem letzten materiellen Anker nicht die Rede sein kann, denn dieser wird nicht wirklich tragen. Wir sollten hier eher von einem politischen Anker vor allem für Russland und nebenbei auch für Griechen ausgehen. Es ist zwar richtig, dass die russische Wirtschaft an Großprojekten in Griechenland, gerade im Energiebereich, interessiert ist, aber wenn die wirklich realisiert werden und Gewinn bringen, nur dann kann das dem griechischen Staat im hohen Milliardenbereich etwas bringen. Ansonsten haben wir es aber eher mit einer politischen Signalwirkung zu tun, und vor allen Dingen dann, wenn so Dinge wie die Handelsöffnung auch Ungarn und Zypern gegenüber vorgenommen würden, und auch, wenn Russland jetzt, wie abzusehen, versucht, Ungarn, Serbien, Mazedonien und Griechenland gemeinsam für die Gasleitung zu interessieren.
Aber ich würde sagen, letztlich muss man sich die materielle Lage Russlands anschauen. Denn die Sanktionen der EU treffen Russland gerade deutlich, die Devisenreserven gehen stetig zurück. Und was will Russland mit Krediten an ein überschuldetes Land, das seine Auslandsschulden schon jetzt wegen fehlenden Exportwachstums und ausbleibender Devisen nicht zurückzahlen kann. Und Russland hat schon Hilfskredite für Zypern verweigert, und deshalb wird das Land dieses Risiko erst recht nicht für Griechenland eingehen. Deshalb hege ich Zweifel daran, dass Russland die Kreditmilliarden, von denen die Rede war, überhaupt bereitstellen kann und will. Im Extremfall sprechen Tsipras und Putin in Petersburg über kleine Kredite, falls jetzt der Grexit kommt. Aber das ist rein spekulativ.
Brink: Also dann verstehe ich Sie als Volkswirtschaftler richtig, das ist ein reiner Showbesuch?
Belke: Ich denke, das ist reiner Showbesuch. Materiell wird es nichts geben, lediglich das, was Russland direkt realwirtschaftlich nützt. Das wird es verbinden natürlich mit einer Gewinnteilhabe an Griechenland. Aber das ist alles realwirtschaftlich gedeckt und ist ein Geben und Nehmen. Tsipras ist relativ unerfahren international, und ich denke, er will sein innenpolitisches Image schärfen und selber an der Macht bleiben, auch falls es zum Grexit kommt.
Andere Lage in Portugal
Brink: Ansgar Belke, wir erwischen Sie ja gerade in Portugal, das erklärt auch ein bisschen die vielleicht etwas schlechte Leitung ab und an, in Portugal. Wie reagiert man denn dort auf diese Griechenlandkrise oder auf diese ganzen komplizierten sich hinziehenden Verhandlungen, die wir gerade sehen?
Belke: Man muss zunächst sagen, dass in Griechenland die Syriza regiert, in Spanien jetzt auch Podemos Aufwind hat als extreme Partei. Aber so eine Partei, die an der extremen Rechten oder auch Linken angesiedelt ist, die das politische, wie man so schön sagt, Panorama jetzt wirklich erzittern ließe, ist schließlich nicht in Sicht. Das unterscheidet Portugal also gerade von Griechenland, aber auch von Frankreich, Italien etc. Es gibt viel Widerspruch gegen die jüngsten griechischen Rufe nach Neuverhandlung der Schulden. Auch die Idee einer Schuldenkonferenz kommt wirklich nicht gut an.
Ich erinnere mich, dass der Regierungschef Portugals davon sprach, das sei wirklich keine begeisternde Perspektive für Portugal, die die Probleme mit eigenen Anstrengungen gelöst hatten. Das gilt auch gerade für Irland und Spanien, sodass wir nicht von einer Südfront Portugals mit Griechenland reden können. Aber die Portugiesen gehen, wenn man mit ihnen auf der Straße spricht, selbst Taxifahrern – Taxifahren ist übrigens billiger als in Griechenland – dass die Zugeständnisse an die Griechen, an Zinserleichterungen auch, auch für Portugal etwas gebracht haben.
Die Portugiesen haben ihrer Bevölkerung harte Opfer abverlangt, die Regierung hat gesagt, das Ganze sei alternativlos. Insofern wäre es ein großes Problem, wenn jetzt Griechenland mit Nachsicht behandelt würde. Allerdings sehen die Griechen keine Ansteckungsgefahr mehr, da beide Länder himmelweit, so wie sie sagen, unterschiedlich sind. Portugal hat den Turn-around geschafft, sie haben Leistungsbilanzüberschüsse, sie sind aus dem Troika-Programm raus, und deshalb würde Wut entstehen, wenn die Gläubiger bei Griechenland sozusagen einknicken würden. Und auch ist zu berücksichtigen, dass bei einer Staatspleite der Griechen eben auch Portugal büßen müsste und nicht nur Deutschland. Jeder hat seinen Anteil daran.
Brink: Ansgar Belke, Volkswirtschaftler und Währungsexperte an der Uni Duisburg-Essen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Belke, und einen schönen Gruß nach Portugal. Danke!
Belke: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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