Wirtschaftsforscher gegen Einführung von Mindestlöhnen

Moderation: Birgit Kolkmann · 27.03.2007
Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Ulrich Blum, hat vor der Einführung von Mindestlöhnen gewarnt. Sie würden zu mehr Arbeitslosen führen. Je höher Mindestlöhne seien, desto mehr Kapital werde ins Ausland abwandern.
Birgit Kolkmann: Professor Blum, gestern Abend beriet ja die Koalitionsrunde über den Niedriglohnsektor. Morgen werden die Beratungen fortgesetzt. Wie nützlich ist denn eine ideologische Debatte über das Für und Wider staatlicher Einmischung?

Ulrich Blum: Also grundsätzlich muss der Staat sich mit dieser Frage befassen. Allerdings müsste er dann irgendwann nach reiflichem Nachdenken zu dem Entschluss kommen, dass er lieber die Hände davon lässt. Es gibt dafür mehrere Gründe. Auch ein Grund ist sicher, dass, wenn Sie Mindestlöhne zu weit nach oben schrauben, natürlich dies durch Technologien ersetzt wird. Sie können auch bei der Gebäudereinigung noch einiges automatisieren. Der zweite Teil ist, dass immer jede Produktion, die wir haben, sozusagen auch nachgefragt werden muss. Das ist der typische Fall bei den Friseuren. Wenn Sie dort Mindestlöhne einführen, dann werden eben die Leute nicht mehr zum Friseur gehen oder weniger zum Friseur gehen, die Leute werden arbeitslos, und man wird das auch durch Technologie, zum Beispiel den Haarstab, den man bei Tchibo kauft, ersetzen.

Kolkmann: Sollte man dann alles dem freien Spiel der Kräfte überlassen oder ist das dann auch wieder gefährlich?

Blum: Nein, das sollte man nicht. Der Staat kann ja durchaus eine menschenwürdige Lebensweise garantieren. Er sollte nur darauf aufpassen, dass er nicht die Marktpreise beeinflusst. Das sind zwei völlig unterschiedliche Paare Stiefel, und das, was ideologisch daran ist, ist die Erkenntnis, dass man als Staat möglicherweise nicht garantieren kann, dass das Erwerbseinkommen ein Auskommen ermöglicht oder gewährleistet. Da muss dann der Staat etwas draufsatteln. Das macht er faktisch mit dem großen Kombilohnmodell ALG II.

Kolkmann: Müntefering hat ja nun auch das Verbot sittenwidriger Löhne wieder ins Spiel gebracht. Die gibt es ja eigentlich schon bereits. Was aber bedeutet das konkret? Ist das der Versuch, einen Mindestlohn durch die Hintertür einzuführen, wie das CSU-Generalsekretär Söder sagte?

Blum: Letztlich ja. Und die Schwierigkeit ist, dass der Lohnempfänger in der Regel, wenn er seine Arbeit verliert, weil er letztlich nicht mehr das erarbeiten kann, was als Marktleistung verkauft werden kann, dass er nicht ausweichen kann. Der Kapitaleigner, der kann natürlich letztlich sein Kapital ins Ausland bringen und trotzdem eine Rendite abschöpfen, und die Folge ist, dass ein Mindestlohnmodell immer riskiert, dass die Lohnverteilung zu Lasten der Arbeit geht, das heißt, je höher Sie die Mindestlöhne setzen, desto mehr Kapital wird auch ins Ausland abwandern und dort nach einer produktiven Verwendung suchen.

Kolkmann: Wo Sie gerade mit Ihrer Antwort ins Ausland abgewandert sind, schauen wir noch mal nach England: Dort ist ja vor einigen Jahren auch ein Mindestlohn eingeführt worden. Da wurde vorher eine ähnliche Diskussion geführt, dass dieses Arbeitsplätze vernichten würde. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Kann man das übertragen auf Deutschland?

Blum: Also da muss man sehr vorsichtig sein. Jedes Land hat seine eigenen institutionellen Rahmenbedingungen. Die Engländer haben mit dem Mindestlohnmodell, das mit Sicherheit auch seine Schwierigkeiten hat, aber den Arbeitsmarkt dramatisch entschlackt und entbürokratisiert. Viele Regelungen, die bei uns zu den Errungenschaften einer sozialen Sicherung oder einer sozialen, sagen wir, Vorhersage meiner Karriere, die sind abgeschafft worden. Also insofern müsste man dann sauber sagen, was haben die Engländer getan, was haben sie nicht getan? Und sie haben, das ist richtig, Mindestlöhne geschaffen auf einem relativ niedrigen Niveau, aber sie haben eben auch eine hohe Flexibilität im Arbeitsmarkt und natürlich auch eine viel, viel geringere Unterstützung der Arbeitslosen beziehungsweise derjenigen Personenkreise, bei denen das Arbeitseinkommen nicht reicht, um einen Lebensunterhalt zu gewährleisten.

Kolkmann: Nun sagen ja die Gewerkschaften, ein Mindestlohn muss her, weil sonst die Löhne immer weiter runter gehen. Dumpinglöhne haben wir ja schon zum großen Teil, vor allen Dingen auch in Ostdeutschland, dazu können Sie sicher auch im Detail etwas sagen. Wenn Arbeit arm macht, dann sind wir doch wohl nicht auf dem richtigen Weg, oder?

Blum: Da haben Sie völlig recht. Aber auf der anderen Seite, nicht wahr, ich sagte ja vorhin, wir haben letztlich ein Kombilohnmodell mit ALG II. Nur hat das, sobald die Leute Arbeit aufnehmen, eine Entzugsrate von 80, 90 Prozent, das heißt also, das, was zusätzlich verdient wird, kommt allenfalls zu 10, 20 Prozent beim Empfänger wegen der entsprechenden Kürzungen an. Und das macht die Sache wenig attraktiv. Das heißt also, Sie ruhen sich lieber beim Staat aus, als dass Sie Arbeit aufnehmen. Und gerade das Modell, das hier die Landesregierung in Bad Schmiedeberg fährt, zeigt ja sehr deutlich, dass es weniger darum geht, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern letztlich die Arbeitsplätze, die vorhanden sind, mit großer Sorgfalt zu füllen. Bad Schmiedeberg ist vor allen Dingen ein Betreuungstriumph, ein Triumph besserer Betreuung. Und deshalb sollte man sich vor allen Dingen um die Leute intensiver kümmern, sie weniger fernsteuern. Und dann muss man aber eben auch sagen, das ist der alte Vorschlag, lieber die Unterstützung etwas stärker senken, damit von dem, was dann beim Verdienst bleibt, auch mehr ankommt. Das halte ich für ausgesprochen wichtig, und das halten eigentlich alle Ökonomen für ausgesprochen wichtig, damit die Leute auch letztlich einen Anreiz haben, Arbeit aufzunehmen.

Kolkmann: Nun verlangt ja der Wirtschaftsminister Glos eine Verpflichtung zur Arbeit, wenn das Arbeitslosengeld II gezahlt wird. Macht das Sinn?

Blum: Das ist im Wesentlichen das, was ja in Bad Schmiedeberg hier in Sachsen-Anhalt durchexerziert wird, dass man die Leute sich anschaut, gibt es Möglichkeiten, dass sie arbeiten. Das sind zum Teil kommunale Tätigkeiten. Es gibt das Risiko, dass durch solche unterstützte Arbeit natürlich im größeren Stil marktliche Arbeit wegfällt, also beispielsweise von den Gartenbaubetrieben, die dann plötzlich die Gartenanlagen der Stadt nicht mehr anpflanzen. Das ist ein immenses Risiko, und dann werden Sie letztlich, wenn Sie das im Übermaß machen, diese Pflicht zur Arbeit, die Marktleistung ausdünnen, dort die Löhne unter Druck setzen, und dann haben sie die schlechteste aller Welten. Also wir kommen letztendlich nicht darum herum zu akzeptieren, dass in einer globalen Wirtschaft, in der jeder Mensch auf zwei Seiten des Marktes sitzt, nämlich einmal als Anbieter oder oft als Anbieter von Arbeitsleistung, aber eben auch als Konsument und Nachfrager, dass da eine neue Balance entsteht. Und der Staat hat nur zu sorgen dafür, dass die Leute dabei einen angemessenen Lebensstandard haben, und das bis heute in Deutschland noch der Fall.