Wir sind Kommune

Leben aus einer Kasse - luxuriöse Freiheit oder gut verwaltete Armut?

Die deutschlandweit bekannte Kommune ist inzwischen auf mehr als 70 Mitglieder angewachsen. Deren Grundprinzipien sind ein gemeinsames Wirtschaften mit dem Verzicht auf Privateigentum und im Konsens gefasste Entscheidungen.
Eine Bewohnerin vor den Gebäuden der Kommune Niederkaufungen. © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Jenni Roth · 23.06.2015
Kommunen, laufen da alle in bunten Kleidern rum? Gibt es da keine Türen? Geht da jeder mit jedem ins Bett? Zumindest nicht in Niederkaufungen, Deutschlands größter Kommune: Dort geht es vor allem um gemeinsames Leben und Wirtschaften.
- Ich baue kleine Schredder, die sind universal für Kunststoffe, Metalle, biologische Abfälle, alles was man sich vorstellen kann ...
-
Für?
- Zu recyceln oder forschen ... Weil meine Kunden sind hauptsächlich Labore, Unis, ich habe aber auch an Google, oder Nasa geliefert ...
- Was machen Google, Nasa damit?
- Forschung! Ich bin einziger Hersteller dieser Geräte in der ganzen Welt.
Marek, eingezogene Schultern, zerzauste Haare, steht in seinem kleinen Reich: eine hohe Halle mit zahllosen Gerätschaften, Maschinen, Werkzeug, ein 3D-Drucker.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Die Schlosserei - es riecht nach Metall.© Kommune Niederkaufungen
Exklusiver Lieferant für Google und Nasa - klingt nach einem guten Geschäft. Aber das Geld interessiert Marek nicht wirklich. Er behält es ohnehin nicht für sich. Sondern verteilt es stattdessen an seine fast 80 Mitbewohner.
Willkommen in Utopia, willkommen im Alltag der Gemeinschaftsökonomie einer Kommune. Kommunen? Die gibt es noch, heute, im Jahr 2015? So wie damals, in den 68ern? Laufen die immer noch in bunten Kleidern rum? Gibt's da Türen? Geht jeder mit jedem ins Bett? Gehen die für eine bessere Welt auf die Straße und werfen mit Steinen?
Zumindest nicht in Niederkaufungen, einem kleinen Ort nahe Kassel, gleich neben Oberkaufungen, wo Deutschlands älteste und wohl auch größte Kommune zu Hause ist: Seit 30 Jahren teilen sich hier mittlerweile mehr als 60 Erwachsene und 20 Kinder ein Girokonto.
Kein Leistungsdruck, keine abhängige Lohnarbeit
Weil sie keinen Leistungsdruck wollen, keine abhängige Lohnarbeit. Kein Leben, das auf Konsum und Ausbeutung basiert. Sondern ein Leben, indem es um mehr Miteinander geht, Menschlichkeit, um Umweltverträglichkeit und die Besinnung auf sogenannte wahre Werte.
Sind Kommunen wie Niederkaufungen ein vorbildliches Wirtschaftsmodell, das Platz für Nischen bietet? Oder eher ein System gut verwalteter Armut? Hilft das gemeinsame Wirtschaften gegen Entfremdung oder ist es im Gegenteil realitätsfremd? Was passiert hier mit der Arbeitsmoral, mit unseren vorherrschenden Prinzipien von Leistung und Anhäufung von Besitztümern?
Lisa: "Da ist jetzt ein Schloss, weil immer mal größere Mengen verschwunden sind ... Hier ist die Verwaltung, die Kasse, wo immer Bargeld drin ist, und Kassenbuch. Man trägt das Geld, was man nimmt, hier ein. Manche schreiben dazu, was sie gemacht haben, hier jetzt, Taschengeld, Porto ... Du kannst aber auch 50 Euro holen und die hast du im Portemonnaie."
Lisa ist 32 Jahre alt, studierte Sozialwissenschaftlerin. In ihrer Heimatstadt Kassel hätte sie einen guten Job gefunden. Aber sie zog vor zwei Jahren hierher und arbeitet jetzt in der Verwaltung - wo sie sich nicht nur um das Kommunenkonto kümmert.
- Wir haben einen Bildungsverein, da sind die Kita und das Tagungshaus und die Rote Rübe, der Hofladen, dann die Obstmanufaktur. Da sind viele von uns angestellt in dem Verein, dass die sozialversicherungspflichtig angestellt sind. Und wir haben den Kommune Niederkaufungen eV, dem gehört das Vermögen, das Gelände, die Häuser. Und das Erbe, das Kommunarden einbringen, wenn Verwandte sterben, das geht ja auch in unser Vermögen ein. Die Arbeitsbereiche zahlen auch Mieten an den Verein, dadurch kann der investieren, in Gebäude oder Maschinen.
- Sind die Tische hier selbst gemacht?
- Ja, hier in der Schreinerei.
Die meisten teilen nicht nur ihre Lebenseinstellung, sondern auch ihr Geld
Das Gelände ist etwa einen Hektar groß, die Kommunarden leben verteilt auf drei Gebäude in einzelnen WGs. In der Schreinerei riecht es nach Holz, nach Kindheit. Ein Stück weitergibt es einen Schweinestall, eine Milchwirtschaft, eine Schlosserei. Die meisten Kommunen setzen auf eine ökologische und hierarchiefreie Lebensführung, alle Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Vor allem aber teilen die meisten nicht nur ihren Wohnraum und ihre Lebenseinstellung, sondern auch ihr Geld.
Die Idee ist nicht neu. Schon im 16. Jahrhundert hatten die Mitglieder der Hutterer-Gemeinschaft außer Kleidung und Schreibstiften kein Privateigentum. In der Industrialisierung entstanden anarchistische Landkommunen, die eine Einheit von Mensch und Natur erhalten wollten. Und dann, im Zuge der 68er-Bewegung, die politischen Stadtkommunen, allen voran die Kommune 1.
Kommunen gibt es auch heute in Deutschland einige, allein 97 listet die Zeitschrift Contraste in ihrem Netzwerk - und das sind nur die explizit links ausgerichteten. Und auch wenn es keine offiziellen Zahlen gibt - es werden immer mehr, glaubt der Soziologe Matthias Grundmann von der Uni Münster:
"Das ist eindeutig ein Trend! Das hat auch damit zu tun, dass viele das nicht allein stemmen können, dass man also in eine gemeinsame Kasse investiert. Das erfordert aber gemeinsame Kraft. Die Vorstellung, die wir von Medien, Banken vermittelt kriegen, dass wir das selbst machen müssten, das ist eine zutiefst kapitalistisch gedachte Denkform, die den Einzelnen als Verantwortlichen und Kunden sucht, da verweigern sich immer mehr Menschen."
Treffen auf dem Olagshof
Das gilt auch und vor allem für junge Menschen. Gut 300 von ihnen treffen sich an Pfingsten auf dem Olagshof bei Dorf Mecklenburg: beim Kennenlernfestival "Los geht's", das seit fast 20 Jahren stattfindet.
Rund um das Wohnhaus sind Zelte und Pavillons aufgestellt. Auf Bierbänken sitzen Kommunarden und solche, die es werden wollen, bei Workshops zusammen. Ein paar mit weiten Cargohosen, bunten Röcken, einige Männer mit langen Zöpfen. Eine Frau trägt eine Ray-Ban-Sonnenbrille, eine andere modische Ponyfrisur. Es sind Sozialpädagogen da, Aushilfen einer Fahrrad-Selbsthilfewerkstatt oder aus einem Umsonst-Laden. Linguisten, Lehrer, Tätowierer.
Die Volksküche bereitet das Mittagessen vor, auf dem "Schmiertisch" in einem ausgemusterten Stall kann man sich schon vorher mit selbst gebackenem Brot und veganem Aufstrich versorgen. An Pinnwänden werben Gründungsgruppen für ihre Projekte. Sie heißen Lebensbogen, Luftschlösserei, Gemeinschaftsstifter. Oder Georgia.
Jona: "Wegen Klaus Hoffmann!"
Jona, 29. Zusammen mit ihrem Freund Stefan und zwei anderen Freunden gründet sie bei Potsdam gerade eine Kommune - benannt nach einem Song des Liedermachers Klaus Hoffmann.
"Komm mit mir nach Georgia - dort bauen wir halt eine neue Stadt ... "
"Für mich ist ein Warum, weil ich aus kleinfamiliären Strukturen raus will, und nicht abends nur mit einem Erwachsenen daheim sitzen und an die Wohnung gebunden zu sein. Sondern großes Zuhause haben mit Menschen die ich liebe und die meine Basis sind, dass ich gestärkt in Welt hinaus gehe und die Welt hoffentlich zu bessrem Platz mache. Für mich spielt große Rolle die Kinderbetreuung, dass die Strukturen günstiger werden, dass wir uns die Kinderbetreuung teilen, dass alles günstiger wird, Wohnraum, Essen. Und soziales Miteinander ist mir sehr wichtig."
Grundmann: "Die Suche nach Gemeinschaft ist eine zutiefst menschliche Suche, nach Verbundenheit, weil der Mensch ein soziales Wesen ist. Das liegt daran, wenn wir was gemeinsam machen, dass wir unsre individuellen Potenziale einbringen, aber auch etwas über uns hinaus wächst. Und dann entsteht etwas ein Mehrwert, den wir nicht ökonomisch bewerten können, den wir in Kriterien des Wohlbefindens, der Eingebundenheit verstehen können."
Das Teilen kommt in Mode
Richtig ist: Mehr als jeder dritte Haushalt in Deutschland ist ein Singlehaushalt, allein in Berlin werden 40 Prozent der Menschen anonym bestattet. Kirchenaustritte nehmen ebenso zu wie die aus Vereinen. Gleichzeitig aber kommt das Teilen in Mode: Modelle der Share Economy wie Tauschbörsen, Food-Coops oder Cars to go boomen - ebenso wie verschiedenste Formen gemeinsamen Wohnens: Mehrgenerationenhäuser, Hausgemeinschaften, Business-WGs.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Das Wohngebäude© Kommune Niederkaufungen
Zusammen leben - sicher, warum nicht. Aber das Geld teilen? Das geht immer noch vielen zu weit: Wenn ich doch mal nach Asien reisen will? Mal ein Menü mit fünf Gängen? Die Designertasche? Ein iPhone? Ein teures Geburtstagsgeschenk für Freunde? Für den Soziologen Grundmann ist das eine Grundsatzentscheidung:
"Weil das, was in der Individualökonomie über bleibt, landet auf dem Sparkonto, und hier in einem gemeinsamen Topf. Aber das ist ja nicht verloren. Es wird nur anders wertgeschöpft. Und die Frage: Das Bedürfnis nach einer Asienreise oder guten Schuhen, ist das wirklich ein Bedürfnis, das befriedigt werden muss? Oder dass es einem Hype geschuldet ist, einem Konsumverständnis, was uns eingebläut wurde und suggeriert, wir wären Herren über unsere Ressourcen. Aber wenn die fetten Jahre vorbei sind, sitzen wir in der Enge."
Das ist mit einer der Gründe, warum auch Volker, Anfang 50, sich für das Leben in Niederkaufungen entschieden hat:
"Viele können es sich einfach nicht vorstellen. Es gibt oft die Frage bei Führungen: Und was machst du, wenn du mal ins Kino willst? Ich glaube auch, es ist Angst vor persönlicher Einschränkung, dass einem die Freiheit genommen wird. Und es verändert was im Denken. Hier hab ich gefühlt ne Verantwortung - eine Jeans für 150 Euro Fairtrade, da würde ich heute sagen, ne, das geht nicht mehr. Das passt nicht mehr in mein Leben."
Im Obergeschoss hängt eine meterlange Pinnwand mit Aushängen: zu Workshops, Spüldiensten. Und eben auch Geldfragen. "Da draußen" arbeiten von den etwa 60 Erwachsenen nur etwa 50. Je nach Arbeitsbereich verdienen sie auf dem Papier verschieden viel, mindestens aber die gesetzlichen 8 Euro 50. Unter dem Strich aber regelmäßig unter 1000 Euro.
"Die Liste hier ist auch ganz interessant. Die Ausgaben über 150 Euro, dass ich die der Gruppe ankündigen muss. Hab gestern meinen Urlaub im Juni eingetragen, 300 Euro für Italien.
Für zwei Wochen, das reicht?
Ich hoffe! Mit dem Zug ... Campen. Das kündige ich dann hier an, dann können mich Leute darauf ansprechen."
Auch in Georgia soll es eine gemeinsame Kasse geben, da ist sich die Gründungsgruppe beim "Los geht's" einig.
Stefan: "Ich will Vermögensökonomie, weil es mir Sicherheit gibt. Ich will sicher alt werden, suche Menschen, die mit mir kapitalistischen Druck teilen, den will ich nicht allein aushalten, kann ich auch nicht."
Jona: "Bei mir spielt noch eine Sache ne Rolle, dass ich zwei Kinder habe von zwei Männern, die ich am liebsten auch dabei hätte. Und das sind nur zwei Leute in Umkreis, die auch Interesse haben an gemeinschaftlichem Wohnen, aber nicht zu diesen radikalen Schritten bereit wären."

Autorin: "Was glaubst du, warum die sich nicht trauen?"

Jona: "Ich glaub' eine fehlende politischer Auseinandersetzung, oder mit dem Konzept 'Angst vor mangelnder Sicherheit' ..."


Autorin: "Aber er hat gerade gesagt, er macht wegen der Sicherheit?"


Jona: "Das sind die gleichen Bedürfnisse, für die gibt's verschiedene Strategien. Manche mit der Strategie, ich häufe viel selber an, kann darüber verfügen, gehe ganz viel arbeiten, damit ich ganz viel hab. Andere sind wie Stefan: Wer weiß, ob ich in zehn Jahren noch so arbeitsfähig wie jetzt, ich brauch andere, die mich mittragen. Da ticken Menschen unterschiedlich. Sowohl die Entscheidung für eine solidarische Ökonomie, als auch dagegen hat mit Sicherheit zu tun.
An Twittern ist hier kaum einer interessiert
In Niederkaufungen ist Lisa auf dem Weg in die Bibliothek und zeigt auf die "Twitterrolle" an der Wand: Wenn man an der hölzernen Kurbel dreht, wandert ein Blatt Papier mit Kurznachrichten weiter nach oben. An virtuellem Twittern ist hier kaum einer interessiert, nur die Hälfte hat überhaupt ein Handy. Auch Volker hat keins.
"Ist das nicht Weltflucht?
Ne! Das hier ist meine Welt. Das ist die Wahrheit. Das draußen ist der Fake. Ich will nicht in einem Fake leben, will mich nicht veräppeln lassen, von der Werbung, von den ganzen Firmen, die sagen, kauf das, dann du bist glücklich. Quatsch!"
Und doch entstehen hier ganz andere Formen der Entfremdung. Dank der zentralen Kontenverwaltung muss keiner wissen, ob seine Haftpflichtversicherung 50 oder 100 Euro kostet. Oder was eine Monatskarte für die Bahn: Jeder kann sich jederzeit eine der übertragbaren Tickets nehmen. Keine lästigen Telefon- oder Stromrechnungen, kein Papierkrieg mit dem Finanzamt.
Nur ein kleines Gegenargument, finden die Kommunarden. Warum entscheiden sich am Ende dann doch so wenige dafür, dieses "echte Leben" zu leben?
"Weil sie sich einlullen lassen, Angst haben. Eine Angst, nicht geliebt zu werden, wenn ich nicht das habe, was die andern haben. Wenn ich anders bin. Ein Beispiel: Mein Opa, da gings darum: Wie, der lebt inner Kommune? Aber wenn ich dem 50 Euro zum Geburtstag schenke, hat der da überhaupt was von? Natürlich hab ich da was von! Das sind 50 Euro, die in unsre Kasse gehen, da haben alle was von. Aber das ging nicht in seinen Kopf rein. Der dachte, das ist doch ne Sekte! Bist du sicher, dass du das machen willst?"
Christian ist Koch und vor zweieinhalb Jahren eingestiegen. Auch oder gerade wegen des radikalen Ansatzes in Niederkaufungen. Denn hier gibt es neben der Alltags- auch eine Vermögensökonomie: Alles, was man besitzt oder in seiner Kommunenzeit erwirbt - zum Beispiel durch ein Erbe -, landet im Topf. Und da bleibt es auch. Wer aussteigt, bekommt nur ein paar Tausend Euro Starthilfe für das Leben draußen.
Manager, Anwälte oder Piloten sind eher selten
Sich so unwiderruflich festlegen - macht das nicht nur, wer ohnehin nichts hat? Tatsächlich sind Manager, Anwälte oder Piloten in solchen Gemeinschaften daher eher selten - da sind sich Kommunarden und Wissenschaftler einig.
"Wir hatten mal zwei Psychologen, die gut verdient haben. Die sind gegangen. Der eine fand das nicht erträglich, dass manche nichts verdienen, und was mit seinem Geld passiert. Man muss loslassen können, das angelernte Anhaften am Geld."
Grundmann: "Da brauch ich die Markenklamotte nicht, weil damit kauf ich mir nur ein gutes Gefühl, das ist eine Lüge. Das ist wie: Ich geh auf ne Party, in dem Augenblick fühl ich mich besser, aber hinterher wieder einsam und öde. Das Geld hat man dann ausgegeben für einen kleinen Augenblick des Gefühls, verbunden zu sein. In diesen Gemeinschaften setzt man dieses Gefühl auf Dauer, da hat man permanent Party, dieses Gefühl der Verbundenheit, nicht nur für diesen Abend."
Diese Verbundenheit kann auch ganz praktisch sein: Es ist immer jemand da, der den Computer reparieren kann, der zeigt, wie man Socken stopft oder der auf das Kind aufpasst. Man hat eine Auswahl an Zeitschriften und an Autos. Man muss nur alle zwei Wochen zum Spülen antreten, und noch seltener kochen. Und manche hacken auch mal das Holz, das aus dem Umland eingekauft wird.
"Wir machen das nur in Scheite. Und Solarzellen haben wir hier. Und auf das neue Dach kommt auch eine große thermische Solaranlage mit 40 Quadratmeter Fläche ..."
Und auch ohne viel Geld gibt es Luxus noch auf anderen Ebenen. Zum Beispiel beim Essen.
In der Küche steht Christian und schmeckt den Erbseneintopf fürs Mittagessen ab:
"Das ist gemischt, das Gemüse, das sind so drei Kilo ... Wir haben hier einen Sechsflammenherd, den braucht man auch ... Das hier ist aus dem Großhandel, weil jetzt Frühling ist. Unsere eigenen Gemüseanbaubetriebe haben gerade nur Asiasalat, Schnittlauch, Rote Beete. Das ist zu schmal, um ganze Woche zu bekochen. Dann kaufen wir dementsprechend über den Biogroßhandel zu."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Garten - alles bio.© Kommune Niederkaufungen
Alles Bio - das kann sich im wahren Leben nicht jeder leisten. Auch nicht täglich frisch gemolkene Milch, sieben verschiedene Brotsorten oder zwölf Käsearten.
Nebenan schieben ein paar Kommunarden den Servierwagen mit Geschirr ins Esszimmer. Um 13 Uhr stehen dann auch fast schon alle am kleinen Büffet Schlange, und sitzen dann in kleinen Gruppen an den Tischen. Jugendliche, Kinder, ältere Menschen. Die jüngste hier ist vier Jahre, der älteste 67.
Erst in der Küche gearbeitet, dann in der Kita
Danach gehen alle wieder in ihren Arbeitsbereich. Uwe teilt sich in der Verwaltung das Büro mit Lisa. 45 Jahre alt, Sozialpädagoge, Baumwollpulli mit Reißverschluss. Es ist schon sein dritter Job, seit er vor 14 Jahren hier eingezogen ist. Erst hat er in der Küche gearbeitet, dann in der Kita:
"Ich bin sicher, außerhalb der Kommune hätte ich so ne Stelle nicht so leicht gefunden, da hätte ich so was vorher schon mal gemacht haben müssen oder jemand gut kennen, der mir das zutraut ... Was ich faszinierend finde, wie durchlässig das ist. Sonst auf dem Arbeitsmarkt, da wird geguckt, wie sind die Qualifikationen. Dann später wird's immer spezieller, man muss bestimmte Erfahrung haben für den Zugang zu bestimmten Berufen, und ich würde sagen, diese Gesetze sind hier weitestgehend aufgelöst."
Sicher, auch "draußen" hätte man jederzeit die Freiheit, seinen Job zu kündigen. Nur: Geht man dieses Risiko ein, wenn man zudem vielleicht Kinder zu versorgen hat?
Aber wenn jeder gleich viel verdient - bleibt dann noch genug Anreiz, etwas zu tun? Klar könnte Uwe den ganzen Tag nichts tun. Würde man vielleicht im Plenum besprechen. Kündigen würde ihm keiner. Aber er vergleicht die Gemeinschaft mit einer Familie: Hier ist es bürgerlich akzeptiert, dass man sich als Eltern für die Kinder verantwortlich ist.
Uwe: "Arbeit ist nicht primär dazu da, um damit was zu essen kaufen und mit dem Auto in den Urlaub zu fahren. Sondern es ist Sinn darin. Wir haben tolle, sinnvolle Arbeitsbereiche. Das macht Spaß, sich dafür ins Zeug zu legen."
Überträgt sich der Leistungsgedanke in der Kommune vom Einzelnen auf die Gemeinschaft? Womöglich. Aber: In einer gesunden Form, glaubt der Soziologe Grundmann:
"Das Leistungsprinzip ist da nicht ausgeschaltet, viele Kommunarden geben ihr Bestes. Aber sie haben die Sensibilität, wann sie ausbrennen. Diese ganze Leistungsideologie schärft die Not der Menschen, sich über die eigene Leistung zu profilieren und dann auch die Gratifikation dafür einzusammeln. Das ist aber nicht die einzig mögliche, und keine sozial nachhaltige, weil sie die Menschen auseinanderbringt und dem Bedürfnis nach Verbundenheit entgegensteht. Sie gibt Sinn, Stabilität und die emotionale Basis, die wir brauchen."
Nur: Der Preis dafür sei hoch. Die Entscheidung für so eine Lebensform stehe unserem dominanten und anerzogenen Denken entgegen: dem Leistungsprinzip, der individuellen Nutzenmaximierung. Dass die Niederkaufunger trotzdem ein Stück ihrer Selbstbestimmung abgeben, davon profitieren auch ein paar Leute von "draußen".
Wer draußen seine Kosten hat, kann mit dem Kommunenlohn nicht leben
Zum Beispiel die zwölf demenzerkrankten Menschen, die hier in der Tagespflege untergekommen sind. Während die Bewohner von Altenheimen oft von überarbeiteten und schlecht bezahlten Pflegern abgefertigt werden, gibt es hier für zwölf Leute neun Betreuer: Teils examinierte Fachkräfte, aber alles Kommunarden. Leute von außen sind nicht nur aus Prinzip ein Tabu: Die Kommune könnte sie gar nicht angemessen bezahlen. Denn wer draußen seine Kosten hat, kann mit dem Kommunenlohn nicht leben.
Aus dieser Struktur wird ein Pflegekollektiv, wie es deutschlandweit wohl beispiellos ist. Und in der Marktwirtschaft kaum möglich wäre - ebenso wenig wie die anderen Formen der Nischenwirtschaft, die die Gemeinschaftskasse möglich macht.
Das Plenum ist Pflichtveranstaltung für alle. Heute geht es um Fragen zur Altersvorsorge, die in Kleingruppen schon vordiskutiert worden sind, und darum, bitte nicht zu viel Milch mit aufs eigene Zimmer zu nehmen. Aber die Gruppe will lieber nicht, dass das Aufnahmegerät läuft. Tatsächlich kocht die Diskussion hoch. Und auch wenn keiner ausfällig wird, in dieser Runde zeigt sich das vielleicht größte Problem von Kommunen.
Grundmann: "Man kann nicht einfach sagen, du nervst, lass mich in Ruhe. Diese Singlekultur suggeriert das! Ich mach meine Tür zu und hab meine Ruhe. Das heißt nicht, dass die Leute glücklicher sind, aber sie sind ganzheitlicher, vollständiger, sind mit sich und anderen in der Welt, und das verbindlich. Das ist das was die Menschen in Gemeinschaften suchen."
Beim Los geht's geben Altkommunarden ihre Erfahrungen an Jona und die anderen Gründer weiter: Wie man es schafft, Konsens herzustellen. Oder dass es durchaus viele Modelle der Gemeinschaftsökonomie gibt.
Heinz: "Wir machen oft Beschlüsse mit Verfallsdatum. Konsens ist ein sehr konservatives System, weil einer Veränderungen blockieren kann. Erstarrung ist für die Gruppe aber nicht sinnvoll. Wir sagen dann: Wir machen das jetzt für ein halbes Jahr, Jahr. Dann evaluieren wir. Oder eine Rückfallklausel, dass wer sagt: Ich bin bereit, das auszuprobieren, habe aber die Möglichkeit zu sagen, das funktioniert nicht."
Heinz lebt in der Villalocomuna, eine Stadtkommune in Kassel, vorher war er lange Jahre in Niederkaufungen.
Eine Kommune zu gründen, ist eine Herausforderung. Manchmal scheitert es schon an der Entscheidung, wo sie sein, wann es losgehen soll. Oder die bürokratische Wirklichkeit überholt die Anfangseuphorie. Und: Wo kommt das Geld her, wenn Crowdfunding oder private Darlehen nicht reichen?
Letztendlich sind eben auch Kommunen, ob existierend oder angehend, immer noch Teil des Systems. Andererseits:
Musik: "Komm mit mir nach Georgia - dort wirst du sehen, gibt es neue Ideen und wenn die Ideen wieder alt aussehen - dann bleiben wir nicht mehr ..."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Tagungshaus-Belegungsplan - alles eine Frage der Planung.© Kommune Niederkaufungen
Mehr zum Thema