Willkommen in der Teenager-Vorhölle

17.02.2012
In seinem Roman kommt der Jungschriftsteller Ben Brooks auf den unvermeidlichen Salinger-Vergleich gleich selbst zu sprechen. "Nachts werden wir erwachsen" erzählt witzig und unterhaltsam vom Freud und Leid des Teenager-Daseins in der englischen Provinz.
Der "Fänger im Roggen" ist nicht nur eine ganz wunderbare Coming-of-Age-Erzählung und Weltliteratur, sondern auch ein literarischer Fluch. Im Folgenden mussten sich alle Bücher über die Pubertät und das Erwachsenwerden stets an J. D. Salingers Klassiker messen lassen.

Unzählig sind die Epigonen, die Caulfield-Wiedergänger. Noch unzähliger aber die Verweise der Verlage bei jeweils neuen Coming-of-Age-Geschichten: "Holden Caulfield in Dortmund", der "Fänger in Hamburg", "Salingers Bruder (oder Schwester) im Geiste" etc.

Auch der gerade einmal 20 Jahre alte Londoner Autor Ben Brooks muss geahnt haben, dass ihn mit seinem neuen, angeblich schon vierten Roman "Nachts werden wir erwachsen" (im Original besser und schlichter: "Grow Up") der Salinger-Vergleich unweigerlich ereilen wird. Deshalb kommt er am Ende gleich selbst darauf zu sprechen: "Ich bin Holden Caulfield", sagt der 17 Jahre junge Held und Icherzähler Jasper, "nur weniger draufgängerisch und attraktiver". Ein bisschen Größenwahn, zumindest einen Haufen Selbstbewusstsein und Mut darf man Brooks attestieren. Zumal er seinen Helden selbst an einem Roman arbeiten lässt. Und dieser enthalte "irgendeine Moral" und handele von einem jungen Mann, "der mit starkem Charisma und Verstand gesegnet ist und versucht herauszufinden, was er machen soll".

Das trifft es ganz gut, zieht man vielleicht das Charisma ab. Dieser Jasper, der irgendwo in einem städtischen Vorort in den britischen West-Midlands wohnt, versucht herauszufinden was aus ihm werden soll. Leicht verwundert schaut er sich bei seinem Leben zu: beim Pornochat, beim Chatten überhaupt, beim Drogen nehmen, beim schlimme Bücher lesen (Hitlers "Mein Kampf", Schriften vom Klu-Klux-Clan), beim Parties feiern, Mädchen aufreißen, treue Freundinnen betreuen. Aber auch dabei, wie er mit seinem Stiefvater umgeht, den er für einen Mörder hält, bei Schulprüfungen, bei psychotherapeutischen Sitzungen. Die Therapeutin hält ihn für unausgegoren, aber keinesfalls für einen Rassisten. Denn klar ist ja: "Ich bin jung und nur ein bisschen ängstlich."

Brooks hat, wie soll es anders sein bei dem geringen Altersunterschied, einen flotten, mal sanft schnurrenden, mal gar zart-poetischen Erzählton für seinen Helden gefunden. "Nachts werden wir erwachsen" ist komisch, witzig und unterhaltsam. Und es ist ein bisschen traurig. Teenager-Freuden und Teenager-Vorhöllen sind kein Zuckerschlecken, auch das demonstriert Brooks mit seinem Roman sehr schön.

Am Ende der Lektüre weiß man: Zuschreibungen wie "Generation Facebook" oder "Nachfolger der Generationen X und Y" helfen bei dieser Generation nicht. Es ist eben doch komplizierter, wie schon bei den Vorgängergenerationen. Und Holden Caulfield? Nein, muss wirklich nicht immer sein. Es reicht doch, wenn man ihn kennt und sich für attraktiver hält und dann einen Roman schreibt, der - auf deutsche Verhältnisse bezogen - mindestens so gut ist wie Benjamin Leberts "Crazy" oder Helen Hegemanns "Axolotl Roadkill".

Besprochen von Gerrit Bartels

Ben Brooks: Nachts werden wir erwachsen
Aus dem Amerikanischen von Jörg Albrecht
Berlin Verlag, Berlin 2012
272 Seiten, 18,90 Euro
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