Wiesbaden Biennale

Wenn Europa fröhlich beerdigt wird

Der niederländische Künstler Dries Verhoeven posiert am 26.07.2016 in Wiesbaden (Hessen) vor der Aussage des Sonderprojekts der Wiesbaden Biennale 2016, "Asyl des müden Europäers", für den Fotografen. Auf der Wiesbadener Biennale (25.08.-04.09.2016) entwerfen internationale Künstlerinnen und Künstler eine utopische Gemeinschaft mit Kunstprojekten an verschiedenen Orten in der Innenstadt.
Der niederländische Künstler Dries Verhoeven vor der Aussage des Sonderprojekts der Wiesbaden Biennale 2016 "Asyl des müden Europäers" © picture alliance / dpa / Andreas Arnold
Von Stefan Keim · 25.08.2016
Installationen, Performances und Projekte: Die neuen Kuratoren der Wiesbaden Biennale haben sich vom bühnenliterarischen Ansatz weit entfernt. Für die hessische Landeshauptstadt ist das neu - überregional betrachtet allerdings wenig überraschend.
"This is not Europe" lautet das Motto der Wiesbaden Biennale, die bis 4. September läuft. Das ist ungewöhnlich, denn bisher stellte das Festival neue Stücke aus Europa vor. Vom bühnenliterarischen Ansatz haben sich die Kuratoren Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer weit entfernt. Sie präsentieren nun ein Festival der Künste mit Installationen, Performances und Projekten in der Stadt. Das ist für Wiesbaden neu, überregional allerdings wenig überraschend. So machen´s gerade alle.

Tänzer fallen von Stühlen

Auch die Auswahl der Künstler entspricht dem Standard. Romeo Castellucci, Jerome Bell, Kornél Mundruczó und viele andere werden von Festival zu Festival gereicht. Das gilt auch für den Libanesen Rabih Mroué, sein zur Eröffnung gespieltes Stück "So little Time" war immerhin eine Uraufführung. Wie immer setzt er sich mit der Wahrheit hinter Bildern auseinander, diesmal anhand der Biografie eines fiktiven islamischen Märtyrers. Nach seinem Tod kommt er zurück und betrachtet sein eigenes Denkmal. Aus dieser absurden Situation wird bei Mroué und der Peformerin Lina Majdalanie ein hochintelligentes und witziges Spiel in einem Fotostudio. Weniger überzeugen konnte die zweite Premiere des Abends.
Julian Hetzel versucht in "Sculpting Fear" von Tod, Zerstörung und Weiterleben zu erzählen. Tänzer fallen von Stühlen, werden als Körpermüll zur Seite geräumt, stehen wieder auf, zerstören den Bühnenboden, setzen die Reste wieder zusammen. Und am Ende füllt Nebel den Raum. Viel erinnert an die Stücke von Romeo Castellucci, doch bei ihm wirkt so etwas zwingender und organischer.

Satirisch angehauchte Ausstellung

Unter dem Titel "Asyl des müden Europäers" hat die Wiesbaden Biennale Projekte zusammen gestellt, die sich direkt mit dem Festivalthema beschäftigen. In "Die Kirche" inszeniert Dris Verhoeven Beerdigungen europäischer Werte oder Ideen. Am ersten Tag wurde die "multikulturelle Gesellschaft" zu Grabe getragen, die Lesung im Trauergottesdienst kam nicht aus der Bibel, sondern aus dem Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin. Das ist witzig, geht aber nicht besonders tief. Als Zwischenspiel vor dem Abendprogramm ist die "Kirche" allerdings ideal.
Inhaltsreicher ist das "Museum: Domo de Europa Historio en Ekzilo" von Thomas Bellinck, eine vielschichtige, satirisch angehauchte Ausstellung über Europas Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, die über die Gegenwart hinaus in die Zukunft reicht. Der Euro und die EU werden verschwinden. Wenn man sich das vorstellt, entsteht Wehmut über die verschwundene europäische Idee.
Die Wiesbaden Biennale muss sich noch konzentrieren und finden. Die beiden jungen Kuratoren haben einen ersten Schritt gemacht. Nun müssen sie sich noch trauen, die bekannten Wege des internationalen Festivaltourismus öfter zu verlassen.
Mehr zum Thema