Wie wir uns gegen globale Katastrophen wappnen können

20.11.2012
Pandemien, Hunger, Wirtschaftskrisen: Der Mathematiker John L. Casti widmet sich Katastrophen, die sich überraschend ereignen und gewaltige Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben. Das Ergebnis seiner Arbeit liegt irgendwo zwischen Wissenschaft und Science-Fiction.
Vor 74.000 Jahren ereignete sich die größte Naturkatastrophe in der Ära des Menschen. Der Vulkan Toba auf Sumatra brach mit unvorstellbarer Wucht aus – die Durchschnittstemperatur auf der von Geröll- und Aschewolken verdunkelten Erde sank auf 15 Grad unter Null. Menschliches Leben war nur noch in Teilen Afrikas möglich. Solche extremen Ereignisse nennt der Mathematiker und "Komplexitätsforscher" John L. Casti "X-Events": globale Katastrophen, die sich überraschend ereignen und gewaltige Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben.

Die wissenschaftliche Erforschung von X-Events ist schwierig, beschäftigen sich seriöse Theorien doch mit wiederholbaren Phänomenen, nicht mit seltenen Ausnahmeereignissen, die mit Wahrscheinlichkeiten nicht zu fassen sind. Casti lässt Asteroideneinschläge und Vulkanausbrüche, gegen die wenig auszurichten ist, beiseite und widmet sich menschengemachten X-Events. Diese haben regelmäßig mit einer "Komplexitätsüberlastung" zu tun. Ein Beispiel ist die Finanzkrise, wo politische und ökonomische Instrumentarien mit den Finanzmärkten nicht mehr fertig werden. Das "Gesetz der erforderlichen Komplexität" wird nicht mehr erfüllt: Um ein System erfolgreich steuern zu können, muss der Kontrolleur eine mindestens ebenso große Komplexität besitzen wie das kontrollierte System – und genau das ist in der Finanzkrise nicht mehr der Fall.

Das moderne Leben beruht darauf, dass Systeme möglichst reibungslos interagieren: "Das Internet ist abhängig vom Stromnetz, das auf die Energieversorgung durch Öl, Kohle und Kernspaltung angewiesen ist, und diese wiederum beruht auf einer Produktionstechnik, die ihrerseits elektrischen Strom benötigt. So geht es immer weiter: Jedes System fußt auf einem anderen, das seinerseits abhängig ist, und alles ist mit allem verknüpft." Ein Versagen eines Subsystems – etwa der Stromversorgung – kann deshalb laut Casti zum "Kollaps von allem" führen.

Im Mittelteil des Buches malt der Wissenschaftler elf solcher Schreckensszenarien aus und greift dabei ausgiebig auf die apokalyptischen Fantasien von Romanen und Filmen zurück: den Zusammenbruch der globalen Lebensmittelversorgung, die Zerstörung der elektronischen Geräte durch einen starken, möglicherweise von Terroristen verursachten "elektromagnetischen Puls" oder eine globale Pandemie.

Casti geht es darum, wie wir uns gegen X-Events besser wappnen können. Welche Vorzeichen gibt es, welche Infrastrukturen können derartige Schocks abfedern? Redundanz ist besser als Effizienzmaximierung – so lautet einer seiner Ratschläge. Ein Beispiel sind Bergsteiger, die nicht in Einzelleistung schnellstmöglich zum Gipfel stürmen: "Die meisten erfahrenen Kletterer arbeiten vielmehr im Team und nehmen sich Zeit, beim Aufstieg ein redundantes Netz von Schutzmaßnahmen aufzubauen." Castis Buch ist zwischen Wissenschaft und Science-Fiction angesiedelt, manchmal weitschweifig und allzu luftig spekuliert, aber vor allem in den theoretischen Ausführungen sehr interessant: Für die moderne Zivilisation scheint die "Komplexitätsfalle" unausweichlich.

Besprochen von Wolfgang Schneider

John L. Casti: Der plötzliche Kollaps von allem. Wie extreme Ereignisse unsere Zukunft zerstören können
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
Piper Verlag, München 2012
400 Seiten, 23,70 Euro