Wie sich Einsamkeit anfühlt

09.07.2013
Diese 15 Erzählungen handeln von Menschen und ihren diffusen Ängsten. Gesprochen wird kaum und oft gleiten Wahrnehmungen und Erlebnisse der Protagonisten ins Traumhafte ab. Der norwegische Autor Bjarte Breiteig schrieb die Texte mit 24 Jahren - sie glänzen durch sprachliche Disziplin und Doppelbödigkeit.
Vor drei Jahren erreichte uns dank dem kleinen Wiener Luftschacht Verlag der überzeugende Erzählungsband eines jungen Norwegers, geboren 1974 in Kristiansand. Jetzt lernen wir Bjarte Breiteigs Debüterzählungen kennen, für die er seinerzeit (1998) einen renommierten Preis erhielt. Kein Wunder, schon diese frühen Texte – Breiteig war damals 24 Jahre alt – glänzen durch Selbstbewusstsein, sprachliche Disziplin und Doppelbödigkeit.

Er legt 15 Geschichten vor, nicht länger als zehn, zwölf Seiten, kammerspielartige Texte, in denen Schlaflosigkeit mit Wortlosigkeit einhergeht. Die herrschende Stille wird durch die Wortkargheit der Figuren noch bedrohlicher. Gleichzeitig könnten sie sich wohl nicht vorstellen, in etwas anderem als Stille zu leben. Sie sind einsame Menschen jeden Alters, die es zu einem Anderen zieht, die aber daran gehindert werden, durch eine Macht freilich, die nicht von außen, sondern aus dem eigenen Innern kommt. Die Erzählungen sind 15 Variationen eines Themas, ohne dass sie ihre Eigenschaft als selbständige Texte verlören.

In der ergreifenden Geschichte "Nebel. Requiem" fährt ein junger Mann stundenlang durch die Regennacht, er hört Brahms‘ "Deutsches Requiem", dann sitzt ein durchnässtes Mädchen neben ihm, auf das er schon gewartet hatte. Sie hätte ihn geliebt, sagt sie, wenn er sie nicht – ja, wenn er sie nicht überfahren hätte …

In "Der Wind in den Wänden" kalbt eine Kuh, es ist eine Totgeburt, der nicht sehr alte Bauernsohn muss sich darum kümmern, weil der Vater bei der Mutter weilt, die plötzlich ins Krankenhaus musste. Das ist die eigentliche Bedrohung, obwohl Breiteig nur vom schwierigen Kalben der Kuh erzählt.

In "Die Signale" treten dann die Phantomschmerzen des Buchtitels auf. Wieder ein schlafloser junger Mann, der auf der Fensterbank sitzt, die Rehe am Waldrand beobachtet und seinen Armstumpf reibt, "wo einst die Hand war". Eines Nachts entdeckt er ein Mädchen, Tage später trifft er sie im Bus wieder, sie hat "kohlschwarze Augen", ihr Blick gibt ihm das Gefühl, dass "ein Teil von ihm verzehrt wurde, als ob er in gewisser Weise verdaut würde". Auch dieses Mädchen wird angefahren. Am Ende steht es als "kleines Reh" wieder auf, es hat die gleichen kohlschwarzen Augen und hebt den Kopf zum Himmel, wie es das Mädchen tat.

Könnte das angefahrene Mädchen aus "Die Signale" mit dem Mädchen aus "Nebel. Requiem" identisch sein? Denn nicht nur Eigenschaften, auch Personen, ja, ganze Szenerien und Passagen tauchen in den verschiedenen Erzählungen immer wieder auf. Durch diese Korrespondenzen sind alle Geschichten miteinander verbunden, ja, sie bilden eine Art Spinngewebe, in dem sich der vollkommen gebannte Leser verfängt.

Stilistisch ist Breiteig von Raymond Carver und seinem Landsmann Kjell Askildsen ("Ein schöner Ort", Luchterhand) beeinflusst. Aber im Hinblick auf Stimmung, Atmosphäre und Befindlichkeit seiner Figuren dürfte ihn am meisten der früh aus dem Leben gegangene Tor Ulven ("Dunkelheit am Ende des Tunnels", Droschl) geprägt haben, der ihm, wie Breiteig sagte, den Mut gegeben habe, "die unerträglichsten Dinge zu denken".

Besprochen von Peter Urban-Halle

Bjarte Breiteig: Phantomschmerzen. Erzählungen
Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel
Luftschacht Verlag, Wien 2013
135 Seiten, 17,40 Euro