Widerstand oder Gottvertrauen

04.09.2008
Die Novelle des österreichischen Schriftstellers Friedrich Torberg beschäftigt sich mit der Frage des Widerstands im Nationalsozialismus. Sollte man zum Beispiel einen KZ-Kommandanten erschießen? Einige jüdische Häftlinge plädieren dafür, andere zitieren den Bibel-Psalm, in dem Gott sagt: "Mein ist die Rache!" Das Buch erscheint anlässlich des 100. Geburtstags des Autors.
Vor 100 Jahren, am 16.9., wurde der österreichische Schriftsteller Friedrich Torberg geboren. In seinem Heimatland galt er bis zu seinem Tod 1979 als Doyen der österreichischen Kulturszene. Er hat Romane, Erzählungen und Sachbücher verfasst, war Journalist, Professor für Literatur und Herausgeber und Übersetzer, zum Bespiel von Ephraim Kishon. 21 Bücher sind unter Torbergs Namen erschienen. Das vielleicht bekannteste, "Der Schüler Gerber", erschien schon 1930 und erzählt vom Selbstmord eines Jungen. Weil Torberg jüdischer Herkunft war, wurden seine Schriften schon 1933 in Deutschland verboten; 1938 musste er vor den Nazis aus Österreich fliehen.

Die Novelle "Mein ist die Rache", 1943 in den USA erschienen, 1947 in Deutschland und dann noch einmal 1968 in einem Erzählungsband, ist nun zum 100. Geburtstag des Autors als Einzelveröffentlichung aufgelegt und mit einem Nachwort des Herausgebers versehen worden, das die Zusammenhänge erst erschließt. Die Geschichte spielt in einem kleinen Konzentrationslager nahe der holländischen Grenze vor dem Krieg. Ein neuer Kommandant übernimmt das Lager. Er hat den sadistischen Tick, die Häftlinge so lange zu foltern, bis sie Selbstmord begehen, und zwar vor seinen Augen, wozu er ihnen jedes Mal seine Pistole gibt. In der Judenbaracke beginnt eine lange Diskussion: Sollte man, wenn man selbst der nächste wäre, die Situation nutzen und den KZ-Kommandanten erschießen? Die einen plädieren dafür. Die anderen zitieren einen Psalm aus der Bibel, in dem Gott sagt: "Mein ist die Rache!" Er verbietet den Menschen, Schicksal und Gerechtigkeit in die Hand zu nehmen.

Die Frage des Widerstands gegen die Nazis wurde spätestens ab 1933 von Verfolgten und Bedrohten diskutiert. Die meisten wiegelten ab in der Hoffnung, es werde schon nicht so schlimm kommen und man solle die Nazis nicht noch zusätzlich provozieren. Der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky war einer der wenigen, die schon vor 1933 forderten, die Gegner der Nazis müssten sich bewaffnen.

In Torbergs Novelle tötet der Ich-Erzähler den KZ-Kommandanten. Das zu wissen, schmälert aber nicht die Spannung, denn die Novelle endet mit einem Satz, den Erich Maria Remarque als einen der aufregendsten und überraschendsten der Weltliteratur bezeichnete.

In den 72 Seiten von "Mein ist die Rache" findet ein Leser mehr Aufklärung über die Nazi-Geschichte als in den 1395 Seiten von Jonathan Littells Roman "Die Wohlgesinnten". Torberg konnte in letzter Sekunde vor den Nazis nach Portugal fliehen.
"Mein ist die Rache" ist eine im besten Sinne verstörende Lektüre. Schon am Anfang heißt es: "Ich warne Sie! Es ist keine Geschichte, die man nur so zum Zeitvertreib erzählen und zum Zeitvertreib mit anhören kann." Erich Maria Remarque war elektrisiert von dieser Novelle, Alma Mahler-Werfel las sie in einer Nacht, und auch Max Brod war beeindruckt: "Diese Geschichte musste einfach geschrieben werden, obwohl die Welt, wenn man sie liest, noch um einige Tintengrade schwärzer wird." Der Publizist William S. Schlamm forderte, die Novelle in Deutschland zur Schullektüre zu machen, weil sie das Recht des Einzelnen auf Widerstand betone.
Leider ist Friedrich Torberg in Deutschland nie gebührend wahrgenommen worden. Aber wie sagte er: "In Wirklichkeit ist alles noch viel schlimmer!" Es wird Zeit, dass sich das zum 100. Geburtstag ändert.

Rezensiert von Lutz Bunk

Friedrich Torberg: Mein ist die Rache
Novelle, dtv, München 2008
106 Seiten, 7,90 Euro