Widerstand gab es so gut wie gar nicht

Von Margarete Limberg · 07.07.2006
Nach 1945 hat der DFB wie andere Sportverbände sich lange als Gleichschaltungsopfer dargestellt, das gar nicht anders handeln konnte, als es der Fall war. Erst in den 80er Jahren räumte man ein, dem NS-Regime allzu willig zu Diensten gewesen zu sein.
Neuere Forschungsergebnisse zeigen, wie rabiat man gegenüber politisch missliebigen Sozialdemokraten und Kommunisten aufgetreten ist und mit welcher Eile und Brutalität man die Juden aus den eigenen Reihen verbannte, sobald Hitler an die Macht gekommen war.

Der Sporthistoriker Lorenz Pfeiffer ist zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die Turn- und Sportverbände insgesamt keineswegs Opfer, sondern Handelnde gewesen sind .Schon kurz nach dem 30. Januar 1933 wurden Juden entweder aus den Vereinen ausgeschlossen oder gezwungen, selbst ihren Austritt zu beantragen. Stolz erklärte der TV Erlangen schon im April 1933, "judenfrei" zu sein. Der offene Antisemitismus brach sich wie eine Flutwelle Bahn. Anordnungen von oben waren dazu nicht erforderlich:

"Das ist aus eigenem Antrieb geschehen, und die Vereine, die Turn- und Sportvereine sind teilweise, soweit wir das heute wissen, die ersten gesellschaftlichen Organisationen gewesen, die in diesem Felde die Politik der Nazis sehr massiv unterstützt haben und zur Radikalisierung beigetragen haben."

Für die Betroffenen jüdischen Vereinsmitglieder, die sich als Deutsche fühlten, war der erzwungene Ausschluss eine oft ein Leben lang nicht vergessene Demütigung:

"Die Vereine sind ja nicht nur für die betroffenen Juden eine sportliche Heimat gewesen, sie haben da in der Regel ihren Freundeskreis gehabt. Und die Bindung an diesen Verein haben sie sofort verloren, das heißt, sie sind ghettoisiert worden, sehr früh ghettoisiert worden. Dieser Prozess der Ghettoisierung ist weitergetrieben worden bis zum Holocaust. Das ist die zweite Stufe, Diskriminierung, dann Ghettoisierung, das sind die ersten Schritte gewesen, und da hat der Sport mit seinem Ausschluss einen massiven Beitrag geleistet."

Zu den Opfern gehörten auch prominente Fußballer, denen der deutsche Fußballer enorm viel zu verdanken hatte. Einer von ihnen war Julius Hirsch, der erste jüdische Nationalspieler, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde.

Widerstand gab es so gut wie gar nicht. Bayern München, von Juden mitgegründet, gehörte zu den wenigen Vereinen, die wenigstens eine Zeit lang ihre jüdischen Mitglieder zu schützen versuchten.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ging auch der kosmopolitische Charakter des deutschen Fußballs verloren. Es waren jüdische Fußballer gewesen, die wie Julius Hirsch oder der Gründer des "Kicker", Walter Bensmann, der Deutschtümelei eine gewisse Weltbürgerlichkeit entgegensetzten.

Auch die Tradition der zahlreichen Vereine, die die ethnischen Minderheiten, vor allem die Polen, im Deutschen Reich gegründet hatten, war 1933 schlagartig vorbei. Diese Tradition blieb auch nach dem Ende des Dritten Reichs lange verschüttet. Und die Öffentlichkeit nimmt auch jetzt kaum wahr, dass sich eine bunte Palette ethnischer Fußballvereine etabliert hat, darunter allein 500 türkische.

In die Nationalmannschaft hat es bisher indessen nur ein einziger Türke geschafft. Dabei, so der Freiburger Sporthistoriker Diethelm Blecking können beide Seiten profitieren, wenn man nur das Potenzial der Minderheiten ausschöpfte:

"Ich schau mir mal die Namen an, die darauf hin deuten, dass diese Menschen einen Migrationshintergrund haben, dann finden sie da 40 bis 50 Spieler von Asamoah heute bis Sbolimanski früher zu den Zeiten, als die Polen den Hauptteil der Migranten stellten, die die Spielkultur und auch die Spielstärke der deutschen Nationalmannschaft bereichert haben. Der andere Aspekt ist, dass der Sport auch den Migranten genutzt hat, die klassische Form des sozialen Aufstiegs. Der Sport nützt auf vielen Wegen, aber die Migranten haben auch dem deutschen Sport auf ganz vielen Wegen genutzt."

Mit ihrer Rolle während der NS-Zeit haben sich die meisten Sportverbände bisher kaum auseinandergesetzt. Wie in anderen Bereichen auch blieben viele Belastete zunächst in ihren Ämtern und hatten kein Interesse daran, Licht in die Vergangenheit zu bringen. Der DFB hat als bisher einziger der großen Verbände begonnen, seine NS-Vergangenheit aufzuarbeiten. Der Generationswechsel spielt dabei sicher eine entscheidende Rolle. Erst seit einigen Jahren würdigt man auch das jüdische Fußballerbe wieder. Diethelm Blecking meint dazu:

"Ich habe das die zivilisierende Kraft der Fußball-WM genannt. Deutschland will sich jetzt nach außen als weltoffenes Land präsentieren, das auch mit der eigenen Geschichte weltoffen umgeht und die richtigen Akzente setzt - und da hoffe ich auch auf Theo Zwanziger, der ganz andere Worte findet als seine Vorgänger. Die WM ist sicherlich der entscheidende Faktor, der zu der neuen Sicht geführt hat."

Es geht bei der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verstrickung nicht allein darum, den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es geht auch um die Gegenwart. Das Zeigen des Hitler-Grußes, das Brüllen von Nazi- Parolen in einigen Stadien zeigen, dass die düstere Seite des Fußballs nicht allein der Vergangenheit angehört. Ist der Fußball also besonders anfällig? Gerd Dembowski , ein Sozialwissenschaftler, der sich besonders für Fan-Projekte einsetzt:

"Es hat auf jeden Fall etwas damit zu tun, dass der Fußball nicht nur Spiegelbild der Gesellschaft ist, sondern auch Zerrbild der Gesellschaft. Das heißt, Fußball zeigt wie unter einem Brennglas das, was es in der Gesellschaft auch gibt, ein Seismograph. Fußball ist oft ein Anzeiger für Sachen, die in der Gesellschaft passieren."

Diethelm Blecking drückt es noch drastischer aus:

"Fußball ist eine Projektionsfläche für politische, ethnische und soziale Konflikte. Er ist eben nicht der Selbstläufer, der die Menschen zusammenbringt. Er kann die Menschen in bestimmten Dingen auch auseinander bringen. Sie können Fußball politisch ausnutzen, und dann haben sie Krieg auf dem Spielfeld und Krieg im Stadion."

Fußball die schönste Nebensache der Welt, so wie er sich glücklicherweise während der WM präsentiert? Das Symposion im Haus der Wannseekonferenz hat deutlich gemacht, dass er keine Nebensache ist und sehr düstere Seiten haben kann. Sich dessen bewusst zu bleiben, ist nach den Erfahrungen der Vergangenheit keine Spielverderberei, sondern eine Notwendigkeit.