Wer weitergeht, wird erschossen.

Von Winfried Sträter · 13.03.2005
Militärs erobern die Macht. Ein Staatsstreich fegt die demokratisch gewählte Regierung aus dem Amt. Generäle bestimmen, wer regiert: Bei solchen Nachrichten denken wir heute an afrikanische oder südamerikanische Länder – nicht an Deutschland. Vor 85 Jahren geschah genau dies jedoch in Berlin. Der Erste Weltkrieg war verloren, der Kaiser gestürzt, aber viele Deutsche waren unzufrieden mit der demokratisch gewählten Regierung. Vor allem die Militärs waren unzufrieden. Am 13. März 1920 besetzte die Brigade Ehrhardt, eine Elitetruppe der Reichswehr, das Regierungsviertel. Der Kapp-Putsch begann.
Die Brigade Ehrhardt ist in der Döberitzer Heide stationiert, einem riesigen Truppenübungsplatz westlich von Berlin. Die schnurgerade Heerstraße führt von dem Truppenübungsplatz ins Zentrum Berlins, mitten ins Regierungsviertel.

Eine Kerntruppe bester Art, bewährt im Kampf gegen den äußeren und inneren Feind. Fest gefügt in Vaterlandsliebe, Disziplin, Kameradschaft und Treue gegen ihren Führer.

In Berlin bilden SPD, die liberale Demokratische Partei und die katholische Zentrumspartei die erste demokratisch gewählte Reichsregierung Deutschlands. Reichswehrminister ist der Sozialdemokrat Gustav Noske. Schon seit Wochen kursierten Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch. Das Regierungsviertel gleicht in der Nacht von Freitag auf Sonnabend einem Heerlager. So genannte Panzerautomobile fahren vor Noskes Reichswehrministerium auf. Schilder warnen:

Wer weitergeht, wird erschossen.


In der Nacht vom 12. auf den 13. März 1920 marschiert die Brigade Ehrhardt - mit Hakenkreuzen an ihren Helmen - durch die mondhelle Nacht von Döberitz in Richtung Brandenburger Tor. 25 Kilometer. Gustav Noske ruft die Reichswehrführung zu einer dramatischen Nachtsitzung zusammen. Die Reichswehr muss die Regierung gegen den drohenden Putsch verteidigen. Doch der Chef des Truppenamtes, General von Seeckt, antwortet kühl:

Truppe schießt nicht auf Truppe. Haben Sie, Herr Minister, etwa die Absicht, eine Schlacht vor dem Brandenburger Tor zu dulden zwischen Truppen, die eben erst Seite an Seite gegen den Feind gekämpft haben?

Noske ist fassungslos und seine Regierung dem herannahenden Regiment hilflos ausgeliefert.

Sonnabend, 13. März, 7 Uhr früh. Die Putschisten stehen am Brandenburger Tor, mit wehenden Fahnen und Marschmusik. Anlass für den Putsch ist der Abbau der Reichswehr, eine Folge des Versailler Friedensvertrages, und die drohende Auflösung der Ehrhardt-Brigade. Ihre Kommandeure beantworten den Auflösungsbescheid mit dem Marsch auf Berlin.

Ultimatum.

Bis Sonnabend 7 Uhr früh soll die SPD-geführte Regierung eine Reihe von Forderungen erfüllen, sonst wird sie aus dem Amt gejagt. Die Regierung beugt sich nicht. Die Soldaten besetzen die Regierungsgebäude. Die Stühle sind noch warm – aber leer. Gerade rechtzeitig haben sich Reichspräsident Ebert und fast das gesamte Kabinett aus dem Staub gemacht, zunächst nach Dresden, dann ins sicherere Stuttgart.

Regierung der Ordnung, der Freiheit und der Tat.

So nennt sich die Kamarilla, die nun die Amtsgeschäfte führen will. Zum Reichskanzler wird ein 62-jähriger Generallandschaftsdirektor aus Ostpreußen ernannt, der im Krieg durch nationalistische Reden auf sich aufmerksam gemacht hat: Wolfgang Kapp. Womit er und seine Hintermänner nicht gerechnet haben:

Arbeiter, Genossen! Der Militärputsch ist da!... Wendet jedes Mittel an, um diese Wiederkehr der blutigen Reaktion zu vernichten. Streikt, legt die Arbeit nieder, schneidet dieser Militärdiktatur die Luft ab!

Kurz vor der Flucht hat der Pressechef der rechtmäßigen Regierung diesen Aufruf verfasst, den Reichspräsident Ebert unterzeichnet hat. Dieser Aufruf verfehlt seine Wirkung nicht. Selbst die Beamten treten in den Ausstand und Kapps Leute schaffen es nicht einmal, dass ihnen Geld ausgezahlt wird. Fünf Tage dauert der Spuk: Am Mittwoch, den 17. März gibt Kapp auf. Der Kanzler von Gnaden der Militärs besteigt ein Flugzeug und flieht nach Schweden.

Der Zusammenbruch des Putsches ist allerdings kein großer Sieg für die junge Demokratie, eher ein Pyrrhus-Sieg. Denn viele Arbeiter streiken nach dem Ende des Putsches noch weiter, und die nach Berlin zurückgekehrte SPD-geführte Regierung schlägt diese Bewegung mit militärischer Gewalt nieder. Sie verliert damit einen erheblichen Teil ihrer Anhängerschaft – und die Reichstagswahl im Juni 1920. Fortan geben Parteien den Ton an, die der Weimarer Demokratie reserviert gegenüber stehen.