Wenn zwei für drei Minuten eins sind

Von Patrick Batarilo · 25.01.2014
Buenos Aires ist die Stadt des Tango, hier wurde der Tango einst von Einwanderern in Hafenkneipen erfunden. Doch in den 80er- und 90er-Jahren hörte kaum jemand der jungen Generation Tangomusik oder tanzte dazu. Im Radio und in den Clubs liefen Rock oder Pop. Viele Milongas machten Pleite.
Heute ist der Tango wieder zu Hause in Buenos Aires, und das mit einem neuen Sound. Elektronische Musik, Rock, Hip-Hop, zeitgenössische Bands wie Tanghetto oder Altertango haben einen neuen Tangosound geschaffen, der offen ist für die musikalische Welt von heute. Auch der Tanz hat sich verändert – zum Beispiel ist die Rolle der Frauen viel aktiver. In manchen Milongas tauschen Männer und Frauen sogar die Rollen. Seinem Mythos wird der Tango auch in neuer Form nach wie vor gerecht: Sinnlichkeit und das Spiel mit Nähe und Distanz. Woher kommt die neue Liebe zum alten Tango? Eine sinnenfreudige "Lange Nacht" mit Musikern und Tangotänzern sucht nach Antworten ...
Diese Lange Nacht können Sie bis zu sieben Tage nach der Sendung in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.
Ein Tangolexikon zur Einstimmung
Auszüge aus dem Manuskript:
"Als Kind hatte ich nur Spott für den Tango übrig. Wenn meine Eltern im Radio Tango hörten oder selbst Tangos sangen, dann lachte ich sie aus. Ich ging in mein Zimmer und legte Hard Rock auf, Led Zeppelin zum Beispiel. Dann machten sich meine Alten über mich lustig: Wenn Carlos Gardel der berühmteste Tangosänger, das hören müsste, dann würde er sich im Grab umdrehen!"
Daniel Ranzulia ist Musiker und einer der Gründer der Milonga "La Catedral" - eines der wichtigsten Tanzlokale der neuen Tangoszene in Buenos Aires. Als Jugendlicher spielte er in einer Heavy-Metal Band.
"Als wir Ende der Neunziger mit dem Tango anfingen, spielten wir noch auf der Straße in der Altstadt in San Telmo. Wir hatten lange Haare und trugen Lederjacken - die Leute staunten nur. Es gab ja keinen jungen Tango zu der Zeit. Nur die Veteranen, die noch von früher übrig waren, und Tango für Touristen. Als wir unsere Milonga, die "Catedral" eröffneten, da konnte man in Buenos Aires nachts in einem einzigen Lokal Tango tanzen. Heute hast du jeden Abend die Wahl zwischen 10 bis 15 Milongas. Es war wie eine Explosion. Erklär Du’s mir. Es ist magisch. Die Leute sehen im Tango wieder eine Lebensform."
In Buenos Aires ist die Milongakultur, bedingt durch das von der argentinischen Militärdiktatur verhängte Versammlungsverbot, lange Zeit nur im Untergrund gepflegt worden. Mehr bei Wikipedia
"2001 machte ich noch keine Tangomusik, wollte aber immerhin schon Tango tanzen lernen. Doch ich langweilte mich, weil die Musik, die in den Milongas lief, aus den 50er-Jahren stammte oder sogar noch älter war. Ich wollte mich aber in der Gegenwart fühlen! Ich selbst hörte damals elektronische Musik, Triphop und Hiphop. Auf einmal bekam ich Lust, zu dieser Musik Tango zu tanzen."
"Als ich merkte, wie gut mein Körper beim Tangotanzen auf diese Musik reagierte, auf Bands wie Portishead, Massive Attack, oder auch auf Björk, wurde mir klar, dass es eine Verbindung gibt zwischen Tango und elektronischer Musik. Da ich Musiker bin, begann ich, im Studio damit zu experimentieren. Zufrieden war ich nur, wenn ich dazu tanzen konnte."
Carlos Libedinsky hat die Elektrotangoband "Narcotango" gegründet – zunächst war es ein Soloprojekt, später kamen Schlagzeuger, Gitarrist und Keyboardspieler dazu. Das Bandoneon spielt Carlos Libedinsky inzwischen selbst, er hat es sich in den letzten Jahren beigebracht. Wir sitzen im Studio, in einem Hinterhof, einem der wenigen stillen Orte in einer lärmenden Stadt.
Es war eine ziemlich gewalttätige Zeit. Die Banken gaben dir dein Geld nicht, deswegen rotteten sich die Leute zusammen und schlugen den Banken die Scheiben ein oder besprühten die Fenster mit Graffitis.
El último CD del mas popular grupo argentino de tango electrónico y uno de los primeros, si no el primero en haber ganado popularidad siguiendo el camino abierto por Gotan Project. Los cambios en el trabajo del grupo son consecuencias de la madurez y el deseo de ofrecer al público un tango despojado y aun mas disfrutable. Die Website von Narcotango (auch in Englisch)
"Für mich hieß die Krise: zu meinen Eltern zurückziehen, in einen Vorort von Buenos Aires, und für die Proben stundenlang mit dem Bus ins Zentrum fahren. Im Supermarkt waren plötzlich die Regale leer. Kein Mineralwasser mehr. Keine Milchprodukte. Ich hatte das Gefühl, keine Zukunft mehr zu haben, die Kontrolle über mein Leben zu verlieren. Aber die Krise war auch ein Freiraum. Um weiterzumachen, musste ich kreativ sein... Das System hatte kein Glücksversprechen mehr für dich, also machtest du, worauf du Lust hattest. Und ich habe dann eben Tanghetto gegründet!"
Tanghetto ist der Name einer Tangoband, Max Masri der Bandleader; mit Carlos Libedinsky ist er einer der Gründer des Genres Elektrotango in Buenos Aires. Den Namen "Tanghetto" hat Masri von einer Europareise mitgebracht, erzählt er. Er besuchte damals Freunde aus Buenos Aires, die in Köln in einem Studentenwohnheim lebten. Überrascht stellte Masri fest, dass seine argentinischen Freunde ständig Tango hörten: ein "Tango-Ghetto", so empfand er die Situation – daher der Name der Band: "Tanghetto". In demselben Wohnheim in Köln begegnete Max Masri auch deutschen Studenten, die elektronische Musik hörten. Zwei getrennte Welten, so empfand er es. Und brachte die Idee, die beiden Welten zu kombinieren, nach Buenos Aires zurück – die Geburt des Elektrotango.
"Nach meiner Rückkehr arbeitete ich in Buenos Aires zunächst allein im Studio und experimentierte mit meiner Idee. Dann lud ich einen anderen Musiker ein, mitzumachen. Die Idee gefiel ihm, aber er zögerte, weil einen festen Job bei einer Bank hatte. Schließlich machte die Bank pleite - und er sagte zu! So fing die Band an! Unser erstes Album war dann "Emigrante" Auswanderer. Argentinien ist ein traditionelles Einwandererland. Die meisten hier haben Großväter, die voller Optimismus aus Europa kamen. Und jetzt kehrten viele ihrer Enkel auf einmal geschlagen zurück nach Europa. Darum ging es in "Emigrante". Es war unser erfolgreichstes Album, zwei Platinschallplatten haben wir damit gewonnen. Ich musste zum Glück nie auswandern. Ich nehme lieber den Kampf auf und versuche, in meinem Land durchzukommen."
Tanghetto ist eine argentinische Musikgruppe des Neotango oder des von ihnen selbst sogenannten Electrotango. Mehr bei Wikipedia.

"El Gancho" Beim Gancho unterbricht der Mann die Bewegung des Beines der Frau durch eine trockene, schnelle Berührung mit seinem Bein in Höhe des Oberschenkels. Vom Verb "engancharse": sich verhaken, süchtig werden, jemandem oder einer Sache verfallen."
Während der argentinischen Wirtschaftskrise, erzählt mir Cecilia, war sie nach Europa gezogen. Wenn sie sich dort als Argentinierin vorstellte, fragten die Leute sie nach Maradona, Evita - und Tango. Maradona und Evita kannte sie, sagt Cecilia mit einem Lächeln, aber Tango? In den 80er-Jahren war der Tango in Argentinien so gut wie ausgestorben, sie selbst hatte den Tanz nie gelernt. Tango, fand sie damals, war etwas für alte Leute. Dann kehrte sie nach Argentinien zurück, weil ihr Vater schwer erkrankt war. Und sie beschloss, es doch einmal mit dem Tango zu versuchen. Zu ihrer ersten Klasse ging sie in Sandalen. Statt auf einen Saal voller Großväter und Großmütter stieß sie auf eine Milonga voller junger Leute.
Cecilia lebt im Stadtteil Palermo, in einer Seitenstraße. Um die Ecke auf der Plaza Serrano, wird jetzt im Frühsommer abends unter freiem Himmel Tango getanzt, erzählt sie. Auch die Milonga "Viruta" eine der bekanntesten der Stadt, ist nicht weit entfernt.
Anfangs, erzählt Cecilia, hatte sie Schwierigkeiten in den Milongas. Zum Beispiel gibt es die Regel, dass die Frau an ihrem Platz warten muss, bis ein Mann sie auffordert, mit Worten oder über einen Blick. Du musst warten und bist angespannt. Und wenn du in irgendeiner Ecke versteckt sitzt, kommt nie jemand.
Es ist meine fünfte Stunde. Die Figur ist ziemlich kompliziert, finde ich. José Ramirez und Isabel Scheifler sind meine Tanzlehrer. José ist erst mal nett und lobt mich, dann kommt er zum Punkt: Ich zögere zu oft, das verwirrt meine Tanzpartnerin. Um ihr zu zeigen, was ich will, um sie zu führen, muss ich mit meinem Körper arbeiten. Mein Fuß soll in einer schnellen Bewegung, die ich nur mit einer Verlagerung meines Gewichts anzeigen darf, genau dahin, wo jetzt noch der Fuß meiner Tanzpartnerin ist. Wovor hast du Angst, fragt José? Tatsächlich, warum habe ich so eine Angst, den Fuß in ihren Raum zu setzen? Ich warte darauf, dass sie den Raum freimacht, mich einlädt. Genau das habe ich ja mühsam gelernt, in jahrelanger Beziehungsarbeit mit verschiedenen Partnerinnen: Es kommt nicht an bei den Frauen, wenn man sich den Raum einfach nimmt.
Tango ist ursprünglich ein Macho-Tanz, sagt José. Doch heute, hat er den Eindruck, fällt es seinen männlichen Schülern schwer zu führen. Die Verantwortung für den Tanz zu übernehmen.
Muchos varones son más tímidos que las mujeres. Les cuesta tal vez por el carácter de la mujer, les cuesta el hecho de aprender a llevar, y de asumir que hay otro que depende de él. [...] Les da mas de inseguridad, porque tienen que trasmitir seguridad. Esta tranquilidad. Todas estas cosas que para una mujer se sienten, en un abrazo tan cerrado, que sos tímido, la falta de seguridad, si están introvertidos, extravertidos.
Die Männer in ihrem Kurs wirken oft schüchterner auf sie als die Frauen, sagt Isabel. Die Frau, erklärt sie, spürt jedes Zögern. Sie fühlt, ob die Männer selbstbewusst sind oder nicht, eher introvertiert oder extrovertiert. Der Tango spiegelt die ganze Persönlichkeit – und verändert sie. Tango lernen, denkt sie manchmal, heißt neu leben lernen.
Erwischt. Das Führen fällt mir verteufelt schwer. Ich werde das Gefühl nicht los, meine Tanzpartnerin zu etwas zu "zwingen". Nach rechts oder nach links drehen - sollten wir das nicht erst gemeinsam besprechen?! Weil das nicht geht, tanze ich mit meiner Tanzpartnerin nicht richtig, sondern wir stolpern vor uns hin. Flucht ist im Tango unmöglich: Der "Tango Argentino" ist reine Improvisation. Ohne festgelegte Schrittfolgen, hinter der ich oder meine Tanzpartnerin ihre Unsicherheit verstecken können.
Son chicas tan modernas y tan independientes, tan autosuficientes en todo que a vos te da la sensación que parece que están bailando juntos, pero en realidad ella esta haciendo lo que sabe. [...] En el momento que les propongas de romper estas estructuras y que se dejen llevar por el varón ya no lo pueden hacer. Tenemos que ayudarlas a que sepan que el baile se hace a dos.
Die Frauen in ihrem Kurs, sagt Isabel, sind selbst so modern, so unabhängig, so selbständig, dass sie oft nur so tun, als würden sie gemeinsam mit dem Mann tanzen Aber Tango tanzt man nun mal zu zweit. Man muss dem anderen vertrauen. Ihre Schülerinnen sind unruhig, und sie lassen nicht zu, dass der Mann ihnen hilft, ruhiger zu werden. Mann und Frau müssen füreinander offen sein.

"Ich bin exzessiv introvertiert. Ich ziehe es vor, mich einzusperren, in mich selbst. Bei unseren Konzerten stehen Hunderte Menschen vor der Bühne, später reden sie mit uns, wir teilen alles. Das Bandonéon ist mein Weg, mich auszudrücken. Mich gegen die Umklammerung zu stemmen, in der ich seit meiner Geburt gefangen bin. Den Kampf aufzunehmen."
"El ministro", der Minister, so wird Flavio Reggiano von den anderen Musikern seiner Tango-Formation genannt.
Die Dunkelheit ist hereingebrochen, wir stehen draußen vor dem Club, in dem das "Orquesta Típica Fernández Fierroheute auftreten wird; der Ministro ist schon ein paar mal hineingerufen worden, wollte aber das Gespräch noch weiterführen. Der Club liegt in Abásto, dem traditionellen Tangoviertel der Stadt. Früher sang hier Carlos Gardel, der berühmteste Tangosänger, für ihn war es "sein" Viertel; in den Seitenstraßen sieht man vom Gehweg aus Tag und Nacht Tänzer hinter den großen Fenstern alter Milongas. Heute müssen die Tanzlokale mit einer der größten Shoppingmalls der Stadt konkurrieren. Der Club, in dem das "Orquesta Típica Fernández Fierro”, spielt, liegt auf der anderen Seite der Mall: Es ist eine alte Werkhalle.
Somos una banda de rock, pero de tango Flavio Reggiani, uno de los bandoneonistas de la connotada agrupación , adelanta parte del show.
"34 Punaladas", wir haben diese Namen gewählt, weil das Repertoire, das wir am Anfang gespielt haben, hatte damit zu tun, mit Gaunergeschichten, es ging immer um die Knast, Gefängnis, die ganze Texte stammen aus den 20er- und 30er-Jahren. Diese Texte sind auf Lunfardo geschrieben, Gaunersprache, aus der Gefängnis. Es gibt eine Milonga, sagt so etwas: Con gran tranquilidad amablemente le fajo 34 puñaladas.”
Es ist eine Zeile aus einem Lied, einem klassischen Tango. Übersetzt heißt sie: Ganz ruhig und lieb gemeint hat er ihr 34 Messerstiche verpasst.
"Ganz ruhig und lieb gemeint hat er sie, eine Frau, 34 Messerstiche gegeben. Das ist ein Lied… dieser Name war perfekt für uns."
Alejandro Guyot ist der Sänger der "34 puñaladas" , auf deutsch "34 Messerstiche", eine der wichtigsten Gruppen der jüngsten Generation des Tango.
Alejandro Guyot hat einige Jahre in Österreich und Deutschland gelebt, deswegen spricht er Deutsch. Er hat ein schmales schönes Gesicht. Die Bartstoppel sind blond, seine Vorfahren sind aus Frankreich eingewandert.
"Als Argentinier, als Person, die in Buenos Aires lebt, ist man schon ziemlich nostalgisch. Es geht um Identität. Wir sind vielleicht die zweite Generation, das hier in Argentinien geboren ist, man hat immer eine Art Heimweh. Doch wir kommen aus Argentinien. Diese Einwanderungsgeschichte hat der Tango geprägt.
Mein Großvater hat Tango gesungen. Als Amateur. Zuhause hat er gesungen. Irgendwie, als ich Kind war, hab ich ihn ein paar Male singen hören. Und später hab ich angefangen, Rock, Pop zu spielen. Wie fast jeder Junge zu dieser Zeit, als ich 12, 14 Jahre alt war. Irgendwie, irgendwann habe ich gefühlt, dass das nicht mir gehört, dass diese Musik immer fremd für mich sein würde. Habe ich angefangen, ein bisschen zu singen, zu forschen, was könnte ich spielen, was für eine Musik. Das ist meine Art und Weise, die Stadt zu fühlen und zu leben. Das war der Tango (...) Und dann hab ich angefangen, direkt Tango zu singen."
Alejandro Guyot es cantante, letrista y compositor de 34 Puñaladas.
En su faceta de escritor acaba de publicar su primer libro de textos breves y poesía, llamado Brumarios, editado por la Editorial Enargeis. Mehr (Spanisch)
"Tango und Fußball, das muss beides aus dem Bauch kommen. Und beides ist ganz zentral dafür, was es heißt, sich als Argentinier zu fühlen, sich leidenschaftlich argentinisch zu fühlen. Der Fußball verbindet uns mit unserem italienischen Erbe. Nach Argentinien sind ja neben Spaniern vor allem sehr viele Italiener ausgewandert. Und natürlich geht es beim Tango wie beim Fußball auch um Schönheit. Die Schönheit der Melodien und der Texte im Tango, die Schönheit eines kunstvollen Schusses oder eines Dribblings, im Fußball. Und das Ende eines Tangos, ist das nicht manchmal wie der Jubel über ein Tor beim Fußball?”
2004 gab Cucuzaseine Karriere als Profifußballer auf und fing wieder an zu singen.
Seine Auftritte im "Faro” stellt Cucuza bewusst unter das Motto "Der Tango kehrt ins Viertel zurück”. Es geht ihm darum, das Erbe des Tango neu zugänglich zu machen, nach einer verlorenen Tango-Generation, wie er sagt. Und das mit ungewöhnlichem Erfolg, bei Musikern und Nicht-Musikern. Die Leute kommen, um Tango zu hören. Und sie tanzen, wenn auch draußen auf dem Bürgersteig. Drinnen ist es zu voll.
Cucuza sucht und findet alte Stücke und interpretiert sie neu. Zu seinen Auftritten lädt er regelmäßig auch junge unbekannte Tangomusiker und alte Stars der Szene ein. Wenn man so will, ist Cucuza das Bindeglied zwischen der neuen Generation des Tango in Buenos Aires und der Tradition des Tango.
Kein Tango, der nur Tango für Touristen wäre, das Zitat einer Erinnerung, Tango, bei dem dann, wie Cucuza sagt, im Extremfall irgendwann ein Goucho auf einem Pferd über die Bühne reitet.
Sondern lebendiger Tango. Tango aus dem Viertel, für das Viertel.
"Als Kind lief bei mir zuhause immer Tangomusik, auf Schallplatten. Meine Eltern waren keine Tangoprofis, aber sie tanzten in den Tangoclubs im Viertel. Damals war das noch normal. Und wenn man so oft Tango gehört hat wie ich, von klein auf, dann setzt sich das irgendwann fest – im Kopf, im Herzen.
In den 70er-Jahren verdränge die Pop- und Rockmusik allmählich den Tango, die goldene Zeit war vorbei. Überall waren nur noch Texte auf englisch zu hören, und die Leute hörten auf, sich für Tango zu interessieren. Die Orchester verschwanden, mit ihnen der Tango. Erst etwa im Jahr 2000 begann sich das zu ändern. Damals ist eine neue Bewegung entstanden. Die einen begannen, sich für die Wurzeln des Tango zu interessieren, so wie ich. Die anderen nahmen die Suche nach neuen Formen auf. Heute erleben wir eine unglaublich spannende Zeit. Die junge Generation interessiert sich wieder für den Tango. Sogar die 15-jährigen, die 16-jährigen, die wollen wieder wissen, was Tango ist – um ihren eigenen Tango zu machen.”

Skyline von Buenos Aires
Skyline von Buenos Aires© AP Archiv
Jorge Dragone ist Tango-Pianist und Orchesterleiter, geboren 1927. Sein Tango ist der Tango der 40er- und 50er-Jahre.
Mi padre no tenia nada que ver con el tango, era sastre. 3:00 [...] No bailaban. Porque mi padre era italiano, había venido muy joven, cuando tenía veinte anos. [...]Si le gustaba escuchar tango, pero no bailaba. Mi madre también.
"Mein Vater war Schneider in einem Dorf, meine Mutter half ihm. Er war mit 20 aus Italien eingewandert. Sie hörten gerne Tango, aber sie tanzten nicht."
La primera vez que toce en orquesta fue en mi pueblo. [...] 25 acá es fiesta de patria, la noche anterior, se festejaba. Yo debute en orquesta, tenia 12 anos, con pantalón corto y toce. [...] 11:00 eran (dos bandoneones), un violín, un contrabajo y (una batería) y yo en el piano. (Hier fehlen im O-Ton zwei Instrumente, in der Übersetzung aber nennen!) Y un cantante. [...] 12:00 A la gente les llamaba la atención ver un chico tan jovencito ya tocaba el piano. [...]Teníamos uniformes. Estábamos con traje azul y todos corbatas iguales. Era lo normal en la orquesta típica. No como ahora, hay conjuntos musicales y cada uno se vista a su gusto.
"Das hier ist der erste Tango, den ich je gespielt habe. In meinem Dorf. Ich war zwölf und spielte in einem kleinen Orchester, das zum 25. Mai, zum Nationalfeiertag, aufspielte. Zwei Bandoneons, eine Geige, ein Kontrabass, Schlagzeug, ein Sänger. Und ich am Klavier. In kurzen Hosen. Die Leute schauten schon, weil ich noch so jung war. Wir trugen Uniformen, blaue Anzüge und Krawatten. Nicht wie heute, wo jeder in den Tango-Ensembles anzieht, was ihm gerade einfällt."
Die 30er-Jahre brachten die Weltwirtschafskrise, in dem Dorf, in dem die Familie lebte, kam eine verheerende Dürre dazu - die Dragones mussten nach Buenos Aires ziehen, um in der Stadt Arbeit zu suchen. Für den jungen Jorge war es ein Glücksfall. Die großen Orchester, erzählt er, hörte er nicht länger im Radio, er konnte sie live sehen. Und spielte bald mit ihnen – in den bekanntesten Tangoclubs der Stadt.
In den 20er-Jahren trugen die Männer in den Milongas noch Messerkämpfe aus, wenn ihnen dasselbe Mädchen gefiel. In den 50er-Jahren war die Tango-Welt dagegen viel familiärer. Die großen Clubs waren Institutionen. Familien saßen an Tischen um die Tanzfläche, aßen und tranken, während wir auf der Bühne spielten. Arbeiter, Bürger, alle kamen. Die Mütter brachten ihre Töchter mit. Und die jungen Männer baten dann die Mütter um einen Tanz mit ihrer Tochter. So lernten sie sich kennen und lieben. Viele Ehen entstanden so.