Wenn Umweltschützer den Umweltschutz sabotieren

Von Klaus Hart · 21.10.2012
Viel Lärm, doch wenig Resultate: In Brasilien werfen Experten nichtstaatlichen Umwelt-Organisationen wie dem WWF vor, den echten Naturschutz immer mehr zu vernachlässigen. Stattdessen würden Gelder für Events, Publikationen und teure Technik verschwendet.
Sägewerke gelten nicht gerade als Symbol für Umweltschutz – und weniger noch als Umweltprojekte, die Finanzierung verdienen. Manche großen Umweltstiftungen scheinen das anders zu sehen. Fabio Olmos, ein renommierter Biologe in Brasilien und langjähriger UNO-Umweltberater, wollte im Urwald Amazoniens seinen Augen nicht trauen:

"Das vergesse ich nie. Mitten im Regenwald des Amazonas-Teilstaats Rondonia stoße ich auf ein Sägewerk. Daran das Schild: Erbaut durch den WWF. Jeder Fachmann weiß doch, dass eine nachhaltige Bewirtschaftung von Urwald nicht möglich ist. Das geht gar nicht, das ist unwissenschaftlich. Denn auf diese Weise zerstört man diesen Wald. Doch der WWF und andere NGOs finanzieren solche Projekte."

Fabio Olmos weist besonders auf die in über 30 Ländern, darunter Brasilien tätige Organisation "The Nature Conservancy" aus den USA und die brasilianische Stiftung "Fundaçao Vitoria Amazonica" hin. Gerade hat eine neue Weltstudie ergeben, dass in brasilianischen Schutzgebieten die Waldfläche abnimmt, die Artenvielfalt geringer wird, die illegale Jagd und die Rodung durch Holzfirmen aber zunehmen. Für den Biologen kommt das nicht überraschend.

"Die meisten NGOs haben ihre Seele verloren, den Geist ihrer Gründer, die die Natur liebten. Heute sind diese Umweltorganisationen vergiftet mit städtisch geprägten Ökonomen, Soziologen, Anthropologen, denen der emotionale Bezug zur Natur fehlt. Und wenn es in den NGOs Leute gibt, die sich mit der Sache nicht identifizieren, öffnet sich der Weg für Korruption, schützt man Umweltanliegen vor, um persönliche Interessen zu bedienen.

In Brasilien kommt als großes Problem hinzu, dass die Zahl der wirklich aktiven, eingeschriebenen Mitglieder stets nur bei einigen hundert bis einigen tausend liegt – in so einem Riesenland! Nur zu oft sind es Grüppchen, die viel Lärm machen, um Gelder zu erhalten. Die britische Vogelschutzvereinigung beispielsweise hat dagegen über eine Million feste Mitglieder."

Fabio Olmo ist viel in Amazonien unterwegs und nennt als typischen Fall, dass NGOs die Ausweisung echter Schutzgebiete sabotieren. Beim Jau-Nationalpark beispielsweise hatte man alle Bodenbesitzfragen gelöst, Entschädigungen und das Umsiedeln der dortigen Bevölkerung vertraglich vereinbart – doch dann, so der Wissenschaftler, blockierte die Stiftung "Fundaçao Vitoria Amazonica", die mit den Bewohnern sogenannte Umweltprojekte realisiert, die Umsiedlung, lehnte sie auf einmal strikt ab. Und schaffte es, dass die Leute eine Kehrtwende vollzogen und beschlossen, weiter mitten in dem Schutzgebiet zu leben. Wären sie umgezogen, hätte die NGO ja ihre Einnahmequellen verloren. Nun verdiene sie weiter an ihren Projekten – und der Konflikt um den Nationalpark dauere an.

Shirley Hauff, eine promovierte Biologin, lebt in der Hauptstadt Brasilia, verfasst Umweltstudien sogar für Ministerien, arbeitete jahrelang für den WWF und wirft ihm vor, viel von seinen ursprünglichen Naturschutz-Visionen verloren zu haben. Am schmerzhaftesten empfindet sie die Neudefinition der Resultate.

"Das Profil der großen NGOs hat sich sehr verändert. Völlig falsch ist, dass als Projekt-Resultate heute nur zu oft Publikationen, Seminare oder Treffen gelten – und nicht das Agieren in der Natur selbst, ein besserer Naturschutz. Auch Greenpeace sowie die weltweit agierende US-Organisation 'Conservation International' stehen unter Druck, Naturschutz nicht mehr konsequent zu betreiben. Selbst Projekte der Weltbank werden nur an ihrer Ausgaben-Effizienz gemessen, nicht aber an der tatsächlichen Pflege eines Schutzgebietes. Der Kauf von Technik, von Ausrüstungen – das gilt als Beweis für Effizienz. Viele Naturschutzgebiete stehen nur auf dem Papier."

Für die Biologin ist wichtig, die Umwelt-NGOs im soziokulturellen Kontext Brasiliens zu sehen.

"Es ist einfach nicht Teil unserer Kultur, sich intensiv für den Naturschutz zu engagieren. Viele behaupten zwar, umweltbewusst zu sein – doch zuhause haben sie drei Fernseher gleichzeitig laufen, engagieren sich nicht einmal im eigenen Viertel für die Umwelt. So ein Baum ist schön, Natur ist herrlich – aber bitte nicht auf meinem Grundstück, da würde sie ja Arbeit machen, müsste man gar Laub zusammenkehren. Viele in den NGOs haben überhaupt kein Naturschützer-Profil."

In dem von Massenarmut gezeichneten Brasilien ist der Bevölkerungszuwachs sehr stark, kritisiert Shirley Hauff. Doch darüber rede niemand, obwohl gerade das rasche Anwachsen der armen und verelendeten Bevölkerungsmehrheit immer größere Umweltkonflikte verursache. Jedem Brasilienbesucher fällt auf – man bekommt nur unerwartet wenige Wildtiere, exotische Vögel zu sehen. Denn illegale Jagd auf jegliches essbare Getier, selbst auf Schwäne und Enten in öffentlichen Parks, zählt zu den gravierenden Problemen.

"Da beginnt dann ein böser Kreislauf: Menschen ohne Bildung, aber mit vielen Grundbedürfnissen, machen sich keine Gedanken über Umweltschutz, wollen was zu essen auf dem Teller, egal wie. Bei solchem Bevölkerungswachstum wird der Ressourcenverbrauch immer größer."