Wenn Neonazis in die Kirche gehen

Von Michael Hollenbach · 24.03.2012
Vor Gott sind alle Menschen gleich, heißt es in der Bibel. Dennoch haben manche Gemeinden ein Problem mit fremdenfeindlichen Mitgliedern; sogar in einigen Kirchenvorständen sitzen Rechtsextreme - nicht nur in Ostdeutschland.
Maria Harder ist Pfarrerin in Gammelin, einem rund 500 Einwohner zählenden Dorf südlich von Schwerin. Eine typische Gemeinde in Mecklenburg. Höchstens jeder fünfte zählt sich hier zur Kirche. Rechtes Gedankengut wie Ausländerfeindlichkeit und Rassismus bekommt die Pfarrerin fast täglich zu hören, auch von Mitgliedern ihrer Gemeinde, die sich zum Beispiel nicht von der NPD distanzieren mögen:

"Man wundert sich nur plötzlich, dass man diskutieren muss. Es gab die Diskussion: Wieso, die sind doch erlaubt, wir wollen doch keine Hexenjagd betreiben. Und überhaupt muss man mal darüber nachdenken, ob die nicht auch Recht haben, solche Dinge muss man da besprechen."

Selbst eine Frau aus dem Kirchgemeinderat habe ihr gesagt, sie werde bei der nächsten Wahl wahrscheinlich die NPD wählen.

Ausländer gibt es in ihrer Gemeinde nicht, aber Maria Harder berichtet, dass eine Familie aus dem Dorf weggemobbt wurde. Nur weil der Vater – ein Deutscher – aussah wie ein Südeuropäer, wurden sie als "Türkenfamilie" beschimpft. Sogar ein Brandanschlag wurde auf das Haus verübt. Maria Harder betont in den Gesprächen im Dorf immer wieder, dass alle Menschen gleichwertige Geschöpfe Gottes seien und dass christliche Nächstenliebe für jeden gelte:

"Es ist mühsam, sich immer wieder für Selbstverständliches rechtfertigen zu müssen. Ich merke es immer dann, wenn ich diskutieren muss mit Leuten, die mir eigentlich sehr sympathisch sind."

Auch wenn die Kirchen sich in den östlichen Bundesländern in der Minderheit befinden, gehören sie zu den wenigen Instanzen, die in fast jedem Ort präsent sind und zivilgesellschaftliches Engagement verkörpern. Das weiß auch Ralf Meister, der Bischof der hannoverschen Landeskirche:

"In bestimmten Bereichen in den neuen Bundesländern gibt es überhaupt kein Ansehen der Pastoren mehr. Aber an dieser Stelle gibt es eine spezifische Geschichte der Kirche in den neuen Bundesländern mit der Erinnerung an die Jahre vor '89, die ist auch im Bewusstsein der Bevölkerung noch wach. Deshalb denke ich, gibt es da eine besondere Aufgabe, weil wir als Experten des Nahbereichs ohne direktes politisches Mandat eine enorme Kenntnis der Menschen vor Ort haben und damit auch eine gute Möglichkeit, Protestbewegungen, soziale Bewegungen wach und kritisch zu begleiten, an manchen Stellen sie auch zu initiieren."

Die Pfarrer vor Ort, die sich in ihren Gemeinden mit Rechtsextremen auseinandersetzen müssen, hätten die Rückendeckung der gesamten Kirche, sagt Pfarrer Klaus Burckhardt aus Hannover. Er ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus, eines Zusammenschlusses kirchlicher Gruppen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft wurde vor zwei Jahren gegründet und wendet sich gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit. Zu den ersten Erfolgen der Arbeitsgemeinschaft gehört ein Beschluss der EKD-Synode im November vergangenen Jahres:

"Die letzte war insofern eine ganz besondere Synode, weil die Forderung, dass auch gewaltfreie Blockaden gegen Nazi-Demonstrationen möglich sind, von der Synode unterstützt wurde. Das heißt, der gewaltfreie Widerstand wird auch stärker und die Synode honoriert das."

Auch wenn das zu polizeilichen Einsätzen und Bußgeldern führen kann. Ein Beschluss, den Bischof Ralf Meister ausdrücklich begrüßt. Auch in seiner Landeskirche gibt es Regionen, in denen neonazistische Gruppen lautstark und gewalttätig auftreten. So haben Rechtsextreme im Dezember vergangenen Jahres einen Brandanschlag auf ein Pfarrhaus im niedersächsischen Unterlüß verübt.

Um die Verbreitung rechtsextremer Ideologie zu verhindern, plädiert Bischof Ralf Meister für ein Verbot der NPD:

"Ich würde mir wünschen, dass es in Deutschland keine NPD mehr gibt. Wenn wir also wieder in ein Verfahren hineingehen, die NPD zu verbieten, dann muss es ein Höchstmaß an Sicherheit geben, dass dieses Verbotsverfahren auch zum Erfolg führt."

Das sieht Pfarrer Klaus Burckhardt etwas anders:

"Die Frage eines NPD-Verbots halte ich eher für eine Nebelkerze. Mir ist eher wichtig, den Forderungen zu entsprechen, die die lokalen Bündnisse haben, also Extremismuserklärung abschaffen, V-Männer abschalten, Finanzierungsströme für die rechtsextremen Gruppen austrocknen lassen und in der Mitte der Gesellschaft anzusetzen beim Thema Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit."

Klaus Burckhardt weiß, dass das Problem nicht nur bei der NPD oder den rechtsextremistischen Kameradschaften liegt. Die latente Akzeptanz von "rechtem Gedankengut" reiche bis in die Mitte der Gesellschaft, auch in die Mitte der Kirchengemeinden:

"Es hat eine sehr erhellende Studie gegeben zum Thema Religion und Vorurteil, die deutlich macht, dass auch Kirchengemeinden nicht davor gefeit sind, rechtsextrem-unterstützenden Argumentationen zu folgen. Also die Frage nach Überfremdung oder die Frage nach Islamophobie, solche Dinge zu benennen, das ist unsere Aufgabe."

Wissenschaftliche Untersuchungen belegen seit Langem, dass religiöse Menschen gegenüber anderen Gruppen sogar negativer eingestellt sind als Konfessionslose. Klaus Burckhardt von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus hat feststellen müssen, dass Menschen mit einer rechtsextremen Gesinnung selbst in Kirchenvorständen sitzen. Und das gilt nicht nur für die östlichen Bundesländer. In Süpplingen bei Braunschweig war ein NPDler Mitglied des Kirchenvorstandes.

"Das gibt es durchaus, dass es latente Unterstützer gibt von sogenannten Freien Bündnissen, die dann aber eine rechtsextreme Ideologie haben. Deswegen sind wir auch daran gegangen, als Initiative eine Art Leitfaden zu machen für Kirchenvorstände und Ehrenamtliche zum Thema: was tun, wenn... Also wenn es rechtsextreme Graffitis gibt, wenn Gottesdienste gestört werden, aber auch wenn Rechtsextreme sich bei Kirchenvorstandswahlen zu Wahl stellen."

Dieser Leitfaden erscheint im kommenden Monat und gibt Hilfestellungen, wie die Kirchen vor Ort zum Beispiel mit rechtsextremen Gemeindemitgliedern, mit Drohbriefen oder rechtsextremen Eltern im kirchlichen Kindergarten umgehen können.

In Orten wie dem mecklenburgischen Lübtheen, einer der Hochburgen der NPD, fällt der Kirche die Abgrenzung schwer. Die Pädagogin Dorothea Ziegler ist hier für die Kinderarbeit der evangelischen Kirche zuständig:

"Ich kriege schon mit, dass Kinder mir erzählen, dass sie, bevor sie zu einer kirchlichen Freizeit mitkommen, vorher in einem Lager der NPD gewesen sind, die haben ja auch diese Kinderwochen."

Einige Familien würden ihre Kinder sowohl zu den Nachmittagen einer nationalistischen Kameradschaft schicken, wo die Kleinen auch schon mal die Hand zum Hitlergruß erheben, als auch zu den Angeboten der Kirchengemeinde. Dass das eigentlich nicht vereinbar ist, darauf habe die Kirche die Eltern aber noch nicht angesprochen:

"Dazu haben wir nicht die Veranlassung gesehen. Wir wollen es natürlich auch nicht dramatisieren jetzt auch im Rahmen der Kirchengemeinde."

Auch Maria Harder aus der Gemeinde Gammelin will nicht dramatisieren. Aber sie weiß, dass sie vor Ort Flagge zeigen muss. Vor einigen Jahren plante die NPD an Pfingsten eine große Wahlkampfveranstaltung in Bakendorf, einem Nachbarort von Gammelin. Damals hatten viele Menschen Angst, sich öffentlich gegen den Aufmarsch zu wehren.

"Wenn es hart auf hart kommt, muss man ziemlich vorne stehen. Als man mich direkt gefragt hat: Frau Harder, würden Sie sich denn vorne anstellen, also das war eigentlich eine Provokation, und ich deutlich gemerkt habe, hier kann ich nicht zurückweichen, da habe ich gesagt: Ja, wenn das so sein muss, dann tu ich das aus meinem Amt heraus."

In ihrer Auseinandersetzung mit einer nationalistischen Kameradschaft vor Ort macht Pfarrerin Maria Harder in Gammelin die Erfahrung, dass die Rechten – zumindest momentan – nicht auf Gewalt setzen:

"Im Moment ist es die Strategie: der freundliche Nachbar, wir wollen uns integrieren in die Kirchgemeinde, in die Feuerwehr. Sie wollen uns bei unseren eigenen 'Schwächen' fassen: Ihr seid doch so tolerant, nun wollen wir mal sehen, wie tolerant ihr seid, und damit ringen sie gerade."

Diese Toleranz geht auch soweit, dass zum Beispiel ein Sohn rechtsextremer Eltern mit dem provokanten Vornamen Heil-Odin in einem kirchlichen Theaterstück den St. Martin gespielt habe.

"Die Gesinnung ist das eine, aber wir müssen immer aufpassen, dass wir nicht die Menschen ausgrenzen. Das ist so ein Balanceakt, den man gehen muss, dass wir nicht anfangen, irgendwen als Menschen auszugrenzen. Sondern immer deutlich sagen: Es ist die Gesinnung, die wir ausgrenzen."
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