Weltweiter Serienstart

Wenn Netflix 55 Millionen Kunden mit neuem Stoff versorgt

Das Logo der Videoplattform Netflix
Logo der Videoplattform Netflix: Soeben wurde die ziemlich blutige und brutale Serie "Marvel's Daredevil" gelauncht. © picture alliance / ZB / Britta Pedersen
Von Wolfgang Stuflesser · 10.04.2015
Heute Nacht hat die Online-Videothek Netflix die erste Staffel der Eigenproduktion "Daredevil" über den blinden Superhelden ins Netz gestellt. Wir waren im "War Room" der kalifornischen Netflix-Zentrale beim Launch dabei – und haben uns auch nach der Strategie des Unternehmens erkundigt.
Den Start einer Fernsehserie für Journalisten attraktiv aufzubereiten, damit die dann anschließend drüber berichten, ist nicht so ganz einfach. Vor allem, wenn die Serie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt gesendet, sondern nur auf einmal vom Server abrufbar ist.
Netflix gibt sich trotzdem alle Mühe, hat einen verglasten Konferenzraum in der kalifornischen Firmenzentrale zum "War Room" erklärt, als würde von hier ein weltweiter Feldzug koordiniert. Ein gutes Dutzend Bildschirme zeigt das Netflix-Angebot in verschiedenen Ländern, von den USA über Deutschland bis Australien. Und natürlich gibt es pünktlich zu Mitternacht einen Countdown:
Denny Kelleher, einer der Veratnwortlichen für die globale Startaktion, legt etwas theatralisch einen großen Hebel um – und ab sofort ist Daredevil weltweit freigeschaltet – für 55 Millionen Netflix-Kunden. Nach und nach checken die Techniker die verschiedenen Ausspielwege, ob der Abruf auch wirklich überall reibungslos klappt.
Ein blinder Superheld, der nachts in New York Bösewichte jagt
Netflix setzt in die Serie große Hoffnungen: Nach den Erfolgen des Politkrimis "House of Cards" und der Gefängnissatire "Orange ist the New Black" ist "Daredevil" ein weiteres Beispiel für Inhalte, die die Online-Videothek nicht einfach nur vertreibt, sondern selbst in Auftrag gegeben hat. "Daredevil" gibt es seit den 60ern als Comic und auch in einer Filmversion von 2003 mit Ben Affleck – damals ein ziemlicher Flop. Es geht um die Geschichte von Matt Murdock, einem Anwalt, der nachts Bösewichte in den Straßen von New York jagt. Das Besondere: Dieser Superheld ist seit einem Unfall in seiner Kindheit blind.
"Daredevil" ist die erste von insgesamt fünf Serien, die in einer groß angelegten Kooperation mit der Disney-Tochter Marvel entstehen sollen, die auch für Iron Man, Thor und die Avengers-Filme verantwortlich zeichnet. Auch die Fernsehserien "Agents of S.H.I.E.L.D." und "Agent Carter” stammen aus dem Hause Marvel – doch im Gegensatz dazu ist "Daredevil" deutlich brutaler und blutiger. Und zwar mit Absicht, erklärt Allie Goss, verantwortliche Managerin für die Netflix-Eigenproduktionen:
"Wir erzählen eine dunklere Version der Superhelden-Geschichte. Die anderen Marvelhelden kennt man, aber unsere tragen keine Capes und können auch nicht fliegen, sondern sie kämpfen mit der Faust und stehen mit beiden Beinen auf dem Boden. Sie sind schmutziger und schräger, als man das im Fernsehen zeigen könnte."
Netflix empfiehlt den Kunden Filme, die deren Geschmack treffen
Sicher nichts für jedermann – aber das ist auch gar nicht das Ziel von Netflix. Der Videodienst soll ein möglichst breites Spektrum an Filmen und Serien anbieten – und damit die maximale Zahl Kunden anziehen. Es könne sein, dass viele Abonnenten "Daredevil" nie zu Gesicht bekämen, erklärt Todd Yellin, bei Netflix so etwas wie der Herr aller Daten. Sein Team wertet genau aus, was die Kunden sehen, und passend empfiehlt ihnen Netflix dann automatisch weitere Filme und Serien, die ihren Geschmack treffen sollen.
Todd Yellin: "Wir werden nicht jedem Kunden schamlos jeden Inhalt anpreisen – wir wollen den Geschmack unserer Kunden treffen – deshalb beobachten wir jetzt auch genau, wer die Serie anschaut, und dann werden wir sie auf dieser Basis weiteren Kunden vorschlagen – vielleicht auch erst in einem Jahr – es ist nicht wie beim Fernsehehen, wo die Serie gesendet wird – und das war’s dann."
Ob "Daredevil" ein Erfolg wird, ist schwer zu sagen – und zu verifizieren, denn Netflix weigert sich standhaft, die Abrufzahlen für einzelne Produktionen bekanntzugeben. Die ersten Reaktionen im Netz sind recht positiv – wenn man mal von davon absieht, dass ein blinder Mensch es wohl im echten Leben nicht ganz so einfach hätte, unbeschadet derart wilde Schießereien zu überstehen.
Aber gut, wer wird bei Superhelden schon Realismus erwarten – blind auf Verbrecherjagd zu gehen, das ist auch nicht weiter hergeholt, als sich nach einem Spinnenbiss durch Hochhausschluchten zu schwingen oder vom Planeten Krypton zu kommen. "Spiderman" und "Superman" sind längst festes Inventar der Film- und Fernsehgeschichte - und so wird wohl auch "Daredevil" seine Fangemeinde finden.
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