Weise und heilige Narren

Welche Funktion Clowns in den Religionen haben

Ein im Stil des Clowns Pennywise, der in Stephen Kings Roman «Es» Kinder auf schreckliche Weise verstümmelt, verkleideter Teilnehmer nimmt am 12.07.2012 in San Diego an der Comic-Con teil.
Ein im Stil des Clowns Pennywise, der in Stephen Kings Roman "Es" Kinder auf schreckliche Weise verstümmelt © picture alliance / dpa / Sean M. Haffey / UT San Diego/ZUMAPRESS
Von Geseko von Lüpke · 07.02.2016
Bis zur Renaissance gab es in einigen Kirchen ein Mal im Jahr eine sogenannte Narrenmesse. Hier durfte das Volk endlich mal lachen – über die fetten Popen, über all das allzu Heilige, über sich selbst. Was macht einen "heiligen Narren" aus?
Wir kennen sie bis zum Abwinken vom Zirkus-Besuch. Jene müden Lachnummern, bei denen traurige Gestalten mit Kissen vorm Bauch und gestreifter Obelix-Hose am gepunkteten Hosenträger Klamauk machen: Sich blöder als bei Dick & Doof Schaufeln vor die Nase knallen, auf Bananenschalen ausrutschen, Leitern umstoßen und mit Farbeimern auf dem Kopf aus der Manege torkeln. Für die berühmte russische Clownin Antoschka, bürgerlich Jekaterina Moschajewa, der Publikum und Medien den Titel ‚Königin der Clowns' gegeben haben, sind solche Nummern Verletzungen ihrer Berufsehre. Für sie sind Clowns stille Philosophen, mutige Anarchisten, weise Künstler des Unerwarteten.
"Clowns haben Improvisationstalent. Der Clown kommt in Manege. Findet den Besen. Und Besen kann Kalaschnikow sein, dass kann Gitarre sein, das kann Antenne sein. Er verwandelt eine einzige Gegenstand in kreativer Form in Tausende Sachen, er reitet auf diesem Besen. Er kann alles machen. Mit kleiner Wirkung, nur mit einem Lächeln, oder mit Mut wir kriegen diese Wandlung, die wir brauchen. Wenn sie glauben das kleine Ding kann nichts wirken, sie waren nie im Bett mit einem Moskito. Kleines Ding, große Wirkung!"
Gute Clowns sind Philosophen, subversive Künstler, absurde Guerillas wider alle bürgerliche Normalität. Sie gab es zu allen Zeiten, überall, selbst in den Palästen und Kirchen. Könige hielten sich Hofnarren, die sich freche Kritik an den Potentaten leisten durften. Und bis zur Renaissance gab es sogar in manchen Kirchen einmal im Jahr Narrenmessen, in denen das Volk endlich mal lachen durfte – über die fetten Popen, über all das allzu Heilige, über sich selbst..
"Der Clown war immer Ratgeber für kleine Leute und für große Leute. Und er hat immer die richtige Antwort gefunden, weil er hat nie gerade geguckt. Schließlich der richtige Clown haltet den Spiegel: Die Leute lachen über sich selbst. Und in diesen Momenten sagt er: 'Guck! Gucke an!' Das ist wie in der Meditation, wo wir wollen, dass die Leute nach innen gehen und gucken."
Mystiker, Magier und Schamanen
"Nach Innen gehen und gucken!" sagt Antoschka. Den Narren, der uns aus dem Normalen rauskatapultiert, Masken herunterreißt, absurde Wahrheit aufdeckt – und damit letztlich das Bewusstsein weitet, gab es in allen Kulturen, und oft kam er mit der Religion zusammen. Als Till Eulenspiegel im europäischen Mittelalter, als Yurodivi in Russland, als Heyoka bei den Indianern Nordamerikast, ja selbst als Schamane in den endlosen Tundren Asiens. Als solcher spricht der Schriftsteller, Heiler und Stammesfürst der Tuwiner im Nordwesten der Mongolei, Galsan Tschinag, auch über sich selbst, wenn er findet...:
"...dass der Schamane ein Geisteskranker ist, ein Narr, ein Clown und ein Unverschämter. Aber die Narren sind die Weisen. Und der normale Bürger, der disziplinierte Steuerzahler, der mag zwar Maschinen an die Wirtschaft liefern, aber so große geistige Wahrheit ist von dem nicht zu erwarten. Der Wert des Schamanen entsteht, weil er in allem experimentiert und immer Horizonte sprengt."
Im Brief von Paulus an die Korinther ist von den Narren Christi die Rede: "Wer unter Euch meint weise zu sein in dieser Welt" heißt es da, "der werde ein Narr, auf dass er weise werde!" Mystiker, Magier und Schamanen wussten zu allen Zeiten, dass die eigentliche Spielregel des Lebens die Veränderung ist. Dass wir der Wahrheit unseres Lebens nicht begegnen, wenn wir brav den Regeln des Dogmas folgen. Und sie erfanden rund um die Welt zahllose Werkzeuge und Lehren, um die Erstarrung des Lebens zu durchbrechen. Sie spannten Stolperschnüre für das lineare und logische Denken, wohl dosierte Schocks, um uns aus dem Alltagsschlaf zu wecken, gezielte Anschläge auf den Verstand, um ihn von den engen Fesseln des Egos zu befreien und Platz zu machen für ein viel größeres intuitives Erkennen. Trickster nennt man sie, rituelle Clowns, verrückte Meister. Ihr Tun öffnet die Menschen. Als Verkehrt-Herum-Leute tun sie viele scheinbar törichte Dinge, wie die Stiefel verkehrt herum anziehen, sodass sie zugleich kommen und gehen; im heiligsten Moment die Hosen runterlassen und auf den Ritualplatz scheißen. Sie haben die Erlaubnis, sich über alles, was heilig ist, lustig zu machen. Der Ethnopsychologe Holger Kahlweit begegnete ihnen beim Stamm der Zuni-Indianer im amerikanischen Südwesten.
Narren und Clowns konfrontieren uns mit Tabus
"Und da passiert folgendes: dass die Clowns die Priester nachäffen mit sexuellen Zoten und bösen Worten, um die heilige Atmosphäre, die der Priester versucht in den Leuten zu erzeugen, umzukehren. Denn: Sie kennen ja das Phänomen, wenn Sie eine halbe Stunde auf der harten Kirchenbank sitzen, können Sie nicht mehr zuhören. Ihre Spiritualität verschwindet. Wenn es jetzt aber eine kleine Einlage von Clowns in der Kirche gibt, wo Sie mal ganz profan drüber lachen und sich entspannen können, dann können Sie hinterher dem Pfarrer wieder besser zuhören. In allen Zeremonien müssen clowneske, paradoxe Einlagen gemacht werden, wo wieder der krasse Alltag zurückgeholt wird."
Durch das Gelächter versöhnt man sich mit dem Verrückten im Leben und der Angst vor den Schicksal webenden Göttern, öffnet sich für das Absurde und Unkontrollierbare, das große Nichtwissen. Dann wird man selbst irgendwie zum 'lachenden Buddha', der sich ausschüttet vor Lachen, man befreit sich von Enge und wird innerlich weit. Weise Narren und heilige Clowns konfrontieren uns mit Tabus Weil sie die Fesseln der Konvention auch in der Religion sprengen, helfen sie dabei, Wirklichkeit auf einer tieferen Ebene zu erfahren. Sie rücken zu recht, ver-rücken verrückt. Und sie treffen damit, jenseits aller Vernunft, mitten ins fühlende Herz. Den perfekten Clown beschreibt die russische Königin der Clowns Antoschka so:
"Er weiß, dass er mit Hilfe von Clownerie findet die kürzeste Weg vom Herz des Zuschauers. Wenn die Herz ist offen, Du kannst seine Meinung legen, Du kannst Werte legen, Du kannst Leute umwandeln. Dass diese Erhöhung oder Wachstum von Bewusstsein nur möglich wenn die Leute verstehen nicht nur mit Gehirn, auch mit Herz. (9:10) Ich möchte dass der Clown wieder seinen Platz nimmt, als weiser Ratgeber."

Literatur:
Georg Feuerstein: Heilige Narren. Über die Weisheit ungewöhnlicher Lehrer, Krüger Verlag 1996
Cambra Skadé: Eine Reise ins Land der Närrin, Eigenverlag 2015

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