Weimarer Republik und heute

Die gesellschaftliche Mitte und das "Volk"

Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden
Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Von Tobias Krone · 24.10.2016
Das Reden vom "Volk", das von den Eliten nicht verstanden würde, hat wieder Konjunktur und immer wieder kommt der Vergleich zur Weimarer Republik auf. Historiker haben untersucht, welche Rolle der Begriff etwa beim Bildungsbürgertum damals gespielt hat - und Parallelen gefunden.
Man braucht kein Historiker sein, um das zu erkennen, was Axel Schildt, Professor für Neuere Geschichte in Hamburg, am Montagabend in München feststellt:
"Man spricht wieder vom Volk, man spricht wieder vom Volk, das die Eliten nicht verstehen – und gegen das Volk handeln und so weiter."
Ja, man bemerkt solche Dinge. In der Kneipe und in der bunten Welt der kurzatmigen Medien. Die Geschichtswissenschaft dagegen hält sich da gerne zurück mit historischen Vergleichen. Etwa mit Analogien zwischen der Weimarer Republik und der gegenwärtigen Gesellschaft, wie wir sie alle irgendwie glauben wahrzunehmen – in Pegida-Demos, dem Rechtsruck durch AfD oder dem Hass im Internet. Insofern birgt der Abend, den die Historikerin Elke Seefried am Münchner Institut für Zeitgeschichte organisiert hat, einen gewagten, aber wichtigen Versuch: Die schwächelnde Demokratie von Weimar zumindest einmal annäherungsweise zusammenzudenken mit heute. Dafür hat sie neben Axel Schildt zwei junge Kollegen eingeladen, die sich in ihren Arbeiten mit gesellschaftlichen Diskursen der Weimarer Republik befassten: So etwa Jörn Retterath, der über den Begriff "Volk" promovierte. Schon 1914 ein problematischer Begriff.
"Die parlamentarisch-demokratische Republik als die Staatsform, in der das Volk herrscht, ist darauf angewiesen, dass es einen Konsens darüber gibt, wer bzw. was das Volk ist. Jedoch gingen während der Novemberrevolution und zu beginn der Weimarer Republik die Ansichten in dieser zentralen Frage selbst bei den politischen Akteuren der Mitte auseinander."
Auch die Parteien, die sich zur Weimarer Verfassung bekannten, wie die Sozialdemokraten oder die linksliberale DDP, wurden Opfer der Offenheit des Begriffes Volk. Denn dieser kann verschieden verstanden werden. Waren mit Volk die kleinen Leute genannt, oder ein Wahlvolk von Staatsbürgern – oder gar eine kulturell und rassisch homogene Volksgemeinschaft: Der Begriff ließ das offen. Durchgesetzt hat sich unter den Nationalsozialisten die letztere Lesart. Eine schwer zu greifende mythische Volksdefinition, die in den 1920er-Jahren auch schon im gemäßigten katholischen Milieu vorherrschte.
"Der Volkswille ist dort häufig nicht nur das, was sich eben bei Wahlen durch Mehrzahl der abgegebenen Stimmen manifestiert, sondern als Volkswille wird das wahrgenommen, was irgendwie vorhanden ist, und was begriffen werden muss vom Politiker, also der Politiker muss intuitiv erkennen, was der Volkswille ist."

"Es besteht historischer Aufklärungsbedarf"

Mit diesem Volksbegriff wurden auch demokratische Geister anschlussfähig an die völkische Ideologie Hitlers. Spätestens bei einem Wort wie Volkswillen schrillen die Alarmglocken der Dresdner Gegenwart. Doch zunächst ziert sich Retterath etwas davor, die junge Weimarer mit der Berliner Republik vergleichen.
"Die Situation der Weimarer Republik unterscheidet sich, glaub' ich, schon fundamental von der der Bundesrepublik Deutschland, wir sind eine gefestigte Demokratie, zumindest hoffe ich das. Das kann man von der Weimarer Republik nicht sagen. Und ich glaube auch die Akzeptanz von Pluralismus ist in der Bundesrepublik Deutschland um einiges stärker ausgeprägt als in der Weimarer Republik."
Doch wenn er sich anschaut, wie der Begriff Volk heute unter den Montagsdemos wieder Karriere macht, dann fallen Retterath schon Parallelen auf. Denn wie damals versucht der Slogan "Wir sind das Volk" sowohl die kleinen Leute wie auch die aufrichtigen Bürgerrechtler der Wendezeit ins Boot zu holen - und eben auch Anhänger des Völkischen.
"Mit dieser Offenheit des Volksbegriffs findet meines Erachtens auch Anknüpfungspunkte statt, wo sich eben auch Neonazis und Rechtsextreme dann einreihen können in solche Demonstrationen."
Ein giftiger Begriff, der sich gleichzeitig so genehm-schleimig an die Seelen aller Vernachlässigten und Verunsicherten schmiegt: Man sollte ihm tunlichst aus dem Weg gehen – und die Mehrheit tut es ja, anders als vor 100 Jahren. Die Politik weiß, worüber sie spricht, wenn sie vom Volk redet. Und gewiss wird in unserer Gegenwart lebhaft über das Deutschsein debattiert. Doch dass plötzlich aus den vergessenen Nischendiskursen regelrechte Volks-Parteien mit 20 Prozent erwachsen, das provoziert bei Axel Schildt vor allem den einen Schluss:
"Es besteht historischer Aufklärungsbedarf – das ist unsere Problemgeschichte, was wir vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten hätten, aber es ist die heutige Situation."
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