Warum der Nil rot wurde

29.04.2009
Im Alten Testament lässt Gott es so richtig krachen: Über das Land des Pharaos ergehen zehn Plagen, darunter Heuschreckenschwärme und blutrotes Wasser. Ob in diesen biblischen Erzählungen nicht auch ein Fünkchen Wahrheit steckt, untersuchen Wissenschaftler seit langem. Die beiden Journalisten Claudia Moroni und Helga Lippert fassen den derzeitigen Erkenntnisstand zusammen.
Umso wichtiger ist es, den geschichtlichen Kontext zu rekonstruieren, die Hilfen der modernen historisch-kritischen Bibelinterpretation hinzuzuziehen und die theologischen Aussagen dahinter verstehen zu lernen. Ein gigantisches Wissen ist dazu nötig. In lebhafter Sprache und leicht verständlich führen die Autorinnen in die Welt der alten Ägypter ein, greifen Schlüsselszenen aus den fünf Büchern Mose - der jüdischen Bibel - auf und setzen sie in Bezug zu jüngsten Entdeckungen.

Ein verkohlter Olivenbaum, gefunden 2003, wird zum Wendepunkt für Forscher nach vier Jahrzehnten. Damit kommt die These in Umlauf: Vulkanausbrüche auf einer ägäischen Insel brachten vor gut 3500 Jahren sauren Regen - das Biotop des Nils kippte. Zusätzliche Beweise liefert 2005 ein kanadischer Biologe, der in einem medizinischen Handbuch aus dem 14. Jahrhundert vor Christus Rezepte fand, die gegen Verbrennungen sowie Verletzungen durch rotes Wasser und Infizierung mit Würmern entstanden sind. Schwefel- und Salpetersäuren müssen demzufolge die Gewässer im Land der Pharaonen verseucht haben.

Weitere Vulkanausbrüche veränderten das Klima, ein Tief lockte Heuschreckenhorden an, extreme Unwetter verfinsterten die Tage. So erklärt sich massenhaftes Fische- und Fröschesterben, deren Kadaver Nährboden für Ungeziefer werden, die weitere Infektionen verbreiten, unter anderem den Schimmelpilz fördern, was übrig gebliebene Nahrung und damit vor allem Menschen vergiftet, die privilegierten Zugang zu ihr haben - die Erstgeborenen.

Die Plagen zu erforschen, ist der eine große Forscherstrang. Andere Wissenschaftler versuchen, die Erzählung vom Auszug der Israeliten mit historischen Orten und Fakten abzugleichen. Die vielen Widersprüche im biblischen Text erschweren dies. Hinzu kommen Abschreibefehler, viele Autoren, die Einzelerzählungen zu einem Text zusammenfügen und dabei auch fiktive Elemente beimischen. Es wäre zu kurz gedacht, daraus zu folgern: Die Bibel sei deshalb weniger bedeutsam geworden.

Die Autorinnen sind davon weit entfernt. Sachlich halten sie Tatsachen von Erzähltechniken auseinander, theologische Absichten von mythischen Deutungen. Die Zahl der über 600.000 ausziehenden Israeliten nennen sie maßlos übertrieben. Von besten falls 30-40.000 gehen Forscher heute aus.

Moses schrieb weder die Texte selbst, noch gibt es sichere Hinweise auf eine historische Gestalt mit seinem Namen. Die Wunder in der Wüste Sinai dagegen sind weitgehend erklärbar: Das Himmelsbrot Manna sammelt sich frühmorgens auf dem Tamariskenbusch, Wachteln unterbrechen ihren Flug, wenn sie von Lichtern angelockt werden, und Wasser in der Sinai-Wüste fanden auch Expeditionen beim Klopfen auf kalkhaltige Felswände.

Den Autorinnen gelingt es zu entwirren, was Wirklichkeit, was Geschichte und was reine Glaubenssache ist. Lippert und Moroni sind keine Bibelkritiker, die das Buch der Bücher in Bausch und Bogen wegen ihrer Widersprüche verdammen. Im Gegenteil. Unter ihrer Feder tritt die Ernsthaftigkeit der Bibeltexte und die biblische Kernbotschaft noch klarer hervor: Jeder Leser soll den Moment seiner Befreiung aufs Neue erkennen, die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart erschließen und daraus Rückschlüsse für die Zukunft der Menschheit und der Umwelt ziehen.

Rezensiert von Karla Sponar

Claudia Moroni, Helga Lippert: "Die Biblischen Plagen - Zorn Gottes oder Rache der Natur. Wissenschaftler lösen ein altes Rätsel
Piper Verlag, München 2009
295 Seiten, Euro 19,95