Vor 55 Jahren im österreichischen TV

Helmut Qualtinger spielt erstmals "Der Herr Karl"

Der österreichische Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger im Jahr 1962
Der österreichische Schauspieler und Kabarettist Helmut Qualtinger im Jahr 1962 © picture alliance / dpa / Felicitas Timpe
Von Beatrix Novy · 15.11.2016
Der größte Erfolg des österreichischen Schauspielers Helmut Qualtinger sei auch seine größte Niederlage gewesen, sagte einer seiner Biografen einmal. Alles, was er danach gespielt habe, sei an seinem glanzvollen TV-Solo "Der Herr Karl" gemessen worden - vor 55 Jahren uraufgeführt.
Ausschnitt aus "Der Herr Karl": "Bis '34 war i Sozialist. War a ka Beruf, hat mer a net davon leben können. Später dann bin i demonstrieren gangen für die Schwarzen, für die Hahnenschwanzler, Heimwehr, net, hob i 5 Schilling kriagt. War a Goild damols. Dann bin i umizum zu die Nazi, zu die damaligen, da hob i a 5 Schilling kriagt. No jo, Österreich war immer unpolitisch, mia san ja keine politischen Menschen."
"Und als Helmut Qualtinger dieses Stück gebracht hat, das war Anfang der 60er-Jahre, ging ein Ruck durch die österreichische Öffentlichkeit."
Er war damals erst zehn, aber den 15. November 1961 hat der Kabarettist Gerhard Haderer nicht vergessen: Der Tag, an dem "Der Herr Karl" den Fernsehzuschauern der Nation kometenhaft erschien. Verkörpert von Helmut Qualtinger, der sich eine knappe Stunde lang durch die jüngere österreichische Geschichte monologisierte. Das schwitzende pausbäckige Gesicht butterbrotkauend in die Kamera haltend, fixierte Qualtinger sein Publikum, ein Mann aus dem Volk, wienerherzig und gnadenlos jovial.
"Da war a Jud im Gemeindebau, der Tennenbaum, sonst a netter Mensch. Und da hob'm's Sachen gegen die Nazi gschriebs habt auf die Trottoir, auf die Gehsteige, und der Tennenbaum hat des aufwischen müssen, no, wia ham ihn hing‘führt, dass ers aufwischt."

Gescheiterter Ladenschwengel eines Delikatessengeschäfts

Den volltönenden, dabei im Leben wie in der Liebe ziemlich gescheiterten Ladenschwengel eines Delikatessengeschäfts hatten Carl Merz und Helmut Qualtinger erfunden. Im künstlerischen Aufbruch der Nachkriegszeit hatten sie zusammen mit einem weiteren Schauspieler und Kleinkünstler ein erfolgreiches Kabarett gegründet. Der Zerfall der Gruppe im Jahr 1961 wurde zur Geburtsstunde des "Herrn Karl".
"Na, dann ist eh der Hitler kummen."
Sehr zum Missvergnügen vieler Fernsehzuschauer offenbarte der gemütliche Herr Karl einem fiktiven jungen Gesprächspartner ungeliebte Wahrheiten aus der jüngsten Geschichte
"Das war eine Begeisterung, ein Jubel wie man sichs überhaupt nicht vorstellen kann, nach diesen furchtbaren Jahren, nach diesen traurigen Jahren!"
Herr Karl, der in den furchtbaren Jahren seine Schäfchen immer noch ins Trockene brachte, kultiviert ein wohlbekanntes Selbstmitleid. Aber noch im sentimentalsten Überschwang kriegt er die Kurve zu einer zeitgemäßeren Interpretation der Geschehnisse. Dann wechselt er ins pathetische Fach und ins Hochdeutsche.
"Die Polizei ist g‘standen mit die Hakenkreuzbinden, fesch, furchtbar, furchtbar! Das Verbrechen, wie man diese gutgläubigen Menschen in die Irre geführt hat!"

Gerissener Durchwurschtler

Merkwürdig viele fühlten sich offenbar gemeint mit dem gerissenen Durchwurschtler, schon während der Sendung klingelten im ORF anhaltend die Telefone.
"Kaum ist Gras über die Geschichte gewachsen, kommt so ein Kamel und frisst es wieder ab",
sprach ein hoher Funktionär der staatseigenen Fluggesellschaft und meinte damit die "leidige Geschichte" mit den Juden. In das komfortable Geschichts-Arrangement der Opferthese, derzufolge das von Hitler überfallene Österreich mit den Untaten des Dritten Reichs nichts zu tun hatte, schlug "Der Herr Karl" eine erste Bresche. Nur mit österreichischer Ambivalenz konnte sich der ORF-Rundfunkrat überhaupt dazu durchringen, diese Provokation zu senden:
"Einige Mitglieder des Beirats waren ganz dafür, andere wieder halb dagegen, dann gab's welche, die waren halb dafür und andere wiederum ganz dagegen."
Die öffentliche Erregung hielt nicht lange an, sie schlug vielmehr um in einen enormen Erfolg. Die Nation war also, trotz offen tiefbrauner Mentalitäten, reif gewesen für einen "Herrn Karl". Helmut Qualtinger sah es österreichischer:
"Man hat zuerst gesagt, das ist eigentlich eine furchtbare Gemeinheit, dann hat man gesagt, es ist künstlerisch eigentlich sehr gut, und wir haben ja Humor, net …"

Sprichwörtliche Legende

Was war es, das den Herrn Karl zu Qualtingers größtem Erfolg, zur sprichwörtlichen Legende machte? Er selbst war sicher: Es lag am Aufmerksamkeitsfaktor Fernsehen. Ein "Herr Karl", uraufgeführt vor ein paar hundert Leuten im Kabarett, wäre keinem zu nahe getreten:
"Im Kabarett sitzen Leute drin, die damit einverstanden sind. Und das ist nun an Leute herangekommen, die nicht von vornherein einverstanden waren."
Für Gerhard Haderer war der 15. November 1961 ein erster Schritt zum Berufswunsch Kabarettist:
"Und damals hab ich als sehr junger Mensch erkannt, dass man mit Kabarett in Österreich wirklich etwas bewegen kann."
Qualtinger sah es anders. Er gab das Kabarett ganz auf und begann, als Regisseur und als der begnadete Schauspieler, der er war, vom "Herrn Karl" loszukommen. Ganz gelang es ihm nie.
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