Vor 50 Jahren

Ein Erdrutsch verschüttet das walisische Dorf Aberfan

Rettungshelfer bei Aufräumarbeiten an der zerstörten Schule. Am 21.10.1966 begrub ein Erdrutsch in dem walisischen Bergarbeiterort Aberfan in Glamorgan in Wales die Pantglas Schule, 15 Häuser und ein Bauerngehöft. 116 Kinder und 28 Erwachsene kamen bei der Katastrophe ums Leben. +++(c) dpa
Rettungshelfer bei Aufräumarbeiten an der zerstörten Schule. Am 21.10.1966 begrub ein Erdrutsch in dem walisischen Bergarbeiterort Aberfan in Glamorgan in Wales die Pantglas Schule, 15 Häuser und ein Bauerngehöft. © Empics
Von Ruth Rach · 21.10.2016
Aberfan war ein typisches Bergarbeiterdorf in Südwales - bis sich dort eine Katastrophe ereignete, die eine ganze Generation von Kindern in den Tod riss: Vor 50 Jahren löste sich eine Abraumhalde der örtlichen Kohlenzeche und begrub eine Grundschule und andere Gebäude.
Der 21. Oktober 1966 war ein trüber Tag in Aberfan, Südwales. Schon seit Tagen hatte es unaufhörlich geregnet. Aber die Kinder in dem Bergarbeiterdorf waren glücklich: sie freuten sich auf die Herbstferien. Dies war ihr letzter Tag in der Schule. Doch dann kam die Katastrophe.
Kaum waren die Kinder von der Morgenversammlung in ihre Klassenzimmer zurückgekehrt, da löste sich eine 250 Meter hohe Abraumhalde von der Kohlenzeche Merthyr Vale. Zwei Millionen Tonnen Geröll, Schlamm und Ruß donnerten den Berg herab und begruben die Grundschule, eine Farm und eine ganze Zeile von Wohnhäusern.
"Niemals in meinem ganzen Leben habe ich etwas so Schreckliches gesehen, und ich hoffe, dass ich das nie mehr erleben werde…"
... sagte BBC Reporter Cliff Mitchelmore über die Bergungsarbeiten. 144 Menschen kamen ums Leben, 116 davon waren Kinder.

Das Dorf wurde nicht gewarnt - das Telefon funktionierte nicht

"Normalerweise werden die Bergarbeiter zu einem Appell zusammengerufen, wenn sich ein Zechenunglück ereignet hat, aber diesmal geht es um ihre eigenen Kinder", so Mitchelmore weiter.
Seit fast hundert Jahren war der Grubenaushub der Merthyr Vale Colliery über dem Dorf abgekippt worden. Die Pantglass Junior School lag direkt im Schatten von Halde 7. Am Unglücksmorgen hatten Arbeiter zwar bemerkt, dass Teile der Abraumhalde weggesackt waren - ein Kranarbeiter gab daraufhin dem Zechenbüro Bescheid. Aber die Menschen im Tal konnte er nicht erreichen, weil das Telefon nicht funktionierte. Die Drähte waren vor Jahren gestohlen worden.
Die Schutt- und Schlammlawine hörte sich wie ein Düsenflugzeug an, erzählt David Hopkins, der das Unglück überlebte. Es dauerte fast eine Woche, bis das letzte Opfer geborgen war.
"Die meisten meiner Klassenkameraden sind ums Leben gekommen. Tagelang hatte ich das Gefühl, das sei ein böser Traum. Bis sie alle begraben wurden."

Unter der Halde befanden sich sieben Wasserquellen

Schon seit Jahren hatten die Bewohner von Aberfan vor der Halde sieben gewarnt. Aber selbst ihr Abgeordneter traute sich nicht, auf einer Abtragung zu bestehen. Er fürchtete, dass zusätzliche Unkosten zur Grubenschließung und Arbeitslosigkeit führen könnten. Denn eigentlich war der Kohlebergbau auch in Aberfan längst nicht mehr rentabel. Der örtliche Merthyr Express kommentierte:
"Jeder weiss, dass sich Kohlehalden bewegen. Alle fürchten, dass die Halde über ihrem Dorf ins Tal herabstürzt, aber das ist ein Risiko, das sie in Kauf nehmen. Ohne die Halde über Aberfan hätte die Merthyr Vale Colliery wahrscheinlich schließen müssen. Und ohne die Zeche wäre das ganze Dorf gestorben."
Der fatale Abrutsch war durch eine Wasseransammlung verursacht worden, durch die sich der Aushub verflüssigte. Dass sich unter der Kippstelle der Halde sieben Quellen befanden, war allgemein bekannt gewesen und sogar auf einer offiziellen Karte eingetragen. Ein anschließendes Tribunal machte die mangelnde Sicherheitspolitik der Staatlichen Kohlenbehörde NCB für das Unglück verantwortlich.

Jahrzehnte des Schweigens folgen auf das Unglück

Doch der Leiter Lord Robens erklärte, er habe nichts von den Quellen gewusst. Die Kohlenbehörde wurde zu einer Ausgleichszahlung von 500 bis 1.000 Pfund pro Familie verurteilt. Es gibt viele, die jahrzehntelang nicht über die Katastrophe sprechen konnten oder durften, sagt eine ehemalige Schülerin der Pantglass Junior School.
"Was damals in Aberfan passierte, war ein dunkles Geheimnis, über das wir Kinder nicht reden durften. Wir mussten stumm bleiben, vor allem auch um der anderen Leute willen, die ihre Kinder verloren hatten. Gleichzeitig haben sich die überlebenden Kinder aber auch nicht untereinander ausgetauscht. Wir haben das alles in uns weggeschlossen. Nach dem Unglück, als wir noch klein waren, war kaum noch ein Kind übrig. Und so wanderten wir durch die Straßen wie verlorene Seelen."
Das Merthyr Vale Kohlebergwerk wurde 1989 geschlossen. Aber die Wunden der Bewohner von Aberfan sind bis heute nicht verheilt.