Vor 150 Jahren

Erste Genfer Konvention unterzeichnet

Von Monika Köpcke · 22.08.2014
Der erste humanitär-völkerrechtliche Vertrag fußt auf der Idee des Schweizer Schriftstellers Henri Dunant. Durch seinen Einfluss entstand 1864 in Genf ein Vertrag mit dem Titel "Konvention zur Verbesserung des Loses der Verwundeten bei den im Felde stehenden Heeren".
In der Kutsche, die sich Ende Juni 1859 durch Norditalien kämpft, sitzt der Schweizer Geschäftsmann Henri Dunant. Er reist Napoleon III. nach, der gerade in der Nähe des Dörfchens Solferino an der Seite der sardinischen Truppen gegen die Österreicher kämpft. Dunant hofft, dass ein gutes Wort des französischen Kaisers seine stockenden Geschäfte endlich in Schwung bringen kann. Als er aber am Abend des 28. Juni Solferino erreicht, ist Napoleon nach 15-stündiger, gewonnener Schlacht schon wieder weitergezogen.
Dunant sieht Lachen aus Schmutz und Blut, sieht abgetrennte Gliedmaßen und die im Schrei erstarrten Münder der Gefallenen. Er hört das Stöhnen, Weinen und Beten der Verletzten. Die Sanitätstruppen sind heillos überfordert. Dunant will helfen. Er organisiert im nahen Castiglione Freiwillige, zumeist Frauen, die sich um die rund 40.000 Verwundeten kümmern.
"Die Frauen von Castiglione erkannten bald, dass es für mich keinen Unterschied der Nationalität gab. Und so folgten sie meinem Beispiel und ließen Soldaten, die ihnen völlig fremd waren, das gleiche Wohlwollen zuteil werden. 'Tutti fratelli' - 'Alle sind Brüder', wiederholten sie immer wieder. 'Tutti fratelli'."
Das Los der Soldaten verbessern
Tief bewegt kehrt Dunant nach Genf zurück. Er schreibt seine Erfahrungen auf und nennt das Buch "Eine Erinnerung an Solferino". Auf eigene Kosten lässt er über 1000 Exemplare drucken und verschickt sie an Fürsten, Generäle und Regierungen in ganz Europa. Dunant beschränkt sich nicht auf detaillierte Schilderungen der Schlachtgreuel; auf den letzten Seiten formuliert er zwei Ideen, wie das Los der Soldaten zukünftig verbessert werden könnte:
"Gibt es während einer Zeit der Ruhe und des Friedens kein Mittel, um Hilfsorganisationen zu gründen, deren Ziel es sein müsste, die Verwundeten in Kriegszeiten durch begeisterte, aufopfernde Freiwillige pflegen zu lassen? Wäre es nicht wünschenswert, dass die hohen Generäle verschiedener Nationen zusammentreffen und diese Art von Kongress dazu benutzen, eine internationale, rechtsverbindliche und allgemein hochgehaltene Übereinkunft für den Einsatz dieser Hilfsorganisationen zu treffen?"
Das Echo auf Dunants Buch ist überwältigend. Die Mächtigen wollen dazu beitragen, das "Unvermeidliche", den Krieg, wenigstens "humaner" zu gestalten. In seiner Heimatstadt Genf findet Dunant einflussreiche Mitstreiter. Sie sorgen dafür, dass die Schweizer Regierung eine diplomatische Konferenz im Genfer Rathaus ausrichtet. Hier unterschreiben die Vertreter von zwölf europäischen Regierungen am 22. August 1864 einen Vertrag mit dem Titel "Konvention zur Verbesserung des Loses der Verwundeten bei den im Felde stehenden Heeren."
Keine diplomatischen Vorverhandlungen
Den Text der Konvention hatten Dunant und seine Freunde entworfen. Es gab keine diplomatischen Vorverhandlungen, keine Streichungen oder laue Kompromisse: So wie die Initiative um Henri Dunant den Text aufgesetzt hatte, so wurde er als erster humanitär-völkerrechtlicher Vertrag angenommen. Beide Vorschläge, die Dunant in seinem Buch angeregt hatte, sollen mit dieser ersten Genfer Konvention umgesetzt werden:
"Artikel 1: Die Ambulanzen und Militärspitäler werden als neutral anerkannt und demgemäß von den Kriegsführenden geschützt und geachtet werden, solange sich Verwundete und Kranke darin befinden.
Artikel 7: Eine ausreichende und überall gleiche Fahne wird für die Spitäler, Ambulanzen und Evakuationen angenommen. Desgleichen wird für das neutralisierte Personal ein Armband zugelassen. Armband und Fahne tragen das gleiche Symbol: Ein rotes Kreuz auf weißem Grund."
Aus dem Roten Kreuz ist längst ein weltumspannendes humanitäres Hilfswerk geworden. Der ersten Genfer Konvention folgten im Laufe der Zeit weitere, die die Schutzbestimmungen auf Schiffbrüchige, Kriegsgefangene und Zivilisten erweiterten. Fast 200 Staaten haben bis heute diese Abkommen unterschrieben. Und die große Mehrheit von ihnen, so Philip Spoerri, Direktor beim Internationalen Roten Kreuz, hält sich bei bewaffneten Konflikten auch an ihre Regeln:
"Allerdings sehen wir natürlich viele Verletzungen, und dass es ein riesiges Problem bleibt, die Konventionen umzusetzen, zu respektieren. Man berichtet natürlich nie, wenn etwas funktioniert. Man berichtet natürlich nur bei den Verstößen. Und wir sehen so schwere Verstöße, dass es auch wichtig ist, darüber zu berichten. Aber man darf nicht aus den Augen verlieren, was wäre, gäbe es diese Konventionen nicht."