Von niederländischer Herrschaft befreit

Von Sven Claude Bettinger · 21.07.2006
1830 begann in Brüssel der Aufstand der Belgier gegen die Niederlande, zu denen sie seit dem Wiener Kongress gehörten. Anfang Oktober vertrieben die Revolutionäre die niederländischen Truppen, und Belgien erklärte seine Unabhängigkeit. Am 21. Juli 1831 wurde der erste König der Belgier vereidigt.
"Ich schwöre, die Verfassung und die Gesetze des belgischen Volkes zu beachten, die Unabhängigkeit des Landes zu erhalten, und die Unversehrtheit des Staatsgebietes zu wahren."

Am 21. Juli 1831 leistet Herzog Leopold von Sachsen-Coburg auf Brüssels "Place Royale" diesen Eid - den der amtierende König Albert II. inzwischen nicht nur auf Französisch, sondern auch auf Deutsch und Niederländisch ablegen musste. Nach einer Verfassung, einem Parlament und einer Regierung hat Belgien, das sich im Herbst 1830 von den Niederlanden abgespalten hat, nun auch ein Staatsoberhaupt.

Die Suche nach dem geeigneten Monarchen ist schwierig gewesen. Die belgische Verfassung schließt das Haus Oranien-Nassau von der Thronfolge kategorisch aus. Der einheimische Hochadel jedoch lehnt die Krone ab. Fürst Félix de Mérode zum Beispiel antwortet auf das Angebot:

"Lieber werde ich Zwangsarbeiter, als König dieses aufständischen Volkes!"

Dafür melden sich in Brüssel umso mehr ausländische Kandidaten. Das Parlament wählt letztlich den 15-jährigen Herzog von Nemours, den Sohn des französischen Königs Louis-Philippe. Der hat insgeheim die Hoffnung noch nicht aufgegeben, Teile des neuen Staates zu annektieren. England lehnt jedoch einen Franzosen auf dem belgischen Thron ab. Ebenso der weitsichtige belgische Premierminister Joseph Lebeau:

"Belgien kann nur dann dauerhaft existieren, wenn es ganz entschieden klarstellt, dass es unabhängig, ganz und gar unabhängig ist."

So gerät Leopold von Sachsen-Coburg ins Visier: Der diplomatische deutsche Herzog ist Witwer der englischen Thronerbin und mit dem russischen Zaren verwandt. Er ist gut mit dem Haus Orléans befreundet und plant, Louise-Marie, die älteste Tochter von König Louis-Philippe, zu heiraten. Als Protestant kann er ein Gegengewicht zur Katholischen Kirche bilden. Dieser ideale Kandidat nimmt die angebotene Krone - die er einmal als "Dornenkrone" umschreibt - allerdings nur zögernd an:

"Meine Herren, Sie haben Ihren früheren Monarchen sehr hart behandelt. Ihre Verfassung ist äußerst demokratisch. Nur mit ein bisschen gutem Willen Ihrerseits und meinerseits werden wir miteinander auskommen können."

Bei der Vereidigung von Leopold I. am 21. Juli 1831 deutet das provisorische Staatsoberhaupt Surlet de Chokier an, dass der neue König der Belgier seinen Schwur ernst nehmen muss:

"Von Ihrem Geschick und Ihrem Eingreifen bei der Konferenz, wird der Frieden in Europa abhängen. Wenn die Angebote Belgiens verächtlich aufgenommen oder gar abgelehnt werden, dann sieht Belgien keinen anderen Ausweg als Krieg."

In London ist es den Großmächten nämlich bisher nicht gelungen, einen für Belgien und die Niederlande akzeptablen Friedensvertrag auszuarbeiten. Belgien erhebt Ansprüche auf Maastricht und 52 Dörfer rechts der Maas, sowie auf Luxemburg. Ferner verlangt es eine gerechte Verteilung der Schulden des alten Staatsverbandes mit den Niederlanden. Der niederländische König Willem I. ist allerdings gegen jedwede Einigung:

"Zu keinem Zeitpunkt hat man mich gefragt, was ich von dieser belgischen Unabhängigkeit halte. Bin ich etwa kein König, kein Souverän? Ich bleibe den Prinzipien treu. Eher wandere ich nach Indien aus, als dass ich mit diesem Monsieur Léopold verhandle!"

Nur eine Woche nach der Vereidigung von König Leopold brechen die Niederlande den Waffenstillstand. Bis Löwen dringen ihre Truppen vor. Belgien ruft Frankreich und England, die Garanten seiner Unabhängigkeit, zu Hilfe. Die französische Armee drängt die Niederländer zurück. Ein Jahr später wird sie auch die Festung von Antwerpen erobern und den Belgiern übertragen.

Doch erst nach einer französisch-englischen Blockade der niederländischen Häfen und einem Handelsembargo lenkt Willem I. ein. Und dann dauert es noch bis 1839, bis Belgien und die Niederlande in London einen Friedensvertrag unterzeichnen. Belgien verliert endgültig Maastricht, bekommt jedoch die Hälfte von Luxemburg.

Das junge Königreich wird neutral und die Großmächte garantieren die freie, internationale Schifffahrt auf der Maas, der Schelde und den Kanälen. Überdies darf Belgien den "Eisernen Rhein", die Eisenbahn von Antwerpen ins Ruhrgebiet, bauen. Damit sind die letzten Bedingungen für einen spektakulären wirtschaftlichen Aufstieg geschaffen. Zufrieden notiert König Leopold I.:

"Die Belgier verstehen es vortrefflich, ihre materiellen Interessen zu verteidigen. Darin sind sie echte Genies."