Von Ertrag und Aufwand

Wie menschlich ist Effizienz?

Christian Schneider, Produktionstechnologe in Ausbildung, arbeitet am 19.08.2015 im Stammwerk von Trumpf in Ditzingen (Baden-Württemberg) an einem Laserresonator.
Die Digitalisierung soll die Industrie noch effizienter machen. © picture-alliance / dpa / Wolfram Kastl
Von Mirko Heinemann · 05.04.2016
Alle schwärmen von der Effizienz. Die Deutschen haben es in dieser Disziplin zu Weltruhm gebracht. Sie wohnen in Effizienzhäusern, ihre Manager nehmen an Trainings dafür teil. Auch vor der Schule und dem Fußball machen sie nicht halt.
Speck: "Man kann durchaus sagen, dass Effizienz ein wichtiges Evolutionskriterium ist."
Ax: "Der Wunsch nach immer mehr Produkten und Dienstleistungen aus Rohstoffen und Arbeit zu machen, stand am Anfang dieser Effizienzmaschine. Das war ein Versuch, den Mangel, den es durchaus gab zu beseitigen. Ein verständlicher Versuch."
Schumacher: "Ich muss überhaupt nicht der Schnellste sein, weil oft ist ja der Schnellste nach einigen Jahren der, der die gesundheitlichen Schäden davon trägt."
Speck: "'Survial of the fittest', also Überleben des Bestangepassten, könnte man auch umschreiben in 'Survival of the cheapest', das heißt also Überleben des Billigsten. Das zeigt schon, dass hier Ressourceneffizienz durchaus eine große treibende Kraft ist."
Burisch: "Das Problem ist nicht die Technik - dass es jetzt geht, sondern die Verhaltensanforderungen, die damit verknüpft sind. Die Reaktionsgeschwindigkeit soll jetzt gewaltig sein – das ist das Problem."
Dueck: "Ich hab gar nichts gegen Effizienz, nur: Effizienz sagt, dass man ein bestimmtes Optimum erreichen muss."
Wie können wir noch effizienter werden?
Florian Schumacher ist ein Pionier der so genannten Selftracking-Bewegung. Schon vor fünf Jahren hat der Münchner begonnen, seine Gesundheitswerte mit Hilfe von tragbaren digitalen Geräten, so genannten "Wearables", zu erheben.
Schumacher: "Bei mir geht’s darum, dass ich Leistungsfähigkeit optimieren möchte, also die Voraussetzungen für das, was ich in meinen Leben erreichen möchte schaffe, dadurch dass ich mich um körperliche Gesundheit, um Fitness bemühe, durch Bewegung, Ernährung, durch Schlaf. Insofern ist es eine selbstgewählte Optimierung, um das, was mir im Leben wichtig ist, zu erreichen."
Fitnessarmbänder oder Smartwatches messen Bewegungen, den Puls, manche auch den Blutdruck. Die Daten werden gesammelt und nach Bedarf ins Internet hochgeladen, um sich mit anderen oder mit Empfehlungen von Medizinern zu vergleichen. Ziel ist es, möglichst gesund zu leben.

"Feedback von der Uhr, wenn ich mal abweiche"

"Ich habe seit fünf Jahren Armbänder verwendet und mit deren Feedback gelernt, was es bedeutet mich gesund zu bewegen im Alltag, hab also meine Gewohnheiten optimiert. Und jetzt kriege ich von der Uhr Feedback, wenn ich mal abweiche von meinen ansonsten relativ guten Bewegungsgewohnheiten."
Der Maschinenbau-Ingenieur hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht: Er arbeitet als Berater für digitale Gesundheitslösungen und hält Vorträge zum Thema Selbstoptimierung. Außerdem hat er den deutschen Ableger der Quantified Self Bewegung gegründet. Ein Forum für Menschen, die sich gegenseitig motivieren und über neue Möglichkeiten des Selftracking informieren.
Florian Schumacher benutzt eine digitale Smartwatch, eine Armbanduhr vom Hersteller Apple, mit Pulsmesser und Bewegungsmelder. Die Uhr überwacht das Bewegungsprofil ihres Nutzers und meldet sich, wenn er sich bewegen soll. Dann ploppt eine Erinnerung auf dem Display der Uhr auf.
"Vor 100 Jahren noch haben sich die Menschen vier oder sechs Stunden am Tag bewegt. Und wenn wir das heute schaffen uns nur zwei Stunden zu bewegen, sind wir nicht ganz schlecht dran. Insofern gibt Apple einem ein Kalorienziel vor, das man dann steigern kann."
Statt eines Mediziners, fungiert bei der Smartwatch ein Appleprogramm als Coach. Es unterteilt Bewegungen in drei Aktivitäten: Bewegen, Trainieren und Stehen. Rund 500 Kalorien am Tag sollen die Träger der Uhr mindestens mit moderater Bewegung verbrauchen. Dazu kommt ein Zeitraum, in dem man anstrengende Dinge tun soll, also: Sport treiben.
"Hier wird von Apple vorgeschlagen, dass es 30 Minuten sein sollen."
Wer am Schreibtisch arbeitet, wird von der Uhr in regelmäßigen Abständen dazu aufgefordert, seine Sitzhaltung aufzugeben.
"Apple gibt hier vor, in 12 Stunden einmal pro Stunde aufgestanden zu sein."

Mahnungen von Apple? Braucht Schumacher kaum noch

Florian Schumacher wird nur noch selten ermahnt. Nach fünf Jahren Selbstoptimierung ist sein Bewegungsmuster so gut, dass er fast nur noch positive Nachrichten erhält.
"Ich kriege aber auch ein Feedback, wenn ich etwas besonders toll mache, wenn ich zum Beispiel eine lange Fahrradtour mache. Und das kann schon motivieren, da freut man sich über die Bestätigung. Das Schöne ist, man hat so eine Art Coach, der überwacht."
Das Versprechen: Die Digitalisierung wird uns alle gesünder, leistungsfähiger und damit noch effizienter machen. Das hat aber seinen Preis. Die Konzerne sammeln bereits heute die Gesundheitsdaten ihrer Kunden und benutzen sie zur Optimierung ihrer Software. Die Daten können aber auch an Ärzte und Krankenkassen geschickt werden, oder an Arbeitgeber, oder an Lebensversicherer, oder, oder, oder. Der gläserne Patient – das ist der Preis für die gestiegene Gesundheitseffizienz.
Wer das nicht möchte, wird zwangsläufig zurückbleiben. Wenn Menschen wie Florian Schumacher sich ständig verbessern, wächst die Kluft zwischen denjenigen, die sich der Technik verweigern und denen, die sie nutzen. Digitale Spaltung, nennen das Kritiker. Florian Schumacher hingegen schätzt die Unbestechlichkeit der Technik.
"Durch die Selbstvermessung werde ich erstmal unabhängiger. Ich muss mich nicht direkt mit dem Nachbarn, dem Arbeitskollegen oder mit dem Freund im Sportverein vergleichen. Und, vor allem, ich krieg ein objektives Feedback."
Menschen kommen in diesem Konzept nicht mehr vor. Wenn soziale Kategorien wegfallen, wird die Effizienz zum bestimmenden Kriterium. Und wenn es über Gesundheitsdaten möglich ist, Menschen nach ihrer Arbeitseffizienz zu kategorisieren, treten Ungleichheiten noch stärker hervor.

Effizienz als Basis unserer Wohlstands

Arbeitseffizienz, Energieeffizienz, Zeiteffizienz – das ist das Mantra der Manager in unserer hoch entwickelten Marktwirtschaft. Dabei bildet die effiziente Produktion die Basis unseres Wohlstands. Erst die effiziente Bewirtschaftung von Agrarflächen hat eine sichere Ernährungsgrundlage geschaffen. Ein effizientes Staatswesen ist Voraussetzung für Frieden und eine funktionierende Wirtschaft. Mit der Industrialisierung und einer effizienten Gesundheitsversorgung haben wir ein zuvor nie gekanntes Wohlstandsniveau erreicht.
Dabei ist die Effizienz in unserer Gesellschaft zum prägenden Begriff geworden. Wir wohnen in Effizienzhäusern, wir predigen Energie- und Ressourceneffizienz. Unseren Kindern bringen wir Lerneffizienz bei. Sogar unser Fußball ist effizient.
Wir wollen mit minimalem Einsatz von Zeit und Ressourcen möglichst viel erreichen, so hat man es uns beigebracht. Statt unsere freie Zeit zu genießen, checken wir Mails, schreiben Kurznachrichten, schauen, was auf Instagram oder Facebook los ist, oder wir telefonieren. Arbeit, Freizeit, sogar die Ferien sind minutiös durchgeplant. Die Effizienz ist zu einem bestimmenden Faktor in unserem Leben geworden.
Wie können wir noch effizienter arbeiten?
Auf einem Hügel am Rand der Stadt Lemgo steht die Fabrik der Zukunft. In der Smart Factory OWL, für Ost-Westfalen Lippe, werden moderne Schreibtischlampen am Fließband produziert. Ein mannshoher Roboter steckt Bauteile in einen Rahmen. Er arbeitet als einer der ersten Industrie-Roboter ohne Schutzkäfig, direkt neben seinem menschlichen Kollegen. Seine Hülle ist mit Schaumstoff gepuffert, damit er niemanden verletzt.

Neue Effizienz: Bauteile kommunzieren mit Roboter über Chip

Kameras an der Decke zeichnen alle Bewegungen von Menschen und Maschinen in der Halle auf und senden sie an den Zentralcomputer. So kann jeder Fertigungschritt erfasst und analysiert werden. In alle Bauteile wurde ein Mikrochip implantiert. Sie kommunizieren also direkt mit den Maschinen, die sie produzieren. Im Leitstand, hinter einer Glasscheibe mit Blick in die Halle, kann der Ingenieur auf Knopfdruck jeden Schritt der Produktion überwachen. Eine Software berechnet, wie viel Zeit und Energie die Fertigung benötigt.
"Überall dort, wo heute in der Produktion Informationsbrüche da sind, einige Dinge noch gar nicht in digitaler Form vorliegen, das ist für uns immer ein Hinweis darauf, dass man dort Ineffizienzen hat und wir das mit Digitalisierung optimieren können."
Jürgen Jasperneite ist Leiter des Fraunhofer-Anwendungszentrums für industrielle Automation und Initiator der Smart Factory. Vom Bundeswirtschaftsministerium unterstützt, können sich hier mittelständische Unternehmen aus der Region über die Digitalisierung der Produktion informieren. Als "Industrie Vier Punkt Null" geistern Projekte wie diese seit einer Weile durch die Öffentlichkeit. Sie befindet sich noch in den Anfängen, aber fest steht: Industrie Vier Punkt Null wird die gesamte Wirtschaft verändern.
"Aus meiner Sicht ist Industrie 4.0 dreigeteilt. Wir haben die intelligenten Produkte, die intelligente Produktion und die digitalen Geschäftsmodelle."
Was das bedeutet: Die industrielle Fertigung wird immer flexibler. Kunden, die eine Schreibtischlampe kaufen möchten, können über das Internet ein Exemplar nach ihren Vorlieben bestellen. Der Befehl geht direkt an die Maschine, die automatisch das gewünschte Produkt herstellt.

Ein Fabrikboss ergötzt sich 15 Minuten an seinen Maschinen

Produzierende Unternehmen werden mit Hilfe von Industrie Vier Null einen großen Sprung machen. Sie werden noch hochwertigere Produkte noch preiswerter und noch schneller herstellen können. Auch die Arbeitswelt wird sich verändern. Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums sollen durch die Digitalisierung weltweit fünf Millionen Jobs wegfallen.
Ax: "Ich habe gerade mit einem Unternehmer gesprochen, der in seine Fabrik kam, und es war endlich soweit, dass seine Fertigung ohne Menschen lief. Und da hat er gesagt, er hätte sich voller Freude eine Viertelstunde in die dunkle Fabrik gesetzt."
Die menschenleere Fabrik: Utopie oder Alptraum? Die Volkswirtschaftlerin und Philosophin Christine Ax schwankt zwischen Skepsis und Hoffnung. Wie immer beim Einsatz von Technik komme es auf vor allem auf das "Wie" an.
"Ich würde da gerne mit einem Spruch von William Morris antworten: Wir sollten Maschinen da einsetzen, wo sie sinnvoll sind, und wir sollten sie dort nicht einsetzen, wo sie nicht sinnvoll sind."
Der britische Philosoph und Ingenieur William Morris hat bereits im 19. Jahrhundert gefordert, dass Technik im Arbeitsprozess nicht vorrangig der Effizienz, sondern vor allem dem Arbeiter dienen solle. Dieser Aspekt spielt auch in der digitalen Fabrik des 21. Jahrhundert eine entscheidende Rolle.
Jasperneite: "Während in den letzten Jahren viele Projekte sehr technologisch geprägt waren, kommen jetzt zunehmend auch diese Arbeitsgestaltungs-Aspekte, die Technologie-Akzeptanz, Technologie-Verträglichkeit in den Vordergrund."
Jürgen Jasperneite glaubt nicht an die menschenleere Fabrik. Zumindest in der Montage von komplexen Geräten werden Roboter den Menschen nicht ersetzen können. Und dort, wo einfache Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden, sind wiederum Menschen mit ihren kognitiven und kreativen Fähigkeiten gefragt. Jobs wird es daher auch in der Industrie Vier Null immer geben, davon ist Jasperneite überzeugt. Aber die Aufgaben werden anspruchsvoller.

Bald gestalten statt verwaltet oder abarbeiten?

"Das heißt, es ist eher Open Minded, und nicht dieses Tayloristische: Ich kriege meinen Auftrag von 8 bis 16 Uhr und um 16 Uhr ist alles vorbei; am nächsten Tag hat schon wieder jemand anderes für mich vorgedacht. Ich glaube, das wird von einem Verwalten oder Abarbeiten zu einem Gestalten transformiert werden müssen. Gilt jetzt nicht nur für die Managementaufgaben, sondern auch für den Werker am Band."
Der Mensch wird also in Zukunft weiter gefragt sein. Und immer stärker auch gefordert. Vielleicht auch ÜBERfordert?
Burisch; "Die Leute machen ja die verrücktesten Sachen freiwillig. Sie springen an Bungeeseilen von Brücken, sie messen über Wearables wie eine Armbanduhr permanent ihren Puls und ihren Kalorienverbrauch. Wer das freiwillig macht und Spaß daran hat und für sinnvoll hält – kein Problem. Nur in dem Moment, in dem jemand anders sagt: Das musst du machen! Da ändert sich die Geschichte."
Matthias Burisch ist Psychologe und Experte für das Burn Out-Syndrom. Seit Jahren verzeichnen die Krankenkassen eine starke Zunahme von Fehlzeiten aufgrund von Burn Out. Die Betriebskrankenkassen teilen mit, jeder zehnte Arbeitnehmer sei von Burn Out betroffen. Im aktuellen Psychoreport der DAK Gesundheit ist die Rede von Depressionen und Burn Out bei jedem zwanzigsten Arbeitnehmer.
Matthias Burisch betrachtet die Zahlen mit Skepsis. Ob Burn Out tatsächlich häufiger wird oder nur die Krankschreibungen - man weiß es nicht sicher. Genügend Gründe für einen Anstieg der Zahlen gebe es aber.

"Heute macht halbe Belegschaft das Dreifache von früher"

"In vielen Branchen hat es Arbeitsverdichtung gegeben. Es gibt so die Regel: Die halbe Belegschaft macht heute das Dreifache, was vor zehn Jahren der Fall war. Wem das nicht liegt und wenn Sie dann nicht wegkönnen, dann ist die Falle da."
Burn Out müsse seine Ursache zwar nicht im Beruf haben. Aber das Arbeitsklima vor allem in börsennotierten Konzernen sei geeignet, eine Erkrankung zu fördern.
"In Unternehmen, die ein Burn-Out-Problem haben, herrscht das, was man im Amerikanischen 'Short Termism' nennt. Also Fixierung auf die nächsten Quartalszahlen."
Die Arbeitnehmer müssen also immer effizienter arbeiten. Matthias Burisch glaubt, dass die Arbeitsbelastung in den Industriegesellschaften an ihrem Limit angelangt ist.
"Wenn jemand mal gezeigt hat, er kann auch 120 Prozent ne Woche lang, dann ist die Gefahr dass die oberen Ebenen sagen: Oh, es ging ja. Dann machen wir 120 Prozent zum neuen 100. Also die neue Norm ist 120 Prozent. Wenn man sowas sieht, sollte man früh gucken: wo kann ich hin. Nix wie weg. Jeder, der im Berufsleben steht, sollte einen Plan B haben."
Im Parlament wurde bereits seit Jahren ein Gesetz gegen Burn Out diskutiert. Nun ist es so weit: 2015 ist das so genannte "Präventionsgesetz" in Kraft getreten. Die Krankenkassen werden verpflichtet, mehr Geld für gesundheitliche Prävention in den Betrieben auszugeben. Dass es schon so weit gekommen ist, zeigt die Dringlichkeit des Problems.
Ob das aber hilft? Seit drei Jahren sind alle Arbeitgeber laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, neben körperlichen auch die psychischen Belastungen ihrer Arbeitnehmer zu ermitteln. Darüber müssen sie einen Bericht anfertigen, die so genannte "Gefährdungsbeurteilung". Laut einer aktuellen Betriebsbefragung setzt nur die Hälfte aller Arbeitgeber diese Vorgabe um.
Burisch: "Das zu machen, heißt nicht sehr viel. Aber nicht einmal dieses elementare Instrument, was vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist, wird eingesetzt. Es ist noch nicht teuer genug."
Dueck: "Die gucken nicht auf das Optimum, sondern denken, das Maximale, was sie rausholen können, ist immer das beste. Das ist ein Irrtum im Management. Wenn die Arbeit anspruchsvoller ist, muss das optimale Stressniveau eigentlich kleiner sein."
Matthias Burisch bekommt Schützenhilfe vom Mannheimer Wirtschaftsphilosophen Gunter Dueck.

"Effizienz ist ein Konzept von gestern"

Er hat die Schuldigen der Burn Out-Explosion ausgemacht. In seinem aktuellen Buch mit dem Titel "Schwarmdumm" zieht Dueck über Manager her, die ihren Betrieb immer effizienter führen wollen – und damit oft das Gegenteil erreichen.
"Die größte Dummheit ist, dass man so an Heilmittel glaubt. Sie denken, dass sie aus ihrem Effizienzwahn rauskommen, indem alle Mitarbeiter zwei Stunden pro Jahr Schulungen in Design Thinking bekommen oder sowas."
Design Thinking, die Schule der kreativen Problemlösung im Team, liegt derzeit stark im Trend. Doch das Kernproblem liege woanders, so Dueck. Die Optimierung in den Betrieben sei an ihre Grenzen gestoßen. Effizienz sei ein Konzept von gestern.
"Die Industrialisierung nimmt vorhandene Dinge, die schon funktionieren, und macht sie effizient. Heute steht man aber vor der Aufgabe, etwas ganz Neues zu produzieren. "
Nicht effizientes Arbeiten, sondern innovatives Denken sei gefragt. Gunter Dueck hat lange in einer Führungsposition bei IBM gearbeitet. Als Mathematiker bestand seine Aufgabe darin, industrielle Prozesse zu optimieren. Er kennt die Strukturen in den Konzernen und ist überzeugt davon, dass in einem auf Effizienz gedrillten Betriebsklima innovatives Denken keine Chance hat.
"Wenn Sie irgendwo lesen, wer eine gute Idee hat, dann ist das meistens unter einer Dusche gewesen. Aber die Effizienzmanager veranstalten dann Meetings, machen dann Brainstormings – da wird doch keine neue Unternehmensidee geboren. Sondern das wird irgendwo anders gemacht."
Dueck ist überzeugt: Die Unternehmen stehen vor einer Existenzfrage. Zum einen werde mit der Digitalisierung so manches Geschäftsmodell infrage gestellt. Aber auch die globale Konkurrenz werde viele Unternehmen zwingen umzudenken. Die Philosophin Christine Ax geht noch einen Schritt weiter. Sie glaubt, dass die Industriegesellschaften an einem Punkt angelangt sind, an dem es nicht mehr weitergeht.
"Wir verbrauchen zu viele Ressourcen. Wir zerstören bei dem Raubbau an diesen Ressourcen viele Landschaften und die Natur. Wir haben ein Problem mit der Artenvielfalt. Die Meere werden überfischt. Wir haben ein gravierendes Problem mit dem Bodenschutz, mit der Bodenerosion. Und wir wissen aus Szenarien, die gerechnet worden sind: Wenn wir so weitermachen, wird es sehr schwierig. Die Lebensmittel werden wesentlich teurer werden. Es wird Probleme geben mit der Welternährung. Das ganze Thema Plastik im Meer wird ein Ausmaß annehmen, das wir uns nicht vorstellen können. Wir rennen gegen die Wand: Und die Frage, die sich stellt: Warum?"
Ist Effizienz natürlich?
Der perfekte Arbeitstag beginnt bei Thomas Speck mit einem Spaziergang durch den Botanischen Garten von Freiburg. Als dessen Direktor genießt er ein Privileg: Sein Büro liegt mitten im Garten. Thomas Speck lehrt an der Universität Freiburg Botanik und Biologie.

"Optimum wird in der Biologie ganz selten erreicht"

Außerdem ist er Bioniker: Er untersucht Abläufe und Prinzipien, die in der Natur entstanden sind, und entwickelt daraus technische Lösungen für die Industrie. Etwa das Prinzip der Selbstreparatur. Er hat gemeinsam mit Kollegen aus der Kunststoffforschung Materialien entwickelt, die sich selbstständig reparieren können.
Speck: "Optimal ist etwas, das in der Biologie ganz selten erreicht wird."
Thomas Speck weiß: Wer sich an der Evolution orientiert, muss seinen Optimierungsdrang zügeln. Muss Abschied nehmen von der Perfektion. Und die Evolution hatte immerhin einige Millionen Jahre Zeit.
"Der Grund ist einfach der, dass fast alle biologischen Strukturen multifunktional sind. Das heißt, sie können eigentlich in der Evolution nie eine Zielvorgabe optimal erreichen. Sondern sie müssen ja gleichzeitig anderen Zielvorgaben genügen."
Würde man eine Eigenschaft verbessern, würde sich gleichzeitig eine andere verschlechtern. Dieses Optimum nennt sich Pareto-Optimum oder Pareto-Effizienz, benannt nach dem Ökonomen Vilfredo Pareto.
Zum Beispiel Nadelholz: Tracheiden, die Pflanzenzellen, die den Baumstamm von den Wurzeln bis zu den Astspitzen durchziehen, bilden ein komplexes Röhrensystem. Tracheiden müssen zwei Funktionen erfüllen: Zum einen geben sie dem Baum seine Festigkeit. Gleichzeitig leiten sie das Wasser aus dem Boden bis in die Blattspitzen.
"Und da kommt was rein, was sie Biologie sehr clever macht. Die Biologie findet häufig zeitlich abgestufte Lösungen. Also wenn Sie sich Jahresringe von einem Nadelbaum anschauen – von einer Tanne oder einer Kiefer – dann stellen Sie fest, dass die Tracheiden, die in Frühjahr gebildet werden, sehr dünnwandig sind mit großem Volumen. Also überwiegend der Wasserleitung dienen. Und dass im Herbst gebildete Tracheiden sehr dickwandig sind, also der Festigung dienen."
Um ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen, könnte man also zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Aspekte von Produkten oder Prozessen verbessern.
"Dieser Zeitfaktor wird in unserer extrem schnelllebigen Welt, in der Taktungsfrequenzen immer hoher werden, auch häufig wissenschaftlich unterschätzt, wo man alles möglichst schnell gleichzeitig haben will. Und fast alles, was in der Biologie komplex ist, läuft in zeitlichen Abläufen ab."

Verschiedene Effizienz-Parameter für verschiedene Zeiten

Verfolgt man die Analogie weiter, könnte auch der Mensch die Effizienz so gestalten, dass er zu verschiedenen Zeiten verschiedene Parameter verbessert. Anders gesagt: Wir müssen uns fragen, ob wir uns nach Zeiten des Wachsens und Erstarkens wieder öffnen müssten, für frisches Wasser oder vielleicht: für neue Ideen.
Die Analogie des fließenden Wassers erinnert an das Konzept des "Flow". In der Glücksforschung steht "Flow" für das Gefühl, in einer Tätigkeit völlig aufzugehen. Im "Flow" sind das menschliche Fühlen, Wollen und Denken in Übereinstimmung. Zeit spielt keine Rolle, alles geht mühelos von der Hand. Manche Psychologen sehen darin den ultimativen Glückszustand.
Auch Glück kann eine Kategorie für Effizienz sein. Im kleinen Himalaya-Staat Bhutan etwa ist das Erreichen von größtmöglichem Glück erklärtes Staatsziel. Deshalb wird der Grad der Zufriedenheit der Bevölkerung gemessen als "Bruttonationalglück". Würde der Bau einer neuen Straße oder die Ansiedlung eines Industriebetriebes dem Bruttonationalglück zuwiderlaufen, würde die Regierung Einhalt gebieten. Dies wäre ein Sieg der Glückseffizienz.
Der Biologe Thomas Speck meint: Auch in der Forschung ist Zeit- oder Kosteneffizienz kontraproduktiv. Man müsse sich erlauben können, in Sackgassen zu laufen, auch mal Fehler zu machen.
"Die Gefahr, wenn ich in Forschung zum Beispiel, auch der angewandten Forschung, nur auf Effizienz schaue, also auf Zeit- und Ressourceneffizienz: Wie viel Personal muss ich einsetzen, um eine Frage zu lösen, und wie lange muss ich das einsetzen – das ist der Tod der Innovation!"
Gunter Dueck, der Kritiker aus der Industrie, kann das bestätigen.
"Die Leute trauen sich heute nicht mehr, Arbeitsschritte einfach so zu planen. Ins Blaue. Wir probieren jetzt mal, tun unser Bestes und gucken mal, was herauskommt. Das ist bei Innovationen notwendig."
Müssen wir die klassischen Effizienzkriterien in Frage stellen?

Deutschlands "Effizienz" in der Massentierhaltung

Für Christine Ax ist dies eine Frage der Moral.
Ax: "Die Art und Weise, wie wir mit den Kreaturen umgehen in der Landwirtschaft, das ist zum Teil abartig und entmenscht, es ist menschenunwürdig. Tiere, die Lebewesen sind, so zum reinen Mittel zum Zweck zu machen, ist völlig unmoralisch nach meinem Verständnis."
Die Massentierhaltung gehört für sie in diese Kategorie. Die Deutschen sind hier besonders effizient. Jedes Jahr werden hierzulande 58 Millionen Schweine, 630 Millionen Hühner und mehr als drei Millionen Rinder geschlachtet. Deutschland ist einer der größten Fleischexporteure der Welt, mit Preisen, die so niedrig sind wie nirgendwo sonst. Aber muss ein Stück Fleisch von einem lebendigen Wesen wirklich billiger sein als ein Apfel?
"Das mag aus der Sicht der Gewinnoptimierung der einzelnen Bauers oder Investors effizient sein, weil es dessen Profit steigert, aber es ist aus einer übergeordneten Sicht absolut irre und uneffektiv und unverantwortlich."
Christine Ax verweist auf die langfristigen Effekte. Die Fleischproduktion verursacht zunehmende Antibiotikaresistenzen bei Mensch und Tier. Riesige Wälder werden abgeholzt, um dort Tierfutter anzubauen. Lebensmittelskandale häufen sich. Umweltschutzorganisationen warnen vor unabsehbaren Spätfolgen – für die Natur, aber auch für die Nahrungsmittelsicherheit des Menschen.
Speck: "Wir haben zum ersten Mal in der Evolution die Chance, den Planeten zu zerstören. Man könnte jetzt natürlich sagen, ist alles Evolution, und wenn man den Planeten bis zum Exitus ausbeutet: Ja, hat halt nicht gut geklappt. Ich hoffe zumindest, dass dem eine gewisse moralische Verantwortlichkeit entgegen steht und wir uns auch der Verantwortung bewusst sind, die wir eigentlich für das Habitat Erde haben sollten."
Mit dem Menschen werden zum ersten Mal in der Geschichte der Natur Moral und Verantwortung zu Kategorien der Evolution.

"Die Biologie baut häufig Wegwerfgebäude"

Damit stellt sich auch die Frage nach den Grenzen der Effizienz. Vielleicht gilt es hier, andere Begriffe zu finden.
Speck: "Es ist ganz häufig so, dass Funktionen in der Biologie in der Evolution entstanden sind, die gut genug sind. Also gut genug, um eine gewisse, geforderte Funktion zu erfüllen."
Der Mensch aber sei so versessen von dem Streben nach Perfektion, dass er sein eigentliches Ziel aus den Augen verliere.
"Wir bauen immer noch unsere Privathäuser mit der Idee: Die müssen 1000 Jahre stehen. Eigentlich bauen wir immer noch den Kölner Dom. Und das ist natürlich Blödsinn, denn die normale Nutzungsdauer von einem Haus ist vielleicht anderthalb, zwei Generationen heute. Die Biologie baut häufig Wegwerfgebäude, Wegwerfhäuser, die später recycliert werden können. Das ist wieder die Frage: Was ist gut genug und was ist notwendig, um die Funktion zu erfüllen?"
Gut genug sein - ist das vielleicht eine Alternative zur Effizienzspirale, zum Streben, immer schneller, billiger und dabei besser zu werden? Wie wäre es mit Genügsamkeit, also Suffizienz – statt Effizienz?
Schumacher: "Ich muss überhaupt nicht der Schnellste sein, weil oft ist ja der Schnellste nach einigen Jahren der, der die gesundheitlichen Schäden davon trägt. Das ist auch das Schöne daran, dass ich durch die Vermessung weiß, wo stehe ich da und was kann ein möglicher Langzeiteffekt sein und welches Tempo ist geeignet, um zu dem höheren Ziel beizutragen."
Burisch: "Die beiden Kernbegriffe sind Arbeitsfreude und Selbstwirksamkeitserwartungen. Was heißt das auf deutsch: morgens gern zum Job zu kommen. Und da werden sich Unternehmen einiges einfallen müssen. Das andere ist: Die Leute dürfen auf keinen Fall sagen dürfen: Das pack ich nicht mehr."
Ax: "Es war schon immer ein alter Menschheitstraum, selbstbestimmt arbeiten und leben zu können. Und wenn uns in Zukunft vielleicht in manchen Bereichen die Maschinen alles abnehmen, kann das auch die Realisierung eines Traums sein. Wenn wir damit klug und weise umgehen."
Der Traum: Gesundheit, Wohlstand und Freude an der Arbeit. Glück. Sollten wir Schluss machen mit dem Streben nach noch mehr Effizienz? Christine Ax meint: Wir sollten stattdessen die Effektivität in den Vordergrund stellen, das langfristige Ziel.
"Der ganze Wachstumswahn – da macht es immer Sinn sich zu fragen: Warum eigentlich, wofür eigentlich? Das hat sich verselbständigt. Effektiv meine ich sind Lösungen, die der Menschheit und uns allen dienen und die ein gutes Leben und die Zukunft sichern."
Effektivität - entscheidend ist das Ziel. Der Aufwand, mit dem es erreicht wird, sollte dem Menschen angemessen sein. Natürlich ist es effizienter, Sträucher mit einer motorgetriebenen Heckenschere zu beschneiden als mit der Hand. Effektiv, also zielführend, ist beides. Der Motor ist laut. Er verbraucht fossile Rohstoffe, die irgendwann erschöpft sein werden. Er birgt Verletzungsgefahren. Bei der Handarbeit braucht man vor allem Geduld um an das Ziel zu kommen. Manche mögen dabei sogar Glück empfinden.
Mehr zum Thema