Von der Regelschule in die Förderschule

Von Barbara Leitner · 21.06.2010
Zwar erlaubt das Berliner Schulgesetz die Integration von behinderten Kindern in der Sekundarstufe I. Über 1000 behinderte Kinder lernen in der Hauptstadt nach der sechsten Klasse mit ihren Mitschülern weiter. Im Falle eines Mädchens mit Down-Syndrom vermochten es die Lehrer allerdings nicht, sich auf die Bedürfnisse der Behinderten einzustellen.
Am Nachmittag im Kinderzimmer der 16-jährigen Pascal, ein Mädchen mit Down-Syndrom. Nico, ein 14-Jähriger, ist zu Gast und gemeinsam malen die Teenager und reden über ihren Alltag. Die beiden sind Freunde seit der ersten Klasse.

Nico: "Es war damals in der Grundschule immer so gewesen. Palle hat gesonderte Aufgaben bekommen, ganz andere, und wir haben normal gelernt. Der Lehrer hat uns das so erklärt. Eigentlich hat er nebenbei für Palle was gemacht und war mehr für uns da als für Palle. Aber sie hat schon viel mitgemacht, ne? Sie wurde integriert, und das war normal."

Der Wechsel auf die Realschule und die Trennung von den behinderten Klassenkameraden war auch für den zarten, noch kleinen Neuntklässler mit Brille eine Umstellung, so erzählt der Junge. Seine Mitschüler heute würden Kinder wie Pascal auslachen. Das Klima sei rauer geworden. Darunter leidet auch er:

"Ich kann es mir nicht vorstellen, auf unserer Schule jetzt. Das würde nicht funktionieren. Weil die Lehrer eigentlich mehr auf uns aufpassen müssen, weil die Schüler an größeren Schulen ziemlich viel Unsinn machen. Und damals an der Grundschule war es so: Es war eine kleinere Klasse. Es war immer übersichtlicher. Und auf der Realschule sind wir doppelt so viel, wie es an der Grundschule war, und da muss der Lehrer auf uns mehr aufpassen, als wenn Palle bei uns in der Klasse wär´."

"Es geht nicht. Ich hab Pankow. Ich Pankow Schule bin", mischt sich Pascal ins Gespräch ein und erwähnt ihre Förderschule im Nachbarbezirk. Hinlaufen, wie zur Grundschule, kann sie nicht mehr. Also wird sie von einem Fahrdienst gebracht. Anders als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder Sachsen, erlaubt zwar das Berliner Schulgesetz die Integration von behinderten Kindern auch in der Sekundarstufe 1.

Über 1000 behinderte Mädchen und Jungen lernen in der Hauptstadt auch nach der sechsten Klasse mit ihren Mitschülern weiter. Aber Pascal hatte kein Glück mit ihrer Hauptschule. Die Lehrer vermochten es nicht, sich individuell auf jeden Schüler und damit auch auf die Behinderte einzustellen. Auch daran scheitert die Integration in unserem Lande. Deshalb werden nur rund 15 Prozent der deutschen Sonderschüler in Regelschulen unterrichtet.

Mutter von Pascal: "In den Förderschulen werden Mehrfach-Schwerbehinderte mit nicht so schwer Behinderten integriert. So wurde mir das auch vonseiten der Schule erzählt. Dafür, denke ich, ist die Integration da."

Für die Mutter von Pascal, Gabriele Fromm, ist das eine Zwickmühle. Auf der einen Seite sieht sie, dass sich ihre Tochter in der Förderschule geborgen fühlt. Gegenwärtig hat sie in einer Café-Werkstatt Unterricht, backt Kuchen und muss zuvor das Rezept lesen und schreiben, das sie stolz aus ihrem Ranzen hervorkramt:

"Da ist er Kuchen. Zitronenkuchen und Käsekuchen."

Auf der anderen Seite erlebt sie: Immer sind die Behinderten unter sich. Pascal kann ihre Qualitäten nicht in die "Normal"-Gesellschaft einbringen:

"Meine Tochter mit Down-Syndrom kann auch unheimlich gut trösten und merkt, wenn es jemandem nicht so gut geht und geht viel offener auf den Mitmenschen zu, was auch anderen wieder was bringen kann."

"Wenn ich Geburtstag feiere, kann ich nur Behinderte und Nico einladen, weil man hat gar keine Chance, Normale - in Anführungsstrichen - näher kennenzulernen."

In der neunten Klasse lernt ihre Tochter jetzt. Nächstes Jahr hätte sie ihre Schulpflicht erfüllt. Doch vermutlich wird sie länger an ihrer Förderschule bleiben. Welche Perspektive hätte sie sonst?

"Wir hatten jetzt gerade einen Elternabend. Da werden nur die Werkstätten vorgestellt. Also diese Vorstellung, auf dem freien Markt oder eine Ausbildung integrativ zu machen – wurde uns da wieder gar nicht gezeigt. Da muss man als Mutter wieder Extrawege gehen. Das Ziel bei denen ist immer so: Die Kinder kommen dann in die Werkstatt und da sind sie unter sich. Das heißt ja nicht, dass sie sich nicht untereinander wohlfühlen. Aber einfach der normale Umgang. Mit Nico, das ist doch unheimlich schön. Wir machen auch Sachen… das macht ihm auch Spaß und das ist einfach toll."
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