Vom Solisten, der eigentlich nur komponieren wollte

Von Stefan Zednik · 04.05.2005
George Enescu gilt in Fachkreisen als eine der interessantesten musikalischen Persönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Begnadete Solist, der eigentlich nur komponieren wollte, spielte in den Metropolen der Welt, in kleinen Orten seiner Heimat und in Lazaretten wärend der Weltkriege. Zweifellos ist er der bedeutendste Komponist Rumäniens, auch wenn er in weiten Teilen Europas dem Konzertpublikum eher unbekannt ist.
"The most amazing musician since Mozart" so beschrieb der legendäre Cellist Pablo Casals den Dirigenten, Klavier- und Violin-Virtuosen, vor allem aber den Komponisten George Enescu. Ein phänomenales musikalisches Gedächtnis, eine tiefe Ernsthaftigkeit und eine temperamentvolle Musikalität haben bei seinen Zeitgenossen solch starke Eindrücke hinterlassen.

George Enescu wird 1881 in einem kleinen Dorf im moldawischen Teil Rumäniens geboren. Sieben Kinder hatten seine Eltern durch Krankheiten verloren, sie waren zu verschiedenen Klöstern gewallfahrt und hatten Gott angefleht, ihnen das noch ungeborene Achte zu lassen. Der kleine George überlebt, und er belauscht alles, was nach Musik klingt: die häusliche Musik, den Gesang in der Kirche, die Fiedelei der umherziehenden Dorfmusikanten. Und er bastelt sich dreijährig sein erstes Instrument: eine auf ein Holzstück gespannte Schnur, ein Stock dient als Bogen. Mit 5 erhält er den ersten Unterricht, mit 7 schickt man ihn ans Konservatorium nach Wien, mit 11 verbreitet sich sein Ruf als Geiger, mit 14 geht er zum Studium der Komposition nach Paris. Und bereits mit 18 Jahren komponiert er ein Oktett für Streicher, dessen nie abreißender schwungvoller Elan – bei höchster handwerklicher Meisterschaft – auch heute noch fasziniert.

Doch vom Komponieren allein kann Enescu nicht leben. Er tritt als Solist auf – und erschrickt bei der Vorstellung, fortan als Geigen-Virtuose zu gelten und damit sein Geld verdienen zu müssen. Bis zum Ende seines Lebens gibt er etwa 2000 Konzerte, als Dirigent oder Violinist, in den Metropolen der Welt und den kleinsten Orten seiner Heimat. Während der beiden Weltkriege hält sich Enescu, der sonst zwischen Frankreich und Rumänien pendelt, vornehmlich in seiner Heimat auf, spielt in Lazaretten, arbeitet für die Verbreitung der europäischen Kunst-Musik.

"Ich habe oft erlebt, was für eine geistige Erhebung in den Gesichtern der Verwundeten zu sehen war nach den ersten paar Tönen. Diese Verwandlung der Seele ist der eigentliche Grund für die Existenz der Musik."

Eine Wirkung, die auch den kleinen Yehudi Menuhin sofort in Bann zieht und die zu einer der schönsten musikalischen Begegnungen des 20. Jahrhunderts führt. Der ebenfalls als "Wunderkind" gerühmte Junge ist beeindruckt von der willensstarken Persönlichkeit, vor allem aber vom "Engelsgesang" der Geige Enescus .

"Er war mehrmals auf Tournee in Amerika und zweimal ist er nach SF gekommen und jedes Mal – ich war vielleicht einmal 7 Jahre, einmal 9 Jahre alt – jedes Mal war ich absolut hingerissen von ihm wie von keinem. Die Anderen haben schön gegeigt, die Anderen haben schön gespielt, aber keiner, und das ist wahr, das bleibt immer so, keiner hat mich je durch seine Musik so tief berührt."

1926 zieht der 11-Jährige Menuhin in Begleitung seiner Mutter nach Paris, zunächst für anderthalb Jahre. Enescu wird sein wichtigster Lehrer und – sein musikalischer Partner. Gemeinsam erarbeiten sie nicht nur Enescus Kompositionen, sondern auch andere Werke des Repertoires, so Bachs Konzert für zwei Violinen.

1936 finden in Paris die Proben zur Uraufführung von Enescus gewaltigstem Werk, der Oper "Oedipe" statt. 25 Jahre hatte er an der Vertonung des Ödipus-Stoffes gearbeitet. Sie ist eines der interessantesten Bühnenwerke des 20. Jahrhunderts – und dennoch heute kaum auf den Spielplänen der Opernhäuser zu finden.

Die letzten Jahre George Enescus bestimmt durch Krankheit und materielle Not. Das Vermögen in Rumänien geht nach Kriegsende verloren und er ist gezwungen, wieder als Solist aufzutreten und Meisterkurse zu geben. Er komponiert bis zu seinem Tod am 4. Mai 1955 – und kommt doch bei weitem nicht mehr dazu, alles aufzuschreiben, was sich in seinem Kopf an Musik noch bewegt.