Viel Arbeit, kleiner Verdienst

Der Multi-Jobber

Ein Zeitungsausträger
Ein Zeitungsausträger © dpa / picture alliance / Fredrik Von Erichsen
Von Anja Nehls · 19.03.2014
Für immer mehr Menschen in Deutschland reicht ein Job zum Leben nicht aus. Seit 2003 hat sich die Zahl der Leute mit mehreren Jobs mehr als verdoppelt - auf insgesamt 2,5 Millionen. Peter Bürth ist einer von ihnen. Um sich einen Traum zu erfüllen, arbeitet er seit Jahren 17 Stunden am Tag.
Mitten in der Nacht klappert die Haustür. Peter Bürth ist leise, die Wände sind dünn hier, er will die Nachbarn nicht wecken. Mit warmer Fleecejacke und Basecap macht er sich auf den Weg zur Arbeit. Um zwei Uhr steht er auf an sieben Tagen in der Woche.
"Mit eiserner Disziplin und zwei Weckern, ein Handywecker und ein normaler, falls man mal wieder einschläft."
Um halb drei sitzt er im Auto auf dem Weg zu Job Nr. 1. In einer großen Fabrikhalle am Stadtrand lädt ein Gabelstapler Zeitungen aus einem LKW. Peter Bürth stellt seine Tour zusammen: 285 Zeitungen für 240 Haushalte. Das macht er seit 15 Jahren.
"Weil es die einfachste Art ist, Geld zu verdienen. Man muss nur früh aufstehen, sich selbst motivieren, aber das Preis-Leistungsverhältnis, das am Ende rauskommt, ist in Ordnung."
Monatsverdienst 600 bis 700 Euro netto, je nach Anzahl der gelieferten Zeitungen. Knapp vier Stunden wird die Tour dauern. Die Straßen sind um diese Zeit leer. Am Nachtschalter einer Tankstelle ein kleiner Zwischenstopp auf der Strecke zu seinem Revier. Halb vier. Der Mann hinter der Scheibe reicht einen Becher Kaffee und eine Tüte.
"Das ist für einen Hund unterwegs, der wartet und kriegt dann sein Leckerli. Der Kaffee ist für mich, den brauche ich auch, um die ganze Zeit zu überstehen."
Die Lebensgefährtin nur am Wochenende
Unter der Woche gibt es für den 57-Jährigen nichts anderes als Arbeit. Seine Lebensgefährtin sieht er nur am Wochenende, sie ist als Stewardess in der ganzen Welt unterwegs. Unzufrieden wirkt Peter Bürth aber nicht. Eher gelassen und auf ruhige Weise heiter. Sein Einsatzgebiet als Zeitungsbote ist in Berlin-Wannsee, eine der besten Gegenden in Berlin. Große Grundstücke, viele Villen, nur wenige Mehrfamilienhäuser. Weite Wege für den Zeitungsboten. Peter Bürth arbeitet zügig und routiniert.
Ungefähr sechs Euro gibt es in der Stunde. Egal. Für ihn zählt jeder Cent. Erst musste er Schulden seiner Familie abbezahlen, nun will er sich den Traum von einer Eigentumswohnung verwirklichen, ausgerechnet hier in Wannsee. Eine teure Gegend, aber hier möchte er im Alter leben. Ein paar Jahre noch muss er sparen, so rechnet er, dann noch ein kleiner Kredit … Peter Bürth lächelt, das Ziel erscheint ihm nah:
"Es ist 'ne Alterssicherung, auf jeden Fall. Man muss sich keine Sorgen machen, je nachdem wie die Rente ausfällt, kriegt man die Miete zusammen oder nicht. Aber so hat man sein Eigentum und kann dadurch ein bisschen ruhiger schlafen."
Schlafen - allerdings nicht jetzt. Stattdessen Beeilung, der Zeitungsbote wird schon erwartet. Zwei braun-weiß gefleckte Wuschelhunde warten mit Frauchen am Gartentor.
"Das ist der Moment, auf den ich mich jeden Morgen freue, denn die zeigen ihre wahren Gefühle, weil sie wissen, dass sie was zu essen bekommen."
Inzwischen ist es kurz nach Fünf. Schnell nochmal in eine Tankstelle. Peter Bürth kauft eine Tüte mit zwei Brötchen und legt sie zusammen mit einer Zeitung im nächsten Hausflur auf einen Stuhl.
"Ja, ich habe einen langjährigen Kunden, der sich daran gewöhnt hat, dass ich ihm regelmäßig Brötchen mitbringe, weil er nicht mehr so gut zu Fuß ist und mich gebeten hat, ob ich nicht eine kleine Dienstleistung für ihn mache und das habe ich hiermit getan und mit Freude. Und einmal im Monat bekomme ich das Geld von ihm wieder."
Um halb acht sind alle Zeitungen verteilt. In 20 Minuten muss Peter Bürth seinen nächsten Job antreten. Zum Glück kennt er die Berliner Schleichwege, sonst könnte er seinen Zeitplan nicht einhalten. Ursprünglich hat er Speditionskaufmann gelernt, dann Betriebswirtschaft studiert. Erst wurde sein Job bei Kelloggs wegrationalisiert, dann ein nächster bei einem Käsehersteller. Seit 15 Jahren findet er für seine Qualifikation nichts Entsprechendes. Also macht er seitdem mehrere Jobs. Bei der Firma Luna arbeitet er als Auslieferungsfahrer für Schulessen. Fest angestellt in Vollzeit.
"Na ja, bei einer 40-Stunden-Woche kommen so netto 1300 Euro raus. Und besser als auf der Straße zu sitzen, macht man eben diese Art von Tätigkeit."
Peter Bürth holt die Warmhalteboxen mit den Edelstahlbehältern aus der Großküche und lädt sie in den weißen Lieferwagen. Essen für 800 Kinder. Auf einem kleinen Rollwagen schiebt er die Boxen in die Küche der Christian-Morgenstern-Grundschule. Seit zehn Stunden ist er jetzt auf den Beinen. Er wirkt ein wenig grau im Gesicht.
"Einige hätten jetzt schon Überstunden gemacht, aber bei mir geht's eben noch weiter. Mittagspause ist eigentlich gar nicht drin, weil es ein nahtloser Übergang ist von einer Tätigkeit zu anderen. Wenn es sich ergibt, esse ich bei der Firma Luna oder in irgendeiner Einrichtung."
Nach der Tour muss er noch ausladen und aufräumen, bis halb vier. Eine halbe Stunde bleibt dann Zeit, um Kraft zu schöpfen vor Job Nr. 3. In dem kleinen Imbiss kennt man ihn, manchmal ist Zeit für einen kleinen Plausch, manchmal - wenn der tote Punkt kommt - will Peter Bürth einfach nur Ruhe haben:
"Man gibt sich Mühe, wach zu bleiben, und dann hilft ein Kaffee und dann ist das Ganze auch schon wieder vergessen. Man kann froh sein. Andere, die auf andere Art ihr Leben finanzieren, indem sie Sozialhilfe oder HartzIV bekommen und die Füße hochlegen oder schwarz arbeiten, arbeite ich ehrlich und ich arbeite gerne. Ich fühle mich auch wohler, denn ich liege nicht anderen Leuten auf der Tasche."
Und dann noch in der Apotheke nebenan
Die Apotheke gleich nebenan ist dann Arbeitgeber Nr.3. Im hinteren Raum liegen bereits viele Tüten voll gepackt mit Medikamenten. Peter Bürth soll sie ausliefern. Das ist seine lukrativste Beschäftigung.
"Es ist eine Pauschale vereinbart worden und manche Kunden sind eben so dankbar, dass sie ein gutes Trinkgeld geben."
Damit kommt er dann sogar auf über 10 Euro pro Stunde. Ein paar Tüten gibt er in zwei Seniorenheimen ab, danach müssen noch 15 Privatkunden beliefert werden. Inzwischen hängen die Schultern doch ein wenig tiefer, der Gang wirkt schleppender. Lächeln kann Peter Bürth allerdings immer noch:
"Die 15 Kunden wird ungefähr anderthalb Stunden brauchen, dann ist es sieben, dann habe ich 20 Minuten Heimfahrt, dann freue ich mich auf eine Tasse Kaffee und ab neun Uhr ist Schlafenszeit angesagt und um zwei Uhr wieder Prozedere Zeitung."
Und dann wird wieder ein 17-Stunden-Arbeitstag vor ihm liegen. 2000 Euro netto verdient Peter Bürth mit seinen drei Jobs im Monat.
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