Viadrina 500

Von Claudia van Laak · 25.04.2006
Die Europa-Universität Viadrina feiert am Mittwoch Geburtstag, gleichzeitig den 15. und den 500. Sie wurde 1506 gegründet, musste 1811 nach Breslau ziehen, 1991 wurde die Hochschule wieder gegründet. Die Viadrina – das bedeutet "an der Oder gelegen" - ist gleichzeitig eine junge innovative und eine traditionsreiche Hochschule. Heute wie früher bildet die Viadrina eine Brücke zwischen Ost und West. Doch das Verhältnis zwischen Stadt und Universität ist nicht immer das Beste. Und nicht alle Studenten nutzen die Chance des interkulturellen Austauschs.
"Einen schönen guten Morgen, ich möchte Sie alle herzlich begrüßen zum Sommersemester 2006 an der Europa-Universität Frankfurt/Oder. Wir freuen uns sehr, dass sie sich entschieden haben, hier zu studieren. Wir hoffen und sind ziemlich sicher, dass sie die Entscheidung nicht bereuen werden, im Gegenteil, dass Sie einen guten Ort ausgewählt haben für ihr Studium."

Janine Nuyken begrüßt die Erstsemester. Die Kulturwissenschaftlerin entspricht nicht dem herkömmlichen Bild einer Universitätsvizepräsidentin. Eine wilde blonde Mähne, am Nasenflügel blitzt ein Silberring. Sie trägt ein grünes Militärhemd, darüber ein enges weißes Leibchen aus Wäschespitze.

"Wir sind auf einige Dinge hier recht stolz. Unserem Eindruck nach gelingt es uns sehr gut zusammen mit den Studierenden das Studium zu bewältigen."

Etwa 50 junge Leute sitzen in dem fensterlosen Hörsaal Nummer 1 des Gräfin-Dönhoff-Gebäudes direkt an der Oder. Janine Nuyken redet über die Vorteile dieser Grenzlage, dass es in der polnischen Mensa die besten Pfannkuchen gibt und sie preist die Internationalität der Viadrina.

"Ich kann aus meiner Erfahrung nur empfehlen, es zu nutzen, so einfach kommt man an anderen Stellen nicht in Kontakt mit anderen Kulturen, man kann es eigentlich gar nicht vermeiden. Es gibt Menschen, die es trotzdem schaffen, Sie sollten die Chance nutzen, alles, was diese Grenzlage bietet, mitzunehmen und daraus etwas zu lernen. Viel Spaß damit. Danke."

Die folgenden Vorträge an diesem Vormittag sind weniger kurzweilig. Unfallversicherung für Studierende, BAföG, Was tun bei Feueralarm, Informationen des Sprachenzentrums, Vorstellung der Kulturwissenschaftlichen Fakultät. Erschöpft gehen die Erstsemester in die Mensa.

Durch die großen Fenster fällt der Blick auf die Oder. Auf der anderen Seite des Flusses liegt Slubice. Direkt am Ufer ist ein großes modernes Gebäude aus Glas zu erkennen - das Collegium Polonicum, eine Gemeinschaftseinrichtung der Europa-Universität Viadrina und der Adam-Mickiewicz–Unversität aus Poznan. Vivien Hartmann blickt sinnierend hinüber. Die Grenzlage nutzen, hatte die Uni-Vizepräsidin ihr gerade mit auf den Weg gegeben. Deswegen bin ich gar nicht hier, sagt die 20-Jährige:

"Eigentlich gar nicht, ich bin mehr orientiert an romanischen Sprachen, das gefällt mir eher vom Klang her."

Vivien Hartmann ist vom Rhein an die Oder gekommen. Sie trägt einen Silberring in der Unterlippe, durchlöcherte Jeans, Turnschuhe und ein knappes, blassrotes Samtjäckchen. Vivien hat sich für die Viadrina entschieden, weil sie nach Berlin wollte. Klingt merkwürdig, trifft aber für viele Studierende zu. Das Semesterticket berechtigt zur kostenlosen Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin und Brandenburg. So studieren viele in Frankfurt/Oder und wohnen in Berlin. Zusammen mit Professoren und Dozenten bevölkern sie morgens und abends den Regionalzug RE 1. Warum nicht in Frankfurt/Oder wohnen? Vivien Hartmann rümpft die Nase und antwortet: Ich wollte doch in eine coole Stadt.

"Man studiert Kulturwissenschaften, aber es gibt gar nicht viel Angebot an Kultur hier, es gibt nicht wie in Berlin so viele Theater oder verschiedene Zeitschriften. Berlin bietet mehr Möglichkeiten. Frankfurt/Oder, ich finde, auch die Atmosphäre fehlt so ein bisschen, das Ambiente an sich."

Die meisten Studierenden, Dozenten und Professoren sind wegen der innovativen Universität nach Frankfurt/Oder gekommen, die Kleinstadt an der polnischen Grenze nehmen sie in Kauf. Das weiß Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt. Das Verhältnis zwischen uns und der Universität ist nicht einfach, sagt der CDU-Politiker:

"Zunächst einmal sind Uni und Stadt voneinander abhängig, die schwebt nicht im luftleeren Raum, sondern die ist gelandet, wie wir immer gesagt haben als Ufo. Weil es fremd ist, wirklich fremd mit allem was Ufo so signalisiert. Insofern ist die Stadt durch die Universität in ihrer Bedeutung und in ihrer Entwicklung ganz wesentlich unterstützt, es ist ihre Perle, es ist ihr Schatz, es ist ihr Entwicklungspotential."

Frankfurt/Oder hat seit der Wende ein Viertel seiner Einwohner verloren. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 20 Prozent. Der geplatzte Traum von der großen Chipfabrik wirkt immer noch nach. Der polnische Nachbar bedeutet für viele Einwohner mehr Bedrohung als Bereicherung. Erst vor kurzem hat sich eine große Mehrheit gegen eine deutsch-polnische Straßenbahnlinie über die Oder ausgesprochen. Oberbürgermeister Martin Patzelt weiß, dass Frankfurt vielen Uni-Angehörigen zu provinziell ist, dass ihnen eine gewisse akademische Lebensqualität fehlt.

"Es ist immer schwer zu fassen. Die einen finden es wieder in der Wahrnehmung, dass die Straßen auch am Abend noch belebt sind, die anderen messen es an der gastronomischen Kultur. Das macht Lebensqualität. Und das ist eine schwere Aufgabe, weil dies wieder gebunden ist an eine gewisse Mentalitätsveränderung der Frankfurter selber. Frankfurt/Oder war immer Verwaltungsstadt und Militärstadt, das sehen Sie an der baulichen Gestaltung, das sehen Sie an den Arbeitslosen, die da sind."

Auch Uni-Präsidentin Gesine Schwan lebt in Berlin, hält aber Frankfurt aufgrund seiner Grenzlage für den richtigen Uni-Standort. Die Stadt ist kein Bilderbuchort, aber genau dies ist für junge Leute positiv, sagt die frühere Bundespräsidenten-Kandidatin. Haben sich bereits Professoren gegen die Viadrina entschieden, weil sie nicht nach Frankfurt/Oder wollten?

"Während meiner Amtszeit ist mir das bisher nicht begegnet, es gab keine Berufungen, dass irgendeiner der Kollegen wegen der Stadt nicht hierher wollte. Die Stadt hat lange Zeit den Ruf gehabt, öd zu sein, abstoßend zu sein. Das ist sie schon lange nicht mehr, das stimmt einfach nicht mehr."

Frankfurt hat sich in den letzten Jahren dem Fluss zugewandt. Jetzt lässt sich an lauen Sommerabenden diesseits und jenseits der Oder flanieren. Eine ganze Reihe studentischer Kulturinitiativen sorgt für eine abendliche Belebung der Stadt. Vielen reicht das noch nicht aus. Oberbürgermeister Martin Patzelt vermisst Gastfreundschaft in seiner eigenen Stadt.

"Wir Frankfurter wünschen uns sehr, dass die Studenten hier wohnen, das heißt aber auch, dass ich die Studenten das erleben lassen muss, dass ich sie mag und dass ich sie haben will. Und da ist unsere Mentalität in Brandenburg, aber auch in Frankfurt/Oder, dass wir erst mal auf das Lächeln des Gastes angewiesen sind, anstatt mit dem eigenen Lächeln das Lächeln des Gastes zu provozieren."

Es gibt Studenten, die wollen nicht ins coole Berlin, die wollen unbedingt in Frankfurt/Oder wohnen. Sie gründen gerade einen Verein mit dem Ziel, einen leer stehenden Plattenbau zu kaufen und das Gebäude in ein deutsch-polnisches Studentenwohnprojekt umzuwandeln.

Jean-Paul Olivier und Sarah Wolf kratzen die Blümchentapete von einer Betonplatte und befestigen die ersten Regale. Die unteren Räume der Forststraße 4 können sie bereits nutzen, für die oberen Etagen soll es bald Verträge mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft geben. Eigentlich sollte der Plattenbau wie so viele in Frankfurt/Oder abgerissen werden. Das hat die Initiative zusammen mit der Unileitung verhindert. Jetzt suchen die Studenten Geldgeber und weitere Mitstreiter für ihr Wohnprojekt.

Sarah Wolf: "Das sind zum einen die Berliner Studenten, die leider nicht hier in der Stadt bleiben, dass sind zum anderen Studenten von der polnischen Seite. In Slubice quellen die Wohnungen über, die haben Wohnungsnot und hier ist Wohnungsleerstand, das wollen wir versuchen zu verändern."

Das deutsch-polnische Verbündungshaus in der Forststraße ist Teil des offiziellen Jubiläums-Programms der Viadrina. Es steht programmatisch für das Ziel der Europa-Universität: Völkerverständigung. Im gerade begonnenen Semester studieren 4750 Studenten aus 68 Ländern in Frankfurt/Oder, ein Viertel davon stammt aus Polen. Uni-Präsidentin Gesine Schwan ist zuversichtlich:

"Ich glaube, dass eine ganz wertvolle Gruppe von jungen Leuten entsteht, eine Generation nach der anderen, die interkulturelle Erfahrungen tagtäglich machen, die Sprachen können, an unserer kulturwissenschaftlichen Fakultät muss man drei Fremdsprachen können, die das Leben der anderen tagtäglich spüren, die mit ihnen Freundschaften schließen. Und dass ist ein Schatz, den man gar nicht hoch genug schätzen kann."

Gesine Schwan hat bereits nach ihrem Abitur Polnisch gelernt. Um einen schweren Liebeskummer zu bewältigen, hat sie einmal erzählt. Das Polnische öffnet ihr viele Türen im Nachbarland - denn nach wie vor sprechen sehr viel mehr Polen Deutsch als Deutsche Polnisch. Gesine Schwan wünscht sich für ihre Universität:

"Dass es nicht nur eine Parallelität von beiden Arten von Studierenden gibt, also von Deutschen und Polen, sondern dass sie wirklich miteinander zu tun haben. Das ist der entscheidende Punkt und das ist noch nicht immer so geglückt, wie ich mir das wünsche, aber das ist natürlich eine einmalige Chance."

Bei Asia Kucharcyk und Katja Engelhardt ist es geglückt. Die beiden sitzen in ihrer Küche im Studentenwohnheim in Slubice, kochen gemeinsam und üben Polnisch. Katja Engelhardt ist auf die andere Seite der Oder gezogen, obwohl sie kein einziges Wort polnisch konnte. Mutig, sagten ihre Freunde.

"Sagen alle, aber ich fand's gar nicht so mutig. Ich fand's eine Superidee. Ja, ich hab nicht gedacht, ich bin der Held."

Nur wenige deutsche Viadrina-Studenten wohnen in Polen, obwohl das Leben auf der östlichen Seite der Oder sehr viel billiger ist. Der Wohnheimplatz kostet umgerechnet 70 Euro, auch Lebensmittel und das Bier am Abend sind preiswerter als in Frankfurt. Asia hat in ihren drei Jahren an der Viadrina festgestellt:

"Es ist alles getrennt. Denn die polnischen Studenten wohnen in Polen, die Deutschen, wie Katja gesagt hat, nur 20 deutsche Studenten wohnen in Polen. Und die polnischen Studenten gehen zur Uni, dann kommen sie zurück und bleiben hier. Freizeit hier. Haben keine Lust mehr nach Frankfurt zu gehen."

Asia Kucharcyk hatte gehofft, die Viadrina sei eine wirkliche deutsch-polnische Universität. Eine Hochschule, an der sich alle Studenten für das Nachbarland interessieren und auch die jeweils andere Sprache sprechen. Die Realität sieht anders aus.

"Auf den Vorlesungen und Seminaren, das ist auch so getrennt, die polnischen Studenten kennen sich hier von den Studentenwohnheimen, dann komme ich zur Vorlesung, und ich habe immer die polnischen Freunde. Viele Freunde von mir kennen gar keine Deutsche und wollen gar keine Deutsche kennen lernen. Deutsch sprechen sie auch nicht so, auch nicht viel."

Ein ernüchterndes Fazit einer polnischen Viadrina-Studentin. Ihre Freundin Katja Engelhardt widerspricht. Sie hat andere Erfahrungen gemacht:

"Sicherlich mischt sich's nicht so, wie man sich das theoretisch so schön vorstellen will. Aber ich denke, ich bin nicht die einzige, die viele Polen kennt und nicht nur Deutsche. Ich denke, gerade bei den Kulturwissenschaftlern mischt sich das schon, also nicht die polnische Ecke und die deutsche Ecke."

Asia wird demnächst die Viadrina verlassen und ihr Studium in den USA fortsetzen. Katja hat beschlossen, vorerst in Polen zu bleiben. Gemeinsam freuen sich die Freundinnen auf die vielen Partys, Konferenzen und Ausstellungen anlässlich des Viadrina-Jubiläums. Genau wie Frankfurts Oberbürgermeister Martin Patzelt:

"Wir werden es als eine neue Chance erleben, dass Frankfurt/Oder sich aus seiner eigenen Befangenheit und Provinzialität aufbricht, aufbrechen kann und dann von Gästen ganz anders wahrgenommen wird als die Frankfurter sich selber empfinden."
Mehr zum Thema