Vertraut und fremd zugleich

Von Angela Krumpen · 02.05.2009
Choralmusik von Bach, unterlegt mit Schlägen von Rahmentrommel und Zithern? Die Flöte Ney, in der arabischen Musik ein Symbol des Göttlichen, die die Melodie aus der Johannespassion "O große Lieb, o Lieb ohn’ alle Maße" spielt? - Geht das? - Das geht: Merkwürdig vertraut und fremd zugleich erklingt all dies, wenn das Ensemble Sarband die "Arabische Passion nach Johann Sebastian Bach" aufführt.
"Bach ist ein Rahmen und die Musik bietet uns die Bühne, die Instrumentierungen sind dann auftretende Rollen. Im Nahost-Konflikt geht es natürlich sehr stark um Kolonialisierungen zum Beispiel, und der Jazz spielt eigentlich ein bisschen die Rolle des kolonialisierenden. Westens (…) Es gibt da Konflikte ... es gibt auseinander gehen und es gibt zum Schluss die Hoffnung, dass das auch mal wieder zusammengehen kann."

"Das meint ja diese Passion, dass das ein Mittelpunkt und eigentlich ein Wendepunkt in der menschlichen Geschichte sein soll. Dass der Friede, nach dem sich alle sehnen, durch diese Passion gebracht wird. (…) also dass eigentlich das überwunden wird, dass die Menschen verschiedene Sprachen sprechen, verschiedene Gedanken haben und deswegen Krieg führen müssen."

Für diesen Besucher der "Arabischen Passion nach Bach" geht das Konzept von Vladimir Iwanoff, Gründer und Leiter des Ensembles Sarband, am Ende des Konzertes genau auf. Wenn das "Erbarme Dich" erklingt.

Die Streicher des Modern String Quartetts, die Jazzer und die orientalischen Instrumente haben zusammengefunden. Sie überlassen der arabischen Geige den Arienpart – und gemeinsam, harmonisch, wie himmlisch-überirdisch erbitten sie Erbarmen: Sie bitten um das Ende des Leides. Sie bitten, endlich, um Frieden.
Aber: Warum macht Iwanoff das überhaupt - die Bachsche Passionsmusik auf diese Art neu zu inszenieren?

"Ich sag immer verkürzt, Jesus war ein Palästinenser und wuchs eben im Nahen Osten auf, wurde dort geboren und starb dort auch, und Bach beschreibt ja sein Leben, Leiden und Sterben, und in der heutigen arabischen Welt wird eben gelebt und auch sehr, sehr viel gelitten ... und auch viel gestorben und das ist der aktuelle Zusammenhang, das heißt, wir versuchen Bach zu verbinden mit der aktuellen Situation im nahen Osten."

"Die Bilder braucht es, um das Konzert noch verständlicher zu machen und über den Sehsinn den Menschen noch näher zu bringen."

"Ich kenn das hier aus den Kirchen, dass man Pestkreuze gemacht hat. Also man hat die Pest erlebt, das größte Leiden der damaligen Zeit und hat das mit Jesus verbunden bei einer Passion. Und hat damit ja eigentlich Jesus als Pestkranken dargestellt. Der Kranke war in ihrer Zeit. Ich finde, das ist hier so etwas Ähnliches."

Der Islamwissenschaftler und Franziskanerbruder Jürgen Neitzert kann viel anfangen mit den Bildern aus dem Irakkrieg, die Judith Haug von Sarband zusammen mit Iwanoff ausgesucht hat und die überwiegend zur Musik projiziert werden. Die Bilder sind keine brutale, schnelle Diashow – lösen dafür aber auf den zweiten oder dritten Blick eine umso größere Erschütterung aus: Sanft eingeblendet sieht man zum Beispiel von hinten auf zwei Männer. Sie gehen hintereinander durch einen weißgekachelten Gang. Automatisch sucht man im Bild den Krieg. Alles sieht so normal aus. Aber nur solange bis man sieht, dass der erste Mann einen steifen kleinen Körper trägt. Links sieht man den Kopf, rechts von ihm die Beinchen. Wer immer noch hinschaut findet, in den spiegelnden Kacheln, eine zweite Kinderleiche in den Armen des zweiten Mannes.

Zu diesem Bild singt Fadia el Hage: "Es ist vollbracht! O Trost vor die gekränkten Seelen! Die Trauernacht lässt nun die letzte Stunde zählen. Es ist vollbracht."

"Es ist ja schon etwas seltsam, dass der überwiegende Teil der Hörer, wenn sie erbarme mich auf Arabisch gehört haben sagen, oh, das mag ich aber nur noch auf Arabisch hören."

"Wenn ich auf Deutsch bin, gibt mir wieder das Gefühl, dass ich wieder eine Studentin vor 20 Jahren in Deutschland bin, wo mein Lehrer neben mir ist und sagt: So wird es gemacht, so wird es nicht gemacht und wenn ich Arabisch singe, das ist meine ganze Seele, die gerne nackt da steht, die gerne die Gefühle zeigt, was nicht der Fall ist im Deutschen, der für mich viel mehr intellektuell ist als Gefühle und Emotionen."

"Da ist ein Textträger, der heute natürlich mehrfach entfallen ist, beziehungsweise nur in arabisch stattgefunden hat. Mein teurer Heiland, lass dich fragen, bin ich vom Sterben freigemacht. Vom Sterben frei gemacht ... du kannst vor Schmerzen gar nichts sagen und sprichst vom Kreuze: ja ... ja ja. Wenn ich das nicht höre, dann fehlt mir natürlich eine ganz klare Ebene."

Wolfgang Klein Richter, Dozent an der Folkwanghochschule in Essen und Organist an der romanischen Basilika Maria im Kapitol, hat den sprachlichen Ausdruck der theologischen Dimension von Leid und Leidüberwindung in der arabischen Passion vermisst. Das Konzert als Konzert fand er wunderbar. Einen ganz anderen Einwand gegen die Idee einer "arabischen Passion" bringt der Franziskaner Jürgen Neitzert.

"Musikalisch geht es in jedem Fall. Inhaltlich geht es auch und geht es nicht. Jesus hat ja im Islam eine ganz wichtige Rolle. Ist einer der wichtigsten Propheten, ist eigentlich der wichtigste Prophet nach Mohammed.
Passion ist vielleicht ein bisschen schwierig für Muslime. Aber Arabisch ist ja mehr als Muslime. Es gibt ja viele christliche Araber und so. Aber für Muslime gäb es das Problem, dass der Prophet Jesus nicht leiden darf, da am Schluss und deswegen ist es in der arabischen Tradition so, dass man sagt, es ist ein anderer getötet worden. Jesus hat das überlebt und ist aufgenommen worden in den Himmel, aber ist nicht gekreuzigt worden."

In der arabischen Passion nach Bach will Vladimir Iwanoff die Leidensgeschichte Jesu neu erzählen. In der Heimat von Jesus und heute. Am Leiden der Irakis unter Krieg und Besatzung. Er will aber nicht nur das Leiden zeigen, er will auch fremde Kulturen entdiskriminieren.

"Wir haben einfach irakische Musiker auf der Bühne ... das ist ein Prinzip von Sarband, sobald sie jemand sehen, wo sie gedacht haben, naja, Türken, Irakis ... was sind denn das für Leute, aber die sitzen das auf der Bühne und spielen Bach. Bach können sie nicht ablehnen als Dönerkebapmusik. Bach ist Kultur."

"Ich habe immer eine Vorliebe für Bach gehabt, habe immer gesagt, das ist der Gott aller Musiker (…) und auch spirituell, es rührt mich wahnsinnig, alles, was er geschrieben hat (…) das ist eine reine mystische Sache, die man nicht erklären kann. Ich finde nicht, dass man als Libanese Bach nicht mag oder als Deutscher besser mag – ich finde, das ist eine richtig universelle Musik."

"Gott kommt in jeder Musik drin vor. Weil eben Musik (…) die Brücke ist zwischen materieller Welt und dem, was jenseits der mathematischen Welt stehen mag und deswegen kommt Gott in welcher Definition Sie es auch wünschen in Musik vor. (…) Sie können Musik ohne Gott oder ohne ein Schöpferwesen, wie auch immer sie das bezeichnen wollen gar nicht machen."

"Gott ist da, wo es um die Menschen geht. Das schon. Also es kam nicht direkt, dass wir über Gott geredet haben. Es ging um Jesus, da kommt schon Gott ins Spiel. (…) das Erinnern an das Leid macht auch Kraft, das Leid zu überwinden. Ich denke, wir sind aufgerufen, das Leid zu überwinden. Das Konzert ist vielleicht ein Aufruf, das Leid im Irak zu überwinden."