Vergessene Autoren der "Weltbühne" wiederentdeckt

Rezensiert von Thomas Medicus · 04.11.2012
Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky prägten das Bild der Zeitschrift. Der Historiker Alexander Gallus konzentriert sich in dem Buch "Heimat 'Weltbühne'" auf die Biografie weniger bekannter Autoren. Damit eröffnet er dem Leser in der Tat einen spannenden Blick auf eine "deutsche Intellektuellengeschichte".
In seinem Buch "Heimat "Weltbühne", eine Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert" präsentiert Alexander Gallus weder eine Geschichte der linksintellektuellen ’Weltbühne’, die Gründung, Verbot und Neugründungsversuche abhandelte, noch etwa eine Geschichte des Mediums Zeitschrift als Plattform intellektueller Debatten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Auch erinnert der derzeit an der Universität Chemnitz tätige Historiker nur marginal an die größten Autoren der ’Weltbühne’, an Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky. Gallus tut etwas anderes, höchst Aufschlussreiches:

"Diese Arbeit handelt vom Staats- und Demokratiedenken ausgewählter Autoren oder Redakteure der Weimarer 'Weltbühne’. Sie verharrt nicht in den Jahren zwischen 1918 und 1933, sondern fragt auch nach dem geistigen Erbe dieser Linksintellektuellen, nach ihren Lebenswegen in wendungsreichen Zeiten, nach ihrer politischen sowie publizistischen Positionierung während des ‚Dritten Reichs’, im Exil und nicht zuletzt im geteilten Deutschland. (…) Die Protagonisten heißen: Axel Eggebrecht, Kurt Hiller, William Siegmund Schlamm und Peter Alfons Steiniger."

Dass diese vier, von dem 1991 gestorbenen Axel Eggebrecht abgesehen, zu den heute eher vergessenen Weltbühne-Autoren gehören, nutzt Gallus als Vorteil. Die Wahl fiel auf Eggebrecht, Hiller, Schlamm und Steiniger, weil sie erstens:

"… auch noch nach 1945 im politisch/publizistischen Feld tätig waren. Zweitens sollten sie über die Zeiten hinweg verschiedene Strömungen innerhalb des (links-) intellektuellen Spektrums repräsentieren. Drittens wurden Beispiele der ‚inneren’ wie der ‚äußeren’ Emigration ebenso wie nach 1945 aus West und – in einem Falle – aus Ost berücksichtigt. Viertens kamen nur solche Autoren in die engere Wahl, die sich (…) über die Zugehörigkeit zur Weltbühne definierten. Fünftens gerieten nur diejenigen in die engere Wahl, die sich während ihrer gesamten Schaffensperiode als genuin politische Publizisten und Akteure verstanden."

Diese Faktoren formieren ein außerordentlich ertragreiches Forschungsfeld. Gallus’ flüssig geschriebene Wissenschaftsstudie, die eine ungeheure Menge an Primärquellen wie Sekundärliteratur verarbeitet, vermag sogar über die gesamte Lesestrecke von mehr als vierhundert Seiten zu fesseln. Glänzend gelingt es, den im Buchtitel formulierten Anspruch einzuhalten. Vor dem geistigen Auge des Lesers entrollt sich tatsächlich das Panorama einer sehr deutschen Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert.

"Dem nachzuspüren erscheint umso vielversprechender, als das 20. Jahrhundert, dieses ‚Zeitalter der Extreme’, eben auch ein Zeitalter der Zäsuren und Lebenswenden war. Die Pluralisierung der mehrfach gesprengten Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte stellte (…) für die davon betroffenen Intellektuellen eine Herausforderung dar, achteten sie doch in besonderer Weise darauf, die Konsistenz ihrer Denkbiografien zu behaupten."

Vor allem Gallus biografische Methode erweist sich als erhellend. Ob Eggebrecht, Hiller, Schlamm oder Steiniger, alle vier verstanden ihre Tätigkeit in der "Weltbühne" lebenslang als Höhepunkt ihrer Karriere. Die Zeitschrift galt ihnen als intellektuelle Heimat, in die sie mit Hilfe vergeblicher Neugründungsversuche immer wieder zurückzukehren versuchten. Die Biografien der vier Intellektuellen, deren ideologische Wenden und Kehren Gallus lebendig darstellt, verliefen trotz linksintellektueller Ausgangslage völlig unterschiedlich. Während Schlamm und Hiller ins amerikanische beziehungsweise englische Exil gingen, verharrten Eggebrecht und Steiniger in Deutschland. Nach 1945 sah das intellektuelle Profil dieser mehr oder minder glorreichen Vier so aus:

"Hiller blieb der Ego-Dogmatiker und hielt sich stets selbst die Treue, Eggebrecht verstand sich fortan als demokratischer Sozialist mit aufklärerischem Impetus, Schlamm suchte bald einen Platz im konservativen Lager und war doch stets ein ‚Heimatloser’, Steiniger schließlich vollzog einen Wandel vom links-unabhängigen Intellektuellen hin zu marxistisch-leninistischen Scholastiker."

Eines hatten die von Gallus so genannten vier "Weltbühnerianer" schon während der Weimarer Zeit gemeinsam: sie waren, man liest es mit einer gewissen Ernüchterung, Antidemokraten, die der Macht einer geistigen Elite den Vorrang vor dem Institutionsgefüge eines demokratischen Verfassungsstaates gaben. Während Steiniger nach 1945 in der DDR zum Funktionärsintellektuellen avancierte, wandelten sich seine drei ehemaligen Kollegen im Westen grundlegend. Zwar entsprachen sie als Außenseiter, als die sie sich weiterhin gerierten, noch immer dem intellektuellen Anforderungsprofil des Rebellen. Aber auch wenn sie

"… dem hohen Integrationspotential der Bundesrepublik gelegentlich mit (…) exzentrischer Eigenwilligkeit (…) zu entgehen versuchten, so wandelten sich die alten Weltbühnerianer mit der Zeit (…) in mehr oder minder ausgeprägter Weise von ’outsidern’ oder ’external critics’ zu ’insidern’ oder ’internal critics’."

Dass die Figur des sozial integrierten Rebellen zugleich auch exemplarisch Deutschlands langen Weg nach Westen beschreibt, ist das Bemerkenswerte an Gallus Studie. Das ist sogar mehr als der Buchtitel verspricht.

Alexander Gallus: Heimat "Weltbühne" - Eine Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert
Wallstein Verlag Göttingen, September 2012
Cover: "Alexander Gallus: Heimat 'Weltbühne'"
Cover: "Alexander Gallus: Heimat 'Weltbühne'"© Wallstein Verlag