"Variantenwörterbuch des Deutschen"

Was die Österreicher mit "Topfen" meinen

Ein Mitglied einer neunköpfigen Jury testet am in der Bäckerei Rösler in Berlin-Spandau beim "Vierten Berlin- Brandenburger Käsekuchen-Wettbewerb" frisch gebackenen Käsekuchen aus Schichtquark.
Aus dem deutschen Quark wird in Österreich der Topfen. Jetzt ist eine Neuauflage des "Variantenwörterbuchs des Deutschen" erschienen © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Ulrich Ammon im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 24.11.2016
In Deutschland heißt ein kleinlicher Mensch "Korinthenkacker", in Österreich "Tüpferlreiter" und in der Schweiz "Tüpflischeißer". Die Unterschiede zeigt das neue "Variantenwörterbuchs des Deutschen", an der 40 Wissenschaftler mitgearbeitet haben.
Sprachforscher der Universitäten Duisburg-Essen, Basel und Innsbruck haben eine neue Auflage des "Variantenwörterbuchs des Deutschen" erarbeitet, die letzte Ausgabe erschien im Jahr 2004. In dem rund 900 Seiten starken Werk finden sich rund 12.000 national wie regional geprägte Wörter und Wendungen des Hochdeutschen.
Daran mitgearbeitet hat auch der Linguistikwissenschaftler Ulrich Ammon von der Universität Duisburg-Essen. Große Sprachunterschiede zeigten sich beispielsweise bei den Bezeichnungen von Speisen, erläuterte er im Deutschlandradio Kultur:
"Quark wird in Österreich zu Topfen. Feldsalat heißt dort Vogerlsalat und Nüsslisalat in der Schweiz. Sehr häufig zeigen sich Unterschiede auch bei amtlichen Bezeichnungen. Auch beim Abitur: Das heißt Matur oder Matura in der Schweiz und in Österreich."
Die Neuauflage, an der 40 Wissenschaftler beteiligt waren, enthält neben Einträgen aus der Schweiz, Österreich, Südtirol, Liechtenstein, Luxemburg und Belgien auch Einträge aus deutschen Sprachgebieten in Rumänien, Namibia und den Mennonitensiedlungen in Mexiko. Die Wissenschaftler haben für die Erstellung des "Variantenwörterbuchs" Zeitungen, Publikationen und diverse andere Texte untersucht.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wir kommen zurück zum Korinthenkacker, also zu einem sehr kleinlichen Menschen, einem Ausdruck, der bei uns im bundesdeutschen Sprachraum funktioniert, aber zum Beispiel in Österreich oder der Schweiz schon nicht mehr so recht. Der große deutsche Sprachraum hat so seine Varianten, und für die gibt es ein Wörterbuch, das Variantenwörterbuch des Deutschen. Eine Neuauflage ist jetzt erschienen. Mitgearbeitet hat Ulrich Ammon, Sprachwissenschaftler an der Universität Duisburg/Essen. Guten Morgen!
Ulrich Ammon: Guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Korinthenkacker, Herr Ammon, bitte einmal auf Österreichisch und Schweizerisch – wie klingt es da?
Ammon: Auf Österreichisch Tüpferl-Reiter, also von Tupfl, und auf Schweizerisch Tüpferli-Scheißer. Allerdings muss ich hinzufügen, dass das eigentlich ein bisschen Sonderfälle sind. Das Wörterbuch erfasst nämlich die standarddeutsche Variante, nicht etwa die Dialektvarianten, und das ist ein Grenzfall des Standards, das ist ja auch ein sehr salopper Ausdruck, der nicht in der breiten Öffentlichkeit verwendet wird. Solche Fälle haben wir auch aufgenommen. Wird schon auch in der Öffentlichkeit verwendet, aber immer mit dem Unterton, dass es nicht eigentlich die elegante Ausdrucksweise ist.
Das Wörterbuch enthält hauptsächlich sehr ernst zu nehmende Varianten, also zum Beispiel Wörter für den Bürgermeister, der bei den Mennoniten in Amerika der Älteste ist, oder auch der Vorsteher oder in der Schweiz der Ammann oder der Gemeindeammann und dergleichen. Oder auch Bezeichnungen von Lebensmitteln. In Rumänien heißt etwa die Stachelbeere Ägrisch oder in Österreich gibt es natürlich sehr viele Varianten für verschiedene Speisen.

Beispiele für das "Standarddeutsch"

Frenzel: Der Paradeiser zum Beispiel, den kennen wir wahrscheinlich alle. Aber Sie haben gerade schon so zwei Stichworte genannt, zum Beispiel Rumänien. Rumänien-deutsch und auch die Bezüge auf amerikanische Varianten des Deutschen. Worüber sprechen wir denn, über wie viel verschiedene Sprachräume, die Sie da beobachten müssen?
Ammon: Der Unterschied ist, die Standardsprache in Österreich, der Schweiz, Deutschland, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol sowie Rumänien, Namibia und Mennoniten-Siedlungen. Das sind alles Gebiete, in denen nicht nur Deutsch gesprochen wird, also nicht irgendwie ein Dialekt, sondern wo spezifische standarddeutsche Ausdrücke entwickelt wurden.

Feldsalat, Vogerlsalat oder Nüsslisalat

Frenzel: Gibt es denn Wörter, wo es besonders viele Varianten gibt, also wo man merkt, da unterscheiden sich die Sprachräume ganz gewaltig?
Ammon: Ja, zum Beispiel gerade bei den Bürgermeistern, das ist ein Beispiel. Oder auch bei manchen Speisenbezeichnungen, also was Sie schon angesprochen haben, Quark, Topfen. Feldsalat heißt Vogerlsalat in Österreich und Nüsslisalat in der Schweiz, und dergleichen. Aber sehr häufig auch bei amtlichen Bezeichnungen, wie eben beim Bürgermeister. Auch beim Abitur, heißt Matura oder Matur in der Schweiz und in Österreich und dergleichen.

Die Varianten des Deutschen in Texten

Frenzel: Wie haben Sie denn diese Wörter gefunden? Haben Sie dem Volk aufs Maul geschaut, also gelauscht oder Dokumente durchforstet? Wo haben Sie diese Dokumente her?
Ammon: Dokumente durchforstet. Ich habe zunächst einmal – ich habe schon 1995 ein Buch über dieses Thema geschrieben und ein solches Wörterbuch vorgeschlagen. Und da habe ich auch definiert, wie man Standarddeutsch definieren könnte. Die erste Orientierung, das sind die sogenannten Modelltexte, das sind die Texte, die für die Öffentlichkeit gemacht sind und am besten geeignet sind, die überregionalen Zeitungen oder in den kleineren Gebieten die einzigen Tageszeitungen. Und Wörter, die da regelmäßig verwendet werden, nicht in Anführungszeichen gesetzt werden, also als Zitate gekennzeichnet werden, sondern regelmäßig verwendet werden, betrachten wir als Standarddeutsch.
Frenzel: Das Deutsche und seine Varianten. Zu finden in der Neuauflage des Wörterbuches über die Varianten im Deutschen. Ulrich Ammon, Sprachwissenschaftler aus Duisburg, war das im Gespräch. Ich danke Ihnen herzlich für das Interview!
Ammon: Mit über tausend Seiten übrigens, sehr vielen Varianten.
Frenzel: Vielen Dank für diese Informationen. Einen schönen Tag, tschüs!
Ammon: Schönen Tag ebenfalls, danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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