USA-Mafia trifft auf norwegisches Wohlstandsbürgertum

15.12.2011
Der Radiomoderator Jan-Erik Fjell gibt mit "Der stumme Besucher" sein durchaus gelungenes Krimi-Debüt. Ein Industrieller wird ermordet. Im Verdacht sind zunächst seine Geschäftspartner. Doch dann taucht ein berüchtigter amerikanischer Mafioso in Norwegen auf.
Wenn Sie mich fragen: Das Markenzeichen skandinavischer Krimis ist gepflegte Langeweile: Fast perfekte berufstätige Mütter gehen diszipliniert gegen Mörder vor, ihre privaten Probleme bewältigen sie nebenbei oder depressive Männer in der Midlife-Crisis granteln sich schlecht gelaunt durch Ermittlungen, irgendeine wertvolle politische Erkenntnis wird garantiert mitgeliefert. Die lichte Ausnahme im wohlgeordneten skandinavischen Wohlfahrtsstaat sind die Thriller von Jo Nesbø. Sie sind im besten Sinne politisch, abseitig, dicht - und wenn in Norwegen seit Wochen ein Krimi auf den Bestenlisten seht, dem die Qualität von Nesbø zugeschrieben wird, dann ist das ein Grund, es mit diesem Roman doch einmal zu versuchen.

Autor Jan-Erik Fjell ist gerade erst 29 Jahre alt und arbeitet als Radiomoderator. Er hat bereits einen Unterhaltungsroman verfasst - und sich jetzt zum ersten Mal an einem Krimi versucht. "Der stumme Besucher" ist ein vielversprechendes Genredebüt: Ein erfolgreicher norwegischer Industrieller wird - offenbar von einem Profi - umgebracht. Zuvor hatte er ein wichtiges Projekt abgesagt, sehr zum Missfallen der Partner in seiner Firma. Also sucht die Polizei unter den Geschäftspartnern, die bemerkenswerte finanzielle Probleme haben, aber der Überfall auf einen älteren amerikanischen Mann lenkt den Blick auf eine andere Spur. Dieser Mann ist mitnichten ein Tourist, sondern einer der mächtigsten Mafiosi in den USA, der für seine Verbrechen meist straflos geblieben ist.

Hier zeigt sich, was Fjells Roman von den üblichen Geschichten aus Skandinavien unterscheidet: Die New Yorker Parallelgeschichte zu den Ermittlungen in Norwegen entwickelt in der Rückschau einen starken Sog. Von seinen Anfängen als harmloser, ehrgeiziger junger Mann mit starkem Familiensinn wird der Amerikaner rasch zum brutaleren Killer als es die Gang und das Geschäft verlangen: Das anrührende Bild vom harten Mann mit Herz zerbricht brutal. Fjell erschüttert nicht nur bei der Leserin das romantische Bild vom sympathischen Mafia-Killer aus unzähligen Filmen, auch die lang gehegte Sehnsucht des Ermittlers Anton Brekke nach dem Überführen eines Mafioso hält der Realität nicht stand.

Die hässliche Fratze der Mafia passt den anständigen norwegischen Wohlstandsbürgern besser als gedacht. Unter der wohltemperierten Oberfläche lauern Gier und Hass und eine beträchtliche kriminelle Energie. Aber auch ein abgebrühter Ermittler wie Brekke, der zynisch einen braven jungen Polizeianwärter piesackt, sich auf Kosten seines befreundeten Kollegen amüsiert, eine Frau abschreckend brüsk anmacht und seine Spielsucht gerade noch verheimlichen kann, braucht lange, bis er hinter die Fassade blickt. Ein Sympath ist Brekke nicht, aber genau darum eine Wohltat unter den anständig frisierten und politisch korrekten Ermittlern in der skandinavischen Kriminalliteratur.

Besprochen von Andrea Fischer

Jan-Erik Fjell: Der stumme Besucher
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger,
Rowohlt, Hamburg 2011
413 Seiten, 8,99 Euro
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