Untersuchungsbericht

Großbritanniens Irak-Krieg - ein verhängnisvoller Fehler

Tony Blair schüttelt einer Soldatin in einer Reihe von Kameradinnen die Hand
Im Januar 2004 besuchte der britische Premierminister Tony Blair Truppen im Irak. © picture alliance / dpa / Stefan Rosseau
Von Friedbert Meurer · 06.07.2016
Tony Blairs Entscheidung für den Irakkrieg im Jahr 2003 war wenig durchdacht, steht im heute veröffentlichten Untersuchungsbericht der Chilcot-Kommission. Tatsächlich habe Blair die Umstände nicht gut genug abgewogen, kommentiert Friedbert Meurer. Auch der heutige Bericht werde die Gräben in Großbritannien kaum zuschütten können.
Für alle, die heute Tony Blair in Handschellen abgeführt sehen wollten, ist der Chilcot-Bericht eine Enttäuschung. Der Vorsitzende der Kommission bezeichnet Blair weder als Kriegsverbrecher noch als Lügner.
Der Bericht, den die Öffentlichkeit jetzt in extenso studieren kann, zeichnet das Bild eines Politikers, der sämtliche Warnungen in den Wind geschlagen hat. Er hatte offenbar US-Präsident George Bush schon wenige Monate nach 9/11, der Terrorattacke gegen die USA, zugesagt, dass er sich an einem Militärschlag gegen Saddam Husseins Irak beteiligen will. Blair bestreitet das, aber er hat alle Zweifel an der Zuverlässigkeit der Geheimdienstberichte ignoriert. Warum?
Die Ursachen sind sowohl in der Psyche Tony Blairs als auch im Verhältnis zwischen Großbritannien und den USA zu suchen. Blair hat reflexartig die US-Regierung unterstützt, weil das anglo-amerikanische Verhältnis einen Grundpfeiler der britischen Außenpolitik darstellt. Die britische Außenpolitik zielt auf Anerkennung ab - das ist übrigens auch der Hauptgrund, warum die Regierung in London die atomar bewaffneten U-Boote für viel Geld austauschen will.

Die letzte Episode der Achse London - Washington

Großbritannien ist Atommacht, hat Vetorecht im UNO-Sicherheitsrat und das Sonderverhältnis zu den USA - all das verspricht Macht und Einfluss. Zum Treppenwitz der Geschichte gehört, dass der Irak-Krieg vielleicht die letzte Episode dieser Sonderachse London - Washington darstellt. London ist für Washington heute bei weitem nicht mehr so wichtig.
Zum zweiten wollte Tony Blair aber wohl auch allzu diensteifrig George Bush gegenüber als entscheidungsfreudiger Politiker erscheinen. 29 Briefe Blairs an Bush liegen dem Chilcot-Bericht bei, Protokolle und viele andere Dokumente - eine Fundgrube für Historiker, die allem noch intensiv nachgehen werden. John Chilcot und seine Kommission sind im Kern klar und deutlich: dieser Krieg war falsch.

Ein nationales Trauma

Aber auch ein Verbrechen? Allen, die mehr auf Blair einschlagen wollen und den Bericht als Persilschein abkanzeln, sei gesagt, dann gehört auch das halbe Unterhaus vor Gericht, das Kabinett, der Generalstaatsanwalt und viele andere. "Kriegsverbrecher" ist zum Kampfbegriff verkommen, mit dem jede militärische Intervention als Verbrechen gebrandmarkt wird.
Der Chilcot-Bericht wird die Gräben in Großbritannien kaum zuschütten können, der Krieg im Irak ist ein nationales Trauma. Die Angehörigen dürften immerhin Ansatzpunkte finden, die Regierung zu verklagen. Die Soldaten wurden schlecht ausgerüstet. Vor allem dient der Bericht als Orientierung für künftige Regierungen: Wer als Regierungschef die Soldaten seines Landes in den Krieg schickt, muss alle Umstände sehr gut abwägen. Blair hat das nicht getan - ein verhängnisvoller Fehler, den er sich auch heute nicht eingestehen wollte.
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