Unlösbare Widersprüche

Von Christian Geuenich · 16.08.2007
In dem Film "Am Ende kommen Touristen" des Nachwuchsregisseurs Robert Thalheim geht es um die Vergangenheit und Gegenwart von Auschwitz, dem heutigen polnischen Oswiecim. Dort versuchen die Menschen ein ganz normales Leben zu führen, ohne die Last der Vergangenheit.
Filmausschnitt "Am Ende kommen Touristen"

Ania: "Das ist hier Monowitz, Auschwitz III."
Sven: "Was denn, wo genau, hier überall oder wie?"
Ania: "Ja, das war vorher die Lagerstraße, wo du gerade fährst."
Sven: "Und wo jetzt die Häuschen stehen, da waren früher die Baracken oder wie?"
Ania: "Ja."
Sven: "Das ist ja krass, das sieht aus, wie ein ganz normales Dörfchen."

Robert Thalheims Kinodebüt "Am Ende kommen Touristen" handelt vom 19-jährigen Berliner Sven, der seinen Zivildienst in der Internationalen Begegnungsstätte in Auschwitz ableistet und dort einen KZ-Überlebenden und eine junge polnische Dolmetscherin kennenlernt. Auch Regisseur und Drehbuchautor Robert Thalheim – ein 33-Jähriger mit braunen, lockigen Haaren, Fünf-Tage-Bart und wachem Blick – hat dort seinen Zivildienst gemacht. Dadurch wurden ihm die unlösbaren Widersprüche des heutigen Oswiecim deutlich.

"Es ist eigentlich eine normale polnische Kleinstadt, an der nichts normal ist. Wenn ich da nach Hause oder in die Kneipe gefahren bin, bin ich an dem Lager immer vorbeigekommen. Oder abends ist man ein normaler Jugendlicher und fängt da an, so ein bisschen polnisch zu lernen und in die Disco zu gehen, und am nächsten Tag steht man im weiten Feld von Birkenau, wo diese schrecklichen Verbrechen passiert sind."

Der Berliner Filmemacher in brauner Cordhose und Turnschuhen hat sich damals bewusst für den Zivildienst im nahegelegenen und doch unbekannten Nachbarland entschieden. Die Zeit dort hat ihn geprägt. Filme der großen polnischen Regisseure Andrzej Wajda und Krzystof Kieslowski haben ihm in dieser Zeit Zugang zu Polen und seiner Kultur eröffnet.

"Und das hat für mich dann wiederum den Anfang gelegt von meinen Wunsch, Filmregisseur zu werden. Und so ist das alles schon verknüpft dort in dieser Zeit."

Thalheim möchte mit seinen Filmen nicht nur unterhalten, sondern den Zuschauern mit Geschichten, die in der Realität verankert sind, auch kleine Denkanstöße mit auf den Weg geben. Er mag die Verknüpfung von Kino und Gesellschaft, wie er sie in frühen Filmen von Andrej Wajda gefunden hat, dem Regisseur, über den er während seines Studiums mit einem Freund ein Buch geschrieben hat.

"Das Kino hat zurückgewirkt in die Gesellschaft, aber auch die Gesellschaft wurde direkt im Kino abgebildet. Und das finde ich halt toll, wenn Kunst das irgendwie kann. Und er hat es immer geschafft, private Geschichten zu erzählen, die in einem größeren gesellschaftlichen Kontext spielen, und das wünsche ich mir eigentlich auch, das begeistert mich."

Robert Thalheim ist in Berlin-Spandau aufgewachsen. Seine Eltern beschreibt er als weltoffene Kaufleute, die mit ihren beiden Kindern schon früh mit dem Rucksack durch die Welt reisen, ohne vorher eine Unterkunft zu buchen. Nach der 10. Klasse geht Thalheim in die USA und macht dort seinen Highschool-Abschluss, drei Jahre später dann das Abitur in Berlin. Nach dem Zivildienst arbeitet er zunächst als Regie-Assistent am Berliner Ensemble, bevor er zwei Jahre lang Neue Deutsche Literatur, Geschichte und Politik an der Freien Universität Berlin studiert – mit dem vagen Ziel, Journalist zu werden.

"Ich hab angefangen zu studieren, wirklich so mit diesem Credo von unseren 68er-Lehrern im Ohr, ja man muss sich erstmal ausprobieren und guckt mal, was einem so gefällt, und damit muss ich sagen, bin ich an so ner Massenuni in diesen großen Studiengängen wie Germanistik ziemlich gescheitert."

In dieser Zeit gründet er mit Freunden das mitteleuropäische Kulturmagazin "Plotki", das inzwischen von Jugendlichen aus zwölf Ländern gestaltet wird und gegenseitige Vorurteile abbauen soll. Mit 26, nach dem Grundstudium, geht sein Traum in Erfüllung und Thalheim wird an der Filmhochschule "Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg aufgenommen.

"Für mich war es halt das Größte, auf dieser Filmhochschule angenommen zu sein und hab das dann zu Hause erzählt, und da war dann erstmal so eisiges Schweigen‚ ‚also das heißt, dass du jetzt dein Studium abbrichst.’ Also meine Eltern haben es erstmal als Scheitern wahrgenommen, und umso schöner, dass die das so jetzt mitgenießen und so stolz darauf sind, wenn sie meine Filme sehen."

Thalheims Film "Netto", eigentlich nur eine Regie-Übung im dritten Studienjahr, gewinnt 2005 die "Perspektive Deutsches Kino" auf der Berlinale und den German Film Critics Award. Nach dieser Geschichte um eine spannungsreiche Vater-Sohn-Beziehung spürte Robert Thalheim bei seinem zweiten Film dann allerdings einen enormen Druck. Dabei ist er ohnehin ein von Selbstzweifeln geplagter Regisseur.

"Da bin ich absolut nicht so ein Künstler in dem Sinne, dass ich davon überzeugt bin, dass alles, was ich mache, jetzt Kunst ist und toll ist und für die Welt wichtig, sondern zermartere mich da schon immer und frage mich, welche Berechtigung das eigentlich hat. Und das kommt alles aus der Angst, ob man wirklich gut genug ist oder ob das jetzt irgendwann auffliegt, dass man ja eigentlich gar keine Ahnung hat und einfach nur in diese zwei Filme reingestolpert ist."

Allen Selbstzweifeln zum Trotz liebt der 33-Jährige die Vielschichtigkeit seines Berufs. Seine Freundin, die als Literaturübersetzerin arbeitet, ist seine wichtigste Ratgeberin, er schätzt ihre branchenfremde Einschätzung. Auf der Suche nach "einem bisschen altem Osten", wie er sagt, sind sie inzwischen nach Pankow gezogen. Nachdem sich in seinem Leben in den letzten Jahren alles nur um Film gedreht hat, freut er sich, dass vor zwei Monaten Karl in sein Leben getreten ist.

"Mein kleiner Sohn. Und plötzlich verschiebt sich auch die Wahrnehmung. Man versucht einfach viel Zeit mit dem zu verbringen und den anzugucken und für den da zu sein, und das ist auch toll. Also mein perfekter Tag ist eigentlich, mit dem Zeit zu verbringen."