Ungarn auf der Grünen Woche

Kein Geld, aber glückliche Kühe

Mögen weder Stall noch Kraftfutter: ungarische Graurinder im Nordosten des Landes.
Mögen weder Stall noch Kraftfutter: ungarische Graurinder im Nordosten des Landes. © Jan-Uwe Stahr
Von Jan-Uwe Stahr · 24.01.2017
Ungarn ist in diesem Jahr Partnerland der Internationalen Grünen Woche in Berlin. Für Tiere und Natur ist es ein Segen, dass den Familienbetrieben im Nordosten des Landes das Geld für Hochleistungsställe fehlt. Die Rinder haben großen Auslauf und liefern beste Bioqualität – auch ohne Zertifikate und Siegel.
"Ich schau mal, wo man am besten langfahren kann", sagt Tünde Irgovics und schon springt sie raus dem Auto. Geht suchend vorweg über die buckelige Weide, die sich vom Tal einen sanft ansteigenden Hang hinaufzieht. Sie zeigt auf die Kühe, die sich langsam hangaufwärts Richtung Buschwerk und Niederwald bewegen. "Hier anhalten!" bedeutet sie mit flacher Hand.
Intakte und artenreiche Natur trotz Landwirtschaft im Nordosten Ungarns.
Intakte und artenreiche Natur trotz Landwirtschaft im Nordosten Ungarns.© Jan-Uwe Stahr
Weidezäune gibt es hier nicht, in der fast menschenleeren nordost-ungarischen Landschaft. Ein Hirte begleitet die wandernde Rinderherde. Sein struppiger schwarzer Hund macht den lahmen Kälbern Beine. Etwa 150 Hektar Land hat Familie Irgovics für ihre 140 Rinder zur Verfügung. Umgerechnet mehr als ein Hektar pro Tier. Land haben die Bauern hier viel, in Nordost-Ungarn. Kapital dagegen nicht. Zum Beispiel um sie in großen modernen Ställen zu mästen und zu melken.
Peter Irgovics ist gerade aus seinem Geländewagen gestiegen, wischt sich den Schweiß aus dem rotwangigen Gesicht und lacht. Stallhaltung, das funktioniert mit unseren Tieren gar nicht, sagt der 50-jährige Bauer:
"Die Kühe brauchen den weiten Auslauf, wollen sie sich frei bewegen wie Wildtiere. Im tiefen Winter, als wir sehr schlechtes Wetter hatten, wollten wir sie in den Stall eintreiben. Pfffohh ... wir mussten die wieder herauslassen: Sie versuchten sogar, durch das Dach abzuhauen, um zurück an die frische Luft zu gelangen."

Milch mit Blumenduft

Unsere Kühe mögen auch kein künstliches Kraftfutter, sagt Peter. So, wie es das Stallvieh in der industriellen Tierproduktion fressen muss. Klar, sie sind hier Besseres gewohnt:
"Das ist Ur-Rasen, auf dem sie hier weiden. Ich kann nicht sagen, wie viele Kräutersorten hier zu finden sind, von Heilkräutern bis - ich weiß nicht was - hier gibt es alles. Die weiden hier auf blumenübersäten Wiesen und geben eine Milch - den Blumenduft kann man bei der Milch buchstäblich riechen bzw. schmecken."
Leider will keine Molkerei in Ungarn diese wunderbare Milch haben, sie ist zu teuer im Vergleich zur industriell gewonnenen Milch. Deshalb sind die Rinder ausschließlich für die Fleischproduktion bestimmt. Die Kälber wachsen bei ihren Müttern auf. Wenn sie groß genug sind, werden sie an einen Händler verkauft. Kommen dann nach Griechenland, werden dort geschlachtet. Griechenland – Tünde und Peter waren im Gegensatz zu ihren Tieren noch nie dort. Dann geht es hinunter zum Hof.
Das Bauernhaus strahlt unter den alten Kastanienbäumen - in leuchtendem Orange. Peter bittet in die Stube. Sie ist ausstaffiert mit Hirschgeweihen und Rehbockgehörnen. Die Jagd ist seine Leidenschaft. Dort kann er abschalten und die Alltagsprobleme vergessen. Sorgen bereiten ihm und Tünde die viel zu niedrigen Fleischpreise. "Die Griechen wollen jetzt auch kein Kalbfleisch mehr kaufen", sagt er. "Und die meisten Ungarn essen sowieso nur Schweinefleisch. Dabei ist Kalbsfleisch gesünder." Besonders das von den Tieren, die nur draußen in der freien Natur leben:
"Klar. Man könnte das Fleisch für mehr Geld verkaufen, wenn man so einem Bio-Fachkreis oder wie das heißt, beitreten würde. Auch in Ungarn wurden solche Fachkreise gegründet, die von Futtermitteln bis Tierhaltung alles kontrollieren. Aber um da reinzukommen, das wäre sehr zeitaufwendig."

Nicht Brüssel, sondern Budapest ist das Problem

Die vielen Formulare, die Dokumentationen – sie sind nicht sein Ding, räumt Peter ein. Und natürlich kostet die Zertifizierung als Bioproduzent erst einmal Geld. Doch das ist immer wieder knapp. Trotz der Fördergelder, die auch Tünde und Peter von der Europäischen Union bekommen – zum Beispiel für die Mutterkuh-Haltung und für ihre landwirtschaftlichen Flächen. Allerdings wird das Geld aus Europa von der ungarischen Regierung ausgezahlt. Nicht Brüssel ist unser Problem, sagt Peter, sondern Budapest:
"Die Gelder fließen nur mit riesiger Verspätung. Ich weiß nicht, was der ungarische Staat damit macht. Die EU hat das Geld doch schon längst überwiesen und sie zahlen es einfach nicht aus!"
Die Regierung von Viktor Orbán hatte ausdrücklich versprochen, die bäuerlichen Familienbetriebe zu fördern. Aber die Politiker erzählen viel, wenn der Tag lang ist, ärgert sich der Bauer. Dann steht er auf. Er will noch auf die Wildschwein-Jagd. Der Mann braucht die Freiheit – genau wie die Kühe.
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