Unermüdlicher Kämpfer für die Menschenrechte

Von Barbara Wahlster · 22.11.2005
Der algerische Schriftsteller und Journalist Hamid Skif ist ein unermüdlicher Kämpfer für Menschenrechte und Meinungsfreiheit in seinem Land. Als kritischer Intellektueller geriet er ins Visier der radikalen Islamisten und lebte eine Weile im Untergrund und flüchtete nach Morddrohungen nach Hamburg. Jetzt erhält Hamid Skif in Heidelberg den Preis "Literatur im Exil" für seinen Briefroman "Sehr geehrter Herr Präsident".
Hamid Skif: "Ich habe Algerien zwar verlassen, aber Algerien hat mich nie verlassen. Algerien bewohnt mich, wo auch immer ich wohne. Ich bin schließlich erst mit 46 Jahren hierher gekommen. Ich stehe zu meiner Rolle als Zeuge, nicht nur gegenüber meiner Gesellschaft, sondern ganz allgemein allen Menschen gegenüber. Ich bin doch nicht nur Zeuge für Algerisches. Mir geht es um Menschliches. Ernsthafte Schriftstellerei bedeutet, glaubhaft dem Eigenen auf den Grund zu gehen und dort nach dem Besten zu suchen oder auch nach dem Schlechtesten. Will man wirklich Zeuge sein, dann doch nur, indem man der eigenen Wahrheit nachspürt, nicht der Wahrheit der anderen. Das interessiert niemanden. Für den politischen Diskurs sind die Politiker da, die Plakate, die Parteien. Die Rolle des Schriftstellers besteht darin, tief in sich hinab zu steigen und so den anderen entgegen zu gehen. "

Zeugenschaft und Erinnerung bleiben Hamid Skifs entscheidende Schreibimpulse auch in Deutschland. Dass er als französischsprachiger Autor nicht in Frankreich Exil gesucht hat, darüber will Hamid Skif kein Wort verlieren. Um keinen Preis wollte er sein Land endgültig verlassen. Doch nachdem ein Cousin gleichen Namens und zwei seiner Mitarbeiter Opfer der islamistischen Banden geworden waren, kapitulierte er. Und dann war der politische Intellektuelle plötzlich ohne Resonanzraum.

"Man könnte mich schon als Aktivisten beschreiben, der seine Einsätze sehr gezielt unternahm. Der Aufenthalt hier hat ein Nachdenken über die Grundlagen dieser Aktivitäten und über bestimmte Abschnitte meines Lebens in Gang gesetzt. Das war selbstverständlich auch schmerzhaft. Das Schweigen hier im Gegensatz zu dem Tumult, in dem ich mich jahrelang in Algerien befunden habe, die Selbstbesinnung und der Rückzug lassen einen die Dinge viel grundsätzlicher sehen. Doch Menschenrechtsaktivitäten, den Einsatz für Meinungs- und Pressefreiheit habe ich nicht eingestellt. Das wird mich bis ans Ende meines Lebens begleiten."

Gerade ging es um die Unterstützung seiner tunesischen Kollegen im Hungerstreik - während des Informationsgipfels in Tunis.

"Tunesien unter Ben Ali ist heute ein regelrechtes Gefängnis, auch wenn die Touristen niemals die Realität des Landes zu sehen kriegen. 10 Millionen Einwohner hat Tunesien, doch in den Gefängnissen dort sitzen genauso so viele Strafgefangene wie in Frankreich mit einer siebenfachen Bevölkerungszahl. Es gibt etwa 500 politische Gefangene, Folter ist an der Tagesordnung. In diesem Land gibt es keine Meinungsfreiheit, das Internet ist verboten. Es ist wirklich lächerlich, dass die UNO, diese Riesenmaschine, diese Geldverschleuderungsmaschine, ihre Internetmesse in Tunesien ausrichtet. Das ist nichts anderes, als sich über die Menschen lustig zu machen. Wozu ist das gut, einen solchen Kongress in einer waschechten Diktatur abzuhalten? Ein Skandal! Für mich geht es nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern darum, einen demokratischen Maghreb auf den Weg zu bringen. Wir müssen die Despoten unserer Region - egal welcher Couleur - loswerden. "

Doch seit er in Deutschland lebt, kann sich der streitbare Journalist und politische Aktivist wieder vorrangig dem Schreiben widmen. Mit 20 Jahren hatte er 1971 seinen ersten Gedichtband in Algerien veröffentlicht, in einer Auflage von 25.000 Exemplaren. Für andere Bücher dagegen musste er langen Atem beweisen im Kampf gegen die Zensur. Für die Erzählung "Das Haus des Schweigens" dauerte es sieben Jahre bis zur Veröffentlichung 1986. Und für die bitterböse, absurd skurrile Erzählung "Sprung in der Schüssel oder Amara, Sohn des Maultiers" bestehen bis heute keine Publikationsaussichten. Dass Fundamentalisten einen Verrückten zur Bürgermeistermarionette aufbauen, geht eben doch nicht durch.

"Sie werden dich in Stücke reißen, hat mir ein Freund gesagt - und auch Verleger, Auslieferer und Buchhändler wird es erwischen. Die Geschichte geht gar nicht frontal gegen die Fundamentalisten, sie macht sie lächerlich, spießt sie auf, zeigt ihre hassenswerten Seiten voller Ironie. Und Humor können sie nun wirklich nicht ausstehen. Die Geschichte wird nie erscheinen. "

Deshalb wählte Hamid Skif 1998 auch den Weg ins Internet. Doch sieht er die damaligen Hoffnungen in einen zensurfreien Raum mittlerweile eher skeptisch, da der Bildschirm Buch und Bibliotheken einfach nicht ersetzen könne. In seinem Briefroman "Sehr geehrter Herr Präsident" kondensiert Hamid Skif den aussichtslosen Kampf gegen die Widrigkeiten des algerischen Alltags. Ob Drohungen, Schmeicheleien, Spott, wissenschaftliche Lösungsangebote: Nichts verbessert die Lage. Wie es dort weiter gehen wird, nach dem Bürgerkrieg und den Turbulenzen der 90er Jahre?

"Wir werden die Demokratie noch eine ganze Weile lernen müssen. Das fängt an beim Respekt für die Meinung anderer. Eine Demokratie braucht auch Parteien, die wirklich demokratisch funktionieren, anders als die Parteien, die wir heute haben. Als algerischer Bürger würde ich sagen, dass Ruhe einkehren muss, Frieden ist dringend nötig, wenn auch schwierig. Denn ohne Gerechtigkeit wird es keinen Frieden geben. Realistisch gesehen haben wir aber keine unabhängige Justiz in Algerien. Deshalb wird jedes Urteil jeweils nur von einer Seite akzeptiert werden und nicht von der anderen. Eine unabhängige Justiz ist in weiter Ferne. Trotzdem müssen wir anfangen mit dem Frieden und sehen, wie man nach und nach auch Gerechtigkeit herstellen kann. Wir dürfen nicht länger warten. "