Und der Wald steht still und schweiget

Von Rudolf Erhard · 14.10.2005
Bayerns Wälder effektiver vermarkten, ohne den Bestand zu verkleinern: Dieses Kunststück soll eine umstrittene Forstreform vollbringen, indem sie die verbeamtete Waldwirtschaft im waldreichsten Bundesland durch eine öffentlich-rechtliche Forstanstalt ersetzt.
"Obacht! Fallender Baum!"
Weißt du nicht, dass die Wälder das Leben eines Landes sind? Und der Wald steht still und schweiget.

So geht das seit Jahrhunderten in Bayern. Vor 250 Jahren war das damalige Königreich noch zur Hälfte Wald. Heute bedecken die Bäume ein Drittel der Landesfläche des Freistaats. 1752 begründete Kurfürst Max III. Joseph per "Decretum" die bayerische Staatsforstverwaltung. Seit 1. Juli 2005 ist die traditionsreiche Behörde offiziell die öffentlich-rechtliche Anstalt Staatsforsten.

"Ich kenne keinen besseren Standort für die Forst- und Holzwirtschaft als hier in Bayern: genug Holzvorräte, gute Infrastruktur im Land, geographisch perfekt gelegen, auch für die Märkte, für die Holzindustrie, Deutschland selbst ein großer Markt im Herzen Europas, kurze Wege zu den Überseehäfen in Hamburg und Rotterdam."

... sagt Rudolf Freidhager. Er ist Vorstandsvorsitzender der neuen bayerischen Forstanstalt. Hörbar kommt er aus Österreich, wo die Teilprivatisierung der Staatsforsten schon fünf Jahre früher verwirklicht wurde.

Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus.

Es wurde viel gestritten in Bayern, rund um die Forstreform. Tausende von Förstern und Waldarbeitern gingen im letzten Jahr protestierend auf die Straße:

"Ganz beschissen! Ständig kommt was anderes und überall wollen sie sparen, aber immer auf der verkehrten Seite. Waldpflege, da kommen wir heute schon nicht mehr nach. Zum Teil verlottert heute der Wald, weil wir die Arbeiter nicht mehr haben. Vor 30 Jahren waren wir 35 Holzhauer in unserem Revier, heute sind wir nur noch 12. Die sollen mal woanders einsparen."

20 Prozent der Stellen einzusparen, das war die Vorgabe der Staatsforstreform. 2000 Beamte, 600 Angestellte und 2000 Waldarbeiter erwirtschafteten zuletzt magere 2 Millionen Euro Jahresgewinn aus 774.000 Hektar Staatswald. 20 Millionen Euro mussten aber extra zugeschossen werden für Lawinen- und Murenschutz, Schutzwaldsanierung und Wegebau.

"Wenn im Landkreis Freising bisher ein Forstdirektor beschäftigt war, mit Stellvertreter und Förstern, für lächerliche Flächen bis 2004 von 4900 Hektar, dann ist das eigentlich ein Skandal gegenüber dem Steuerzahler."

... schimpft Hans Holzner, Bauer und Privatwaldbesitzer aus dem ober-bayerischen Freising - alles Geschichte. Forstdirektionen auf regionaler und lokaler Ebene und 128 Einheitsforstämter wurden weggefegt. Künftig sind eine Zentrale und 41 Forstbetriebe für den Staatsforst zuständig. Der Förster als Berater und Betreuer für 700.000 Privatwaldbesitzer in Bayern sitzt jetzt in einem der 47 Ämter für Land- und Forstwirtschaft.

"Ein Holz muss weg und es muss wieder neuer Bestand gepflanzt werden. Das ist doch die Aufgabe, deswegen geht kein Hektar Wald verloren. Es muss nachhaltig gewirtschaftet werden. Und dass wir es mit der Hälfte der Beamten schaffen, da bin ich mir sicher."

Ganz so radikal, wie es Privatwaldbesitzer Holzner fordert, wird es nicht kommen, aber die Staatsforstreform hat Bayerns Holzwirtschaft durcheinander gewirbelt wie ein Sturm.

Das Bäumchen biegt sich, doch der Baum nicht mehr.

Ein Volksbegehren wollte im letzten Herbst die Forstreform in Bayern verhindern. Doch gegen das Desinteresse in den Großstädten und gezielte Kampagnen in ländlichen Gegenden hatte das breite Aktionsbündnis "Aus Liebe zum Wald" keine Chance. Mit 9,3 Prozent gesammelter Stimmen wurde die 10-Prozent-Hürde für einen Volksentscheid verfehlt.

"Das Volksbegehren "Aus Liebe zum Wald" wurde bekämpft unter anderem mit dem Lügenmärchen, dass die freie Verfügbarkeit über bäuerliches Eigentum durch unser Volksbegehren eingeschränkt wird."

... schimpfte damals Hubert Weiger, Vorsitzender des Aktionsbündnisses aus über 30 Gruppen, vom Naturschutz bis zu den Kirchen. Die bäuerliche Bevölkerung, oft Waldbesitzer und in Bayern immer noch eine Macht, glaubte den Beteuerungen von Bayerns Forstminister Josef Miller, CSU:

"Es geht darum unnötige Bürokratie abzubauen, schlanke Strukturen zu schaffen, noch effizienter zu arbeiten, wir wollen stabile Mischwälder, wir wollen dass die Wälder ihre Schutzfunktion weiter erfüllen können."

Der Wald steht still und schweiget.

Könnte er, würde er wohl schreien, der Wald in Bayern. 1996 waren noch 47 Prozent aller Bäume gesund. 2004 wiesen nur noch 22 Prozent aller Bäume keine Nadel- und Blattverluste auf. Ortstermin mit Forstoberrat Dirk Schmechel im riesigen Forstenriederpark vor München:

"Wenn Sie in den oberen Bereich schauen, wo diese oberen 3,4 Meter immer wieder regelrechte Fenster sind, wo man durchschauen kann, das deutet auf den Verlust von grüner Nadelmasse hin. Wenn dann zusätzlich, wie diese Bäume, die wir da hinten sehen, die oberen Meter regelrecht rot erscheinen, die obere Krone regelrecht abstirbt, dann ist es ein deutlicher Hinweis zumindestens auf den Kupferstecher. Oft steckt dann weiter unten auch noch der Buchdrucker drin, der mehr im unteren Kronenbereich ansetzt und im Stamm sich aufhält."

Mit ein paar geschickten Schlägen legt Forstmann Schmechel an einer gefällten Fichte ein Borkenkäfernest frei und zeigt mir den größten Feind des Waldes.

"So, wenn wir jetzt also unter diesem Rindenstück ein wenig bohren, da krabbelt's und kribbelt's, da sind also hier diese hellbraunen Käferchen, die jetzt schon recht aktiv sind. Wenn dieser Fraß rundum erfolgt, und das passiert sehr rasch, dann sind die Versorgungsbahnen im so genannten Kambium, also zwischen Rinde und Holz, unterbrochen. Der Baum wird nicht mehr versorgt mit Nährstoffen, er stirbt ab."

Ortswechsel, wir sind im oberbayerischen Bergwald auf gut 1000 Metern Höhe, am Kranzhorn oberhalb der viel befahrenen Inntalautobahn in Richtung Grenze zu Tirol. Klaus Altmann und Henner Rothe begutachten eine Dauerbeobachtungsfläche des Staatsforstes.

"Was würdest du meinen? Also 45 Prozent aufwärts, Richtung 50 Prozent, Hälfte der Nadeln fehlt sicherlich. Letztes Jahr hat er gehabt 40 Prozent, dieses Jahr Richtung 50 Prozent. Der Baum ist also im Vergleich zu dem, der links davon steht, um die Idee schlechter."

Planst du für ein Jahr, so säe Korn, planst du für ein Jahrtausend, so säe Bäume.

Vom Trockenstress des Jahrhundertsommers 2003 geschwächt, vom Borkenkäfer befallen, Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxide, Ammoniak und Ozon haben dann leichtes Spiel im Wald. Die Werte sinken, sind aber immer noch zu hoch. In Nordostbayern gehen immer noch über 10 Kilogramm Schwefel pro Hektar Wald nieder.

"Mir hat mal ein Waldbesitzer Fotos aus der Frühzeit der Fotografie gezeigt, aus der Jahrhundertwende um 1900, und hat mir gesagt, schauen sie sich mal diese Fichten an, die sehen krank aus. Also dieses Waldsterben oder die neuartigen Waldschäden, so schlimm sie natürlich einzuschätzen sind, glaube ich, können derzeit das Waldwachstum nicht in Frage stellen. Sorgen sollte sich der Waldbesitzer langfristig eher um das Thema Klimaänderung machen."

Alfred Raunecker, einen freiberuflichen Forstsachverständigen aus Augsburg habe ich beim Waldbesitzertag getroffen. Er wird von der staatlichen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft veranstaltet. Dort am Universitätscampus Weihenstephan hören Bayerns private Waldbesitzer zufrieden, dass trotz Flächenhunger von Industrie Siedlungen und Verkehr die Wälder größer geworden sind. Pro Sekunde wächst ein Kubikmeter Holz nach.

"Der Wald ist noch eine Sparkasse. Sie hat nicht mehr die hohen Zinserträge, wie sie es vor Jahrzehnten noch hatte. Problematik dabei ist die Preisschere. Wenn ein Waldbesitzer sagt, vor 30 Jahren habe ich noch ein Hektar gerodet und habe dafür einen Traktor kaufen können, heute kriegt er dafür nicht einmal mehr einen Satz Reifen für seinen Traktor."

Beruhigendes gibt es auch zur Staatsforstreform zu hören. Die ist natürlich immer noch Thema Nummer 1. Aber die neue staatliche Forstanstalt in Bayern darf es mit dem Holzeinschlag sowieso nicht übertreiben. Denn in den staatlichen Wäldern sind die Holzvorräte längst nicht so groß wie in den Privatwäldern. Über 1, 5 Millionen Hektar sind da aufgesplittet auf 700.000 Besitzer, viele davon haben nur kleine Waldflecken.

"Die Waldbesitzer haben teilweise kein Interesse mehr am Wald, leben inzwischen in der Stadt, wissen gar nicht, dass sie Wald haben oder wo der liegt. Und wenn man sich so Mitgliedsversammlungen von Forstbetriebsgemeinschaften anschaut, das sind in der Regel ältere Herren, die noch eine Passion auch für den Wald haben."

Dabei hat Holz derzeit Konjunktur, nicht nur in Bayern. Die hohen Ölpreise machen das heimische Brennmaterial wieder interessant. Seit langem, so bekennt Hans Baur, Geschäftsführer der Waldbesitzervereinigung Bayern, bereite ihm sein Job wieder Freude:

"Zum ersten Mal hat man das Gefühl, es geht aufwärts, zum ersten Mal wird wieder Holz nachgefragt. Bisher hat man es verbetteln müssen. Und jetzt kommen Leute auf uns zu und fragen: habt ihr Holz, macht ihr eines? Und das ist unsere Aufgabe. Das Holz ist ja das, das umzusetzen, dass die Nachfrager wirklich ein Holz bekommen, vor allem auf dem Energieholzsektor, aber auch auf dem Papierholzsektor, Sägeholz und so weiter."

Die Ängste rund um die Forstreform in Bayern scheinen in den Hintergrund gerückt. Nicht so bei Ralf Straußberger, Waldreferent des Bund Naturschutz:

"Was jetzt läuft, das ist die Ansiedlung von Großsägewerken. Die Förster werden immer mehr abgebaut, der Holzverkauf soll rationalisiert werden auf wenige Stellen, Großkundenbetreuer, sollen drei große Kunden noch übrig bleiben letztendlich. Hier gehen die Sägewerke vor Ort kaputt. Das heißt, es gehen auch die Ansprechpartner für die Waldbauern kaputt."

Doch in der neuen Zentrale der staatlichen Forstanstalt reagiert Vorstandschef Rudolf Freidhager gelassen. Er rechnet vor, dass auch für ihn der Wald mehr ist als die Summe aller Festmeter. Er werde den Holzeinschlag im Staatsforst nicht erhöhen. Es bleibe bei rund 5 Millionen Festmeter Holzeinschlag im Jahr, auch wenn gleichzeitig 6 Millionen hinzuwachsen. Die vom Staatsforst an kleine Sägewerksbetriebe gelieferte Holzmenge werde sich nicht verringern, aber Großabnehmer garantierten eben auch Kostensenkung:

"Marktwirtschaft pur, wenn man damit meint, hemmungslos Geld zu machen mit dem Wald, ohne Rücksicht auf Verluste, das wird es nicht geben, in keinster Weise."

Effizienter soll er werden, der Holzeinschlag beim bayerischen Staatsforst, dem größten Waldbesitzer Mitteleuropas. Immer noch werden zwei Drittel der Bäume mit Motorsäge und Waldarbeiter raus geschlagen. Das kostet mehr als doppelt so viel als die vollautomatisierte Ernte mit dem Harvester, einer Einmannmaschine, die fällt, entrindet, portioniert und stapelt - und das auch noch Wald schonend. Gerhard Lichtenwald, staatlicher Förster im ostbayerischen Neureichenau zog dennoch Konsequenzen.

"Ich hab trotzdem Angst vor dem Zeitpunkt, wo man jetzt im Wald draußen merkt, dass der Holzeinschlag über das gute Maß hinausgeht. Und diesen Zeitpunkt möchte ich nicht mehr aktiv im Betrieb miterleben, da gehe ich lieber in die Verwaltung."

Es sind also - trotz Holzkonjunktur und beruhigender Zahlen - noch Ängste vorhanden. Michael Held, der im bayerischen Wald den Forstbetrieb Neureichenau mit 18.000 Hektar leitet, kann das nicht verstehen:

"Es gibt einen klaren gesetzlichen Auftrag, es gibt das bayerische Waldgesetz, das ja bundesweit als vorbildlich anerkannt ist, es gibt das Errichtungsgesetz bayerische Staatsforsten. Und da ist genau festgehalten, dass die Nachhaltigkeitskriterien einzuhalten sind. Weiter ist die naturnahe Waldwirtschaft festgeschrieben, der Grundsatz Wald vor Wild. Also ich sehe das nicht so, dass der Wald den Bach runtergeht."
Aber im Staatsforst Bayern sind die gemütlichen Zeiten vorbei. So wenig Verwaltung wie nötig und teilweise drei mal so große Betreuungsgebiete bei gleichem Personalstand. Da können wir uns unmöglich um alles kümmern, befürchtet Günther Holm vom unterfränkischen Staatsforstbetrieb Hammelburg:

"Die Gewitterstürme können natürlich Probleme bereiten, wenn da mehr kommen. Oder wenn wir bayernweit das Problem des Borkenkäfers haben, das eben mehr Aufmerksamkeit und Kapazität für diese Dinge verlangt, die dann woanders fehlen."

Ein Problem sind auch weiterhin viele ungepflegte und käferbedrohte Flächen ahnungsloser Privatwaldbesitzer in Bayern. Der Staat hat sich aus der kostenlosen Beratung zurückgezogen und diese Aufgabe den Waldbesitzervereinigungen zugeschoben. Trotz übergangsweiser Subventionen - für Michael Lechner von der Waldbesitzervereinigung Holzkirchen ein Problem:

"Wenn wir bei diesen großen Flächen mit den vielen Waldbesitzern zufrieden stellend Beratung durchführen müssen, dann bräuchten wir 4 bis 5 Förster zusätzlich, um diese Aufgaben zu erfüllen. Wer ersetzt uns diese Kosten und wie wird das organisiert? Das wäre eine Aufgabe, die so gar nicht zu schultern ist."

Doch steigende Holzpreise - auch wegen erhöhter Brennholznachfrage aus Privathaushalten - schieben solche Sorgen in Bayern derzeit in den Hintergrund. Der Wald krankt, aber wächst und liefert so CO2-neutral willkommenen Brennstoff in teuren Erdölzeiten. Schon entstehen nach dem Vorbild Österreichs zentrale Holzkraftwerke, deren Nachschub gesichert ist, solange weiter gilt, dass für jeden gefällten Baum schon einer nachgewachsen ist.

Konfuzius sagt: Wer Bäume pflanzt, wird den Himmel gewinnen.

"Obacht! Fallender Baum!"