Und dann Feld P in Weißensee

Von Vanja Budde · 07.04.2011
116.000 Gräber auf mehr als 40 Hektar. Doch Filmemacherin Britta Wauer hat mit der Dokumentation "Im Himmel, unter der Erde" kein stilles, trauriges Werk über einen Ort des Todes geschaffen. Ihr Film über den Jüdischen Friedhof Weißensee ist ein höchst lebendiger Blick auf Geschichte, Gegenwart und Zukunft.
Kurt Tucholskys Gedicht "In Weißensee" von 1925:
Jedweder hat hier seine Welt:
ein Feld.
Und so ein Feld heißt irgendwie:
O oder I ...
Wird einer frisch dort eingepflanzt
nach frommem Brauch,
dann kommen viele angetanzt –
das muß man auch.


Kurt Tucholskys lakonischer Humor entspricht dem Ton des Films: Heiter melancholisch erzählt "Im Himmel, unter der Erde" die Geschichte und den gegenwärtigen Alltag des 1880 gegründeten Friedhofs der jüdischen Gemeinde Berlins. Anhand der Menschen, deren Angehörige hier ruhen, wird das Gedächtnis der Stadt anrührend lebendig.

(Filmszene) Ein Mann weint heftig, spricht dann zum Grabstein: "Großmutter Helene, wir sind gekommen, dich zu besuchen (weint). Leider Opa kann dich nicht besuchen, er wurde vergast in Auschwitz."

Sie kommen aus den USA, aus Argentinien, Israel, Australien: Die Nachkommen der Berliner, die die Nationalsozialisten vertrieben und ermordet haben. Der Holocaust ist ein schwergewichtiges Thema, doch die erst 34 Jahre alte Regisseurin Britta Wauer wollte nicht, dass es den Film beherrscht. Für ihre lyrische Reportage hat sie auch Protagonisten aufgespürt, die als Kinder in den grünen Alleen spielten und sich als Jugendliche hier zum ersten Mal verliebt haben. Sie fand Zeitzeugen, die für den Anfang des 20. Jahrhunderts stehen, als mächtige Verleger, Wirtschaftsbosse und Bankiers sich in Weißensee prächtige Mausoleen bauen ließen.

Eine Protagonistin des Films: "Also die ganze Familiengeschichte und die Sprache und die Herkunft und das Ganze. Und deshalb wurde ich auch immer neugierig. Und dann bin ich fünf Tage nach Berlin."

Und stand nach 60 Jahren als Erste der Familie am Grab ihres Urgroßvaters Adolf Schwabacher, zu Kaisers Zeiten Direktor der Berliner Börse. Gefunden hat sie es, weil das riesige Archiv des 86 Fußballfelder großen Friedhofs unzerstört geblieben ist. Der Film versucht, die Ausmaße des Areals mit Luftaufnahmen deutlich zu machen, zeigt bislang unveröffentlichte Fotos und Filmaufnahmen aus Privatbesitz. Die Regisseurin ist auch die Produzentin, sie hat keinen Aufwand gescheut, die Filmmusik eigens komponieren und vom Brandenburgischem Staatsorchester einspielen lassen.

Ein Protagonist des Films: "Jeder Grabstein ist ein Stück Weltgeschichte und unter jedem Grabstein verbirgt sich irgend eine Geschichte."

Kunstvoll montiert erzählt der Film "Im Himmel, unter der Erde" einige dieser Geschichten: Dass der Friedhof zu DDR-Zeiten verfiel und heute wieder restauriert wird; dass neue Mitglieder der jüdischen Gemeinde zum Leidwesen des Rabbiners russische Bräuche auf dem Friedhof einführen; dass aber nach wie vor seine schattigen, zugewachsenen Pfade an einen verwunschenen Märchengarten erinnern, in dem der Tod seinen Schrecken verliert.

Kurt Tucholskys Gedicht "In Weißensee" von 1925:
Es tickt die Uhr. Dein Grab hat Zeit,
drei Meter lang, ein Meter breit.
Du siehst noch drei, vier fremde Städte,
du siehst noch eine nackte Grete,
noch zwanzig –, dreißigmal den Schnee –
Und dann:
Feld P – in Weißensee –
in Weißensee.


Interview mit Regisseurin Britta Wauer im Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur

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