Unbeschleunigte Bilder aggressiver Tänze

Von Anke Leweke · 18.08.2006
In seinem Dokumentarfilm "Rize" spürt der Modefotograf und Videoclip-Regisseur David Lachapelle den neuen Tanzstilen der afro-amerikanischen Jugend in Los Angeles nach. Das aggressive Clowning und Krumping soll helfen, sich abzureagieren. Jetzt ist der Film als DVD herausgekommen.
Bilder von brennenden Straßenzügen, Demonstrationen und Schlägereien. Mit Archivaufnahmen von den "Riots", den Unruhen und Krawallen in den Ghettos von Los Angeles im Jahre 1992 beginnt dieser Film. Während die Kamera über ausgebrannte Häuserreihen und demolierte Autos fährt, erklärt uns eine Stimme aus dem off.

"Das ist unser Viertel. Hier sind wir aufgewachsen. Damals, als das alles passierte, waren wir noch Kinder. Wir sind daran gewachsen. Und wir leben noch immer hier."

Ein Musikwechsel markiert den Sprung in die Gegenwart. Doch die Ereignisse hallen immer noch nach. Tanzend stellen afro-amerikanische Jugendliche den Auslöser der Riots nach. Sie simulieren die brutale Attacke weißer Polizisten auf Rodney King.

"Wenn du ertrinkst und da nichts ist, außer einer Planke dann greifst du danach. Und der Tanz war unsere Planke."

Ein Jugendlicher erklärt die Motivation für die aggressiven Tänze, die überall im Viertel aufgeführt werden.

"Damit schwammen wir ans Ufer und bauten uns ein großes Schiff. Wir segeln hinaus in die Welt des Tanzes und erobern sie im Sturm, denn daran glauben wir. Das ist kein Trend. Ich wiederhole: Das ist kein Trend."

Mit einer Filmkamera ist der Modefotograf David LaChapelle durch die Straßen von Watts und South Central gezogen, um ein neues Phänomen in den afro-amerikanischen Vierteln von Los Angeles festzuhalten. "Clowning" oder "Krumping" heißen die zugleich wilden und wunderbar choreografierten Tänze, in die die Jugendlichen aus den Ghettos ihre Frustrationen und Aggressionen einfließen lassen und sich dabei abreagieren.

Die Tänze sind für sie weder Freizeitbeschäftigung noch Modeerscheinung, sondern vielmehr Ausdruck ihrer sozialen Unterdrückung, ihrer Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit. Es sei der Rückhalt in den verschiedenen Tanzcliquen, der wie eine Mutter berichtet, die Jugendlichen davor bewahre, sich auf blutige Bandenkriege einzulassen.

"Soll mein Sohn zur Gang der Bloods oder zu den Crips gehen? Er sagt: Nein, ich will Clown sein. Damit setzt er sich von den ganzen Bandenkriegen in unserem höllischen Stadtteil ab. Wir leben hier in einer Löwengrube, in einem Schlangenloch. Auf der einen Seite stehen die Gangs, auf der anderen die Clowns."

Tatsächlich holen sich viele Jugendliche ihre Bestätigung über den Tanz und nicht mehr über das Tragen von Waffen. Mit Tommy, dem Clown, ziehen sie von Kindergeburtstagen zu Partys und anderen Feiern und mischen die Gesellschaften mit Rapmusik und ihren selbst erfundenen Tänzen auf.

Es sind ungewohnte Perspektiven, die uns David La Chapelles Film bietet. Die Straßen von South Central kennt man aus den afro-amerikanischen Ghetto-Filmen nur als bedrohlich und menschenleer. In "Rize" sieht man wie die Menschen aus ihren Häusern kommen. Jung und alt, groß und klein tanzen ausgelassen mit Tommy, dem Clown, und seiner Gruppe.

Hört man die Jugendlichen sprechen, dann begreift man wirklich, dass sie sich mit den verschiedenen Tanzcliquen ihre eigenen Selbsthilfegruppen geschaffen haben. Das Clowning oder das Krumping als ureigene Form in den Ghettos zu überleben.

"Die Tanzrichtung Krumping mag aggressiv wirken, aber damit kannst du deine ganze Wut rauslassen. Wenn Leute Probleme haben, irgendetwas nicht kriegen können, Rechnungen nicht bezahlen können, aus der Wohnung geschmissen werden, dann hilft ihnen Krumping, diese Wut zu kanalisieren. Es geht darum, alles Negative so zu kanalisieren, dass es durch die Kunst des Tanzes ein positives Ventil findet."

Von den Tänzen geht eine merkwürdige Kraft und eine ungeahnte Power aus. Man bekommt den Eindruck, dass all die Energie, die in den Jugendlichen steckt, von der amerikanischen Gesellschaft aber links liegen gelassen wird, in die Tänze einfließt. Sie sind schön und gewalttätig zugleich.

In einzelnen Interviews kommen die Kids und auch der Regisseur David LaChapelle auf der Zusatz-DVD noch einmal ausführlich zu Wort.

Auch wenn der DVD eine visuelle Anleitung zum Tanzen beigefügt ist, sollte man es vielleicht doch beim Betrachten dieser unglaublich schnellen und rhythmischen Bewegungen belassen. Nicht umsonst steht zu Beginn weiß auf schwarz geschrieben: Die Bilder in diesem Film wurden nicht beschleunigt.